American Renaissance

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American Renaissance ist eine 1941 von F. O. Matthiessen geprägte Bezeichnung der Literaturwissenschaft, genauer gesagt der American Studies, für den literaturgeschichtlichen Zeitraum von 1830 bis 1865.

Literaturgeschichtliche und sozio-kulturelle Grundlagen

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Zu den wichtigsten Vertretern der American Renaissance zählen neben Herman Melville, Nathaniel Hawthorne und Walt Whitman ebenso Edgar Allan Poe, Emily Dickinson sowie die Transzendentalisten Ralph Waldo Emerson, Henry David Thoreau und Margaret Fuller.[1]

Während dieser Zeit zwischen 1830 und 1865 wurden viele der Gedichte und insbesondere der Erzählungen und Romane verfasst, die heute als bedeutende Meisterwerke der Amerikanischen Literatur gelten, darunter weltbekannte Romane wie etwa Moby-Dick von Herman Melville oder The Scarlet Letter von Nathaniel Hawthorne sowie Henry David Thoreaus tagebuchähnliches Buch Walden. Zahlreiche heute noch als Klassiker geltende Erzählungen wie beispielsweise Melvilles Bartleby, the Scrivener oder Benito Cereno sowie Hawthornes Kurzgeschichtensammlung Twice-Told Tales oder seine Erzählung My Kinsman, Major Molineux entstanden ebenso in dieser literarischen Epoche wie auch Walt Whitmans berühmtes lyrisches Opus magnum, der Gedichtzyklus Leaves of Grass.[2]

Dabei wird in den traditionellen literaturgeschichtlichen bzw. literaturwissenschaftlichen Diskursen zumeist unterschieden zwischen den unbeschwerten oder optimistischen Autoren, den sogenannten light or optimistic authors (Emerson, Thoreau, and Whitman), und den düsteren oder pessimistischen (dark or gloomy) Schriftstellern, zu denen insbesondere Poe, Hawthorne und Melville gerechnet werden. Emily Dickinson nimmt in dieser Einteilung eine Zwischenstellung ein mit ihrem Wechsel zwischen eher heiteren und eher dunkleren Ausdrucksformen. Die in einer solchen Kategorisierung der Gruppe der Optimisten zugeordneten Autoren versuchen demnach in ihrem literarischen Schaffen insbesondere die wundersame Schönheit der Natur als Quelle der göttlichen Offenbarung, die spirituellen Wahrheiten jenseits der physisch-materiellen Realität und die vorrangige Bedeutung der poetischen Imagination sowie das potenziell in jedem Individuum innewohnende wesenhaft Göttliche (divinitiy) zu ergründen, während die als pessimistisch klassifizierten Autoren bevorzugt das Schauerhafte und Greuliche thematisieren und Charaktere erschaffen, die von gespenstischen Gedanken und perversen oder kriminellen Impulsen (haunted minds, perverse or criminal impulses) heimgesucht werden. Thematisch rücken dementsprechend in ihren Werken verstärkt Aspekte des Zweifelns oder Bedenkens sowie der Widersprüchlichkeit oder Doppelbödigkeit des Menschen und seiner Natur (doubt, and ambiguity) in den Vordergrund.

In deren Ergründung oder Vertiefung findet gleichermaßen das nationale puritanische Erbe Amerikas seinen weiteren Niederschlag. Die drängenden ultimativen Fragen vorheriger calvinistischer Prediger von John Cotton bis hin zu Jonathan Edwards nach dem Tod, nach Gott und dem Wesen der menschlichen Natur treffen dabei auf den Skeptizismus und den Säkularismus des 19. Jahrhunderts und führen zu einer literarischen Bewegung, die sowohl das Erheiternde wie auch das Beunruhigende zum Ausdruck bringt, von Emersons positiven Beteuerungen der schöpferischen Kraft des Menschen im Einklang mit der Natur, seiner Freiheit und Selbstbestimmung als Motor der Erneuerung einerseits und den mehrdeutigen, ambivalenten Sichtweisen und Blickrichtungen Hawthornes und Melvilles andererseits.[3]

Der Ausdruck American Renaissance als solcher geht zurück auf die Europäische Renaissance – gemeint ist damit eine Phase des künstlerischen und gesellschaftlichen Wandels.

Die Autoren der American Renaissance waren zwar größtenteils stark beeinflusst durch die europäische Literatur von der Antike bis zur Romantik; kennzeichnend war jedoch ihre Verknüpfung dieser transnationalen Prägung mit dem Bemühen um die eindeutig vernehmbare Ausbildung einer eigenständigen Literatur in einer spezifisch amerikanischen Form sowohl in inhaltlicher und erzähltechnischer wie auch sprachlicher und stilistischer Hinsicht.[4]

Aus traditioneller literaturgeschichtlicher Sicht wird dieser Zeitraum des 19. Jahrhunderts zwischen den 30er und 60er Jahren als erster großer Höhepunkt der amerikanischen Literatur betrachtet, in der sich erstmals die kulturelle Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten zeigt und der Anschluss an das Niveau der Weltliteratur erreicht wird. Zugleich tritt in diesem sogenannten „Goldenen Zeitalter der Literatur in der Neuen Welt“ die besondere Eigenart der amerikanischen Kultur und Identität deutlich hervor.

Dieser Sichtweise zufolge wird vor allem mit den Werken von Emerson, Thoreau, Whitman, Hawthorne und Melville ein Kanon von Klassikern etabliert, der die nationale Erfahrung des historischen Neubeginns mit all ihren Widersprüchlichkeiten oder Ambivalenzen als innovatives Experiment in der Menschheitsgeschichte literarisch zum Ausdruck bringt. Wie die realen Pioniere (pioneers) an der westlichen Grenze zur Zivilisation (frontier) zeigen diese Autoren demnach einen vergleichbaren literarischen Pioniergeist, der sie mit gleicher Energie die Grenzen der künstlerischen Innovation hinausschieben lässt.

Die junge Nation findet nach dieser Darstellung erstmals ihre eigene, unverwechselbare Stimme und literarisch-symbolische Selbstdefinition. In ihr werden die Kontinuität der bisherigen großen Kulturleistungen wie zuvor in der europäischen Renaissance mit einem spezifisch amerikanischen Anspruch auf epochale Emanzipation und radikal Neuem verbunden. Mit ihrer Metaphorik von Aufbruch und Erwachen löst sich die Literatur der American Renaissance demzufolge von ihrer Fremdbestimmung und besinnt sich auf die Kraft einer neuen demokratischen Kultur, die sowohl von den Menschen als Individuen wie der Nation insgesamt getragen wird. Gleichsam schicksalhaft wird dieser Aufbruch mit dem amerikanischen Kontinent als Ganzem verbunden. Damit wird die Literatur dieser Epoche zum prophetischen Symbol des „Neuen Zeitalters“, in dem sich die weltgeschichtliche Mission Amerikas als offensichtliche Bestimmung (Manifest Destiny) erfüllt.[5]

Ungeachtet dieser gemeinsamen gleichsam symbolhaften wirkungsgeschichtlichen Funktion der Literatur der American Renaissance vereint diese in durchaus gespaltener Form eher konventionelle, sentimental-inneramerikanische Schriften einerseits und weiterreichende grotesk humorvolle Ausdrucksformen andererseits.

In der Zusammenführung oder Integration von Themen und Bildern einer äußerst vielschichtigen, neuen nationalen Volkskultur verarbeiten die bedeutsameren amerikanischen Autoren dieser Zeit in ihren Werken jedoch zugleich die Paradoxien einer Nation, die sowohl den Individualismus als auch den einhelligen Zusammenhalt und die kollektive Einheit propagierte, einer Nation, die die Freiheit anpries, aber gleichzeitig die Sklaverei duldete, die Gleichheit als angeborenes Menschenrecht predigte, aber zugleich sich ausweitende soziale und ethnische Unterschiede oder Spannungen wie auch die Unterdrückung der Frauen, der Schwarzen und der indigenen Indianer, der sogenannten Native Americans, erlebte.[6]

Rezeption und Kritik in der jüngeren Literaturwissenschaft

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Der von Matthiessen begründete klassische Kanon wird von heutigen Literaturwissenschaftlern zunehmend kritisch gesehen, da er ausschließlich männliche, weiße Autoren umfasst und Schriftsteller wie beispielsweise Poe ausschließt.[7] Der literaturgeschichtliche Blickwinkel der nationalen Selbstdefinition wird darüber hinaus einseitig verengt auf angelsächsische, protestantische Autoren der gesellschaftlich dominierenden WASP-Gruppe.[8]

Zudem stehen die hier kanonisierten Klassiker dem Projekt Amerikas keineswegs nur affirmativ gegenüber, sondern nehmen teilweise eine äußerst kritische Haltung gegenüber der Politik, Gesellschaft oder Kultur dieses Zeitalters ein und zeichnen sich vor allem durch einen grundlegenden Dissens mit der vorherrschenden amerikanischen Kultur und Ideologie aus.

Thoreau beispielsweise versucht eine pazifistisch-ökologische Alternative zur ökonomischen Aggressivität aufzuzeigen; Hawthorne demaskiert die falsche Selbstgerechtigkeit eines schuldbeladenen Amerika; Melville stellt den Zusammenbruch fester Selbst- oder Weltbilder und die Atomisierung der Gesellschaft fest. Auch Whitman widersetzt sich in seinen Gedichten durchaus dem damals noch vorherrschenden viktorianischen Zeitgeschmack.

Paradoxerweise verkörpert in den Texten dieser Klassiker oftmals gerade ihre kulturkritische Distanzierung das spezifisch amerikanische Selbstverständnis mit seinen Grundwerten von Individualismus und liberaler Demokratie.[9]

Dennoch wurde mit dem Konstrukt der American Renaissance in der Literaturgeschichtsschreibung der Vereinigten Staaten über lange Zeit ein relativ eng umrissener Bereich von hochliterarischen Texten festgeschrieben, der die mehr oder weniger institutionalisierte Grundlage der American Studies bildete.[10]

Matthiessen beschränkte sich in den Hochzeiten des New Criticism weitgehend auf das werkimmanente Close Reading der Werke jener fünf Autoren, die sein eng gefassten Kanon der American Renaissance zum damaligen Zeitpunkt einschloss, und richtete seinen Blickwinkel auf die Erforschung der Ambiguitäten, Paradoxien und Ironien in jenen Veröffentlichungen, die sich aus seiner Sicht durch ihre thematische Dichte und ihre stilistischen Innovationen auszeichneten.

Dieser werkimmanente oder auch formalistische Ansatz wurde von ihm nachfolgenden Kritikern und Literaturwissenschaftlern wie insbesondere Lionel Trilling, Charles Feidelson Jr., Richard Chase und Richard Poirier aufgenommen und fortgeführt, denen zufolge Schriftsteller wie Emerson, Thoreau, Hawthorne und Melville eine herausragende sprachlich-stilistische Neuerung oder Transzendenz und philosophische Tiefe erschufen in einem kulturellen Umfeld, das nur wenig Stoff für Literatur anbot. Diese Sichtweise der ursprünglichen Hauptautoren der American Renaissance als entfremdeten Rebellen in einem wenig fruchtbaren kulturellen Kontext wurde anschließend von poststrukturalistischen Literaturkritern oder Literaturwissenschaftlern und den Vertretern des Neuen Formalismus fortgesetzt, die ihr Interesse an dem „Text als solchem“ beibehielten und den gesellschaftlichen oder biografischen Kontext weitgehend ausblendeten.[11]

Erst in der jüngeren literaturwissenschaftlichen Forschung werden unter Aspekten von gender (Geschlecht) oder race (Rasse) ausdrücklich bislang ausgeklammerte Bereiche einbezogen, wie beispielsweise die von weiblichen Autorinnen verfasste Literatur oder die Literatur der ethnischen Minderheiten. Gleichermaßen werden in der literatur- und kulturgeschichtlichen Betrachtung dieser Epoche andere Textarten wie biografische oder politische Texte und vor allem das weite Feld der Alltags- und Massenkultur berücksichtigt.

Dabei zeigt sich, dass es in dieser Epoche nicht nur einen Mittelpunkt der Amerikanischen Renaissance gibt, sondern verschiedene Zentren, die sich nicht ohne weiteres auf die einheitliche Formel einer kulturell identischen Nation bringen lassen.[12]

  • F. O. Matthiessen: Art and Expression in the Age of Emerson and Whitman. Oxford University Press, London / New York 1941.
  • Larry J. Reynolds: European Revolutions and the American Literary Renaissance. Yale University Press, New Haven Connecticut / London 1988.
  • David S. Reynolds: Beneath the American Renaissance. The Subversive Imagination in the Age of Emerson and Melville. Alfred A. Knopf, New York 1988. (Neuauflage Oxford University Press, New York 2011)

Einzelnachweise

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  1. Matthiessens Sicht der Autoren der American Renaissance umfasste anfänglich Hawthorne, Melville, Emerson, Thoreau und Whitman; in der nachfolgenden Diskussion wurde von späteren Kritikern und Literaturwissenschaftlern der ursprüngliche Kanon dieser von Matthiesen genannten fünf Schriftsteller durch Poe und Dickinson ergänzt. Nach dem heutigen Verständnis wird der Anfang dieser Literaturbewegung durch die Veröffentlichung von Emersons Pamphlet Nature im Jahre 1836 markiert und dauerte zumindest bis in die Mitte der 1860er-Jahre an, als Emily Dickensons Hauptwerke erschienen. Vgl. dazu David S. Reynolds: American Renaissance. In: Oxford Research Encyclopedias - Literature. Online veröffentlicht im August 2016 unter literature.oxfordre.com. Abgerufen am 13. März 2018.
  2. David S. Reynolds: American Renaissance. In: Oxford Research Encyclopedias - Literature. Online veröffentlicht im August 2016 unter literature.oxfordre.com. Abgerufen am 11. März 2018.
  3. David S. Reynolds: American Renaissance. In: Oxford Research Encyclopedias - Literature. Online veröffentlicht im August 2016 unter literature.oxfordre.com. Abgerufen am 11. März 2018.
  4. David S. Reynolds: American Renaissance. In: Oxford Research Encyclopedias - Literature. Online veröffentlicht im August 2016 unter literature.oxfordre.com. Abgerufen am 11. März 2018.
  5. Hubert Zapf: «American Renaissance» und die New American Studies. In: Hubert Zapf (Hrsg.): Amerikanische Literaturgeschichte. J. B. Metzler, Stuttgart 1996, ISBN 3-476-01203-4, S. 85–87, hier S. 85f.
  6. David S. Reynolds: American Renaissance. In: Oxford Research Encyclopedias - Literature. Online veröffentlicht im August 2016 unter literature.oxfordre.com. Abgerufen am 12. März 2018.
  7. z. B. William E. Cain: F.O. Matthiessen and the Politics of Criticism. University of Wisconsin Press 1988, S. 164–168. Siehe online books.google.de. Abgerufen am 1. Januar 2015.
  8. Vgl. die Darstellung von Hubert Zapf: «American Renaissance» und die New American Studies. In: Hubert Zapf (Hrsg.): Amerikanische Literaturgeschichte. J. B. Metzler, Stuttgart 1996, ISBN 3-476-01203-4, S. 85–87, hier S. 87.
  9. Vgl. die Darstellung von Hubert Zapf: «American Renaissance» und die New American Studies. In: Hubert Zapf (Hrsg.): Amerikanische Literaturgeschichte. J. B. Metzler, Stuttgart 1996, ISBN 3-476-01203-4, S. 85–87, hier S. 85f.
  10. Vgl. die Darstellung von Hubert Zapf: «American Renaissance» und die New American Studies. In: Hubert Zapf (Hrsg.): Amerikanische Literaturgeschichte. J. B. Metzler, Stuttgart 1996, ISBN 3-476-01203-4, S. 85–87, hier S. 87.
  11. Siehe dazu Vgl. dazu den Abschnitt Early Critical Approaches bei David S. Reynolds: American Renaissance. In: Oxford Research Encyclopedias - Literature. Online veröffentlicht im August 2016 unter literature.oxfordre.com. Abgerufen am 13. März 2018.
  12. Vgl. die Darstellung von Hubert Zapf: «American Renaissance» und die New American Studies. In: Hubert Zapf (Hrsg.): Amerikanische Literaturgeschichte. J. B. Metzler, Stuttgart 1996, ISBN 3-476-01203-4, S. 85–87, hier S. 87.