„Großer Sprung nach vorn“ – Versionsunterschied

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'''Großer Sprung nach vorn''' ({{zh|p=dà yuè jìn|v=大跃进|t=大躍進}}) war der Name für eine von [[Mao Zedong]] initiierte, von 1958 bis 1961 laufende Kampagne, bestehend aus mehreren einzelnen Initiativen, die den zweiten [[Fünfjahresplan]] (1958–1962) der [[Volksrepublik China]] ablösen und übertreffen sollte. Mit Hilfe dieser Kampagne sollten die ''drei großen Unterschiede'' Land und Stadt, Kopf und Hand sowie Industrie und Landwirtschaft eingeebnet, der Rückstand zu den westlichen Industrieländern aufgeholt und die Übergangsperiode zum [[Kommunismus]] deutlich verkürzt werden. Die Kampagne des Großen Sprungs begann nach dem ersten Fünfjahresplan von 1953 bis 1957, sie sollte von 1958 bis 1963 laufen. 1961 wurde die Kampagne nach ihrem offensichtlichen Scheitern abgebrochen.<ref name="glossary">Kwok-sing Li: ''A glossary of political terms of the People’s Republic of China.'' Translated by Mary Lok. The Chinese University of Hong Kong, Hong Kong 1995, ISBN 962-201-615-4, S. 47–48.</ref><ref>{{Literatur |Autor=Alfred L. Chan |Titel=Mao’s crusade. Politics and policy implementation in China’s great leap forward |Reihe=Studies on contemporary China |Verlag=Oxford University Press, Oxford u.&nbsp;a. 2001 |Datum= |ISBN=0-19-924406-5 |Seiten=13 |Online=http://books.google.com/books?id=9pPxwn6EvR4C&pg=PA13}}</ref> Die [[Volkskommune]]n, die zusammen mit dem Großen Sprung nach vorne ins Leben gerufen wurden, bestanden jedoch bis 1983 auf dem chinesischen Festland weiter.<ref>{{Literatur |Titel=The Great Leap Forward and the People's Communes—Socialist Ideals and Practice |Sammelwerk=Chinese Law & Government |Band=29 |Nummer=4 |Datum=1996-07-01 |ISSN=0009-4609 |DOI=10.2753/CLG0009-4609290446 |Seiten=46–60}}</ref><ref>{{Internetquelle |autor=Ulrich Horb |url=https://ulrichhorb.de/1983-chinas-volkskommunen-und-die-privatwirtschaft/ |titel=1983: Chinas Volkskommunen und die Privatwirtschaft |datum=2016-01-02 |abruf=2020-07-18 |sprache=de-DE}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Michael Bristow |Titel=中国最后的人民公社 |Hrsg= |Sammelwerk=[[British Broadcasting Corporation]] |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=2009-09-29 |ISBN= |Seiten= |Online=https://www.bbc.com/zhongwen/trad/china/2009/09/090924_chinacommunes |Abruf=2020-07-18}}</ref>
 
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Nach wirtschaftlichen Erfolgen seit der Gründung der Volksrepublik China stand die Staatsführung vor schwerwiegenden Problemen. Wirtschaftlich hatte sich China eng an die Sowjetunion angelehnt, und, nach sowjetischem Vorbild, von 1953 bis 1957 einen ersten Fünfjahresplan aufgelegt, der –&nbsp;nach dessen Angaben&nbsp;– mit einem jährlichen Wachstum der Industrieproduktion um 15 % abgeschlossen wurde. Die aufgebauten Großbetriebe blieben jedoch auf sowjetische finanzielle und technische Unterstützung angewiesen. 156 Projekte –&nbsp;Ölförderanlagen, Fahrzeug- und Flugzeugbau, Rüstungsfabriken&nbsp;– hatte die Sowjetunion nach und nach an die Volksrepublik geliefert, wobei das technisch hochstehende Niveau dieser Projekte oft nicht gut zum sonstigen Produktivitätsniveau in der Volksrepublik passte (z.&nbsp;B. weil es wenig Arbeitskräfte absorbierte).<ref>{{Literatur |Autor=Renate Dillmann |Titel=China – ein Lehrstück über alten und neuen Imperialismus, einen sozialistischen Gegenentwurf und seine Fehler, die Geburt einer kapitalistischen Gesellschaft und den Aufstieg einer neuen Großmacht |Auflage=3. |Verlag=VSA-Verlag |Ort=Hamburg |Datum=2009 |ISBN=978-3-89965-380-9 |Seiten=75}}</ref> Seit 1956, als es in [[Ungarischer Volksaufstand|Ungarn]] und [[Posener Aufstand (1956)|Polen]] zu Aufständen gegen deren kommunistische Regierungen kam, sah sich die Sowjetunion allerdings gezwungen, sich in diesen Staaten mit zusätzlicher Wirtschaftshilfe zu engagieren. Infolgedessen war die Sowjetunion einerseits gezwungen, die Unterstützung Chinas „zu reduzieren“, andererseits war die starre Ausrichtung der chinesischen Betriebe auf die [[Schwerindustrie]] ein Problem: In die Kapitalgüterindustrie erfolgten etwa achtmal soviele [[Investition]]en wie in die [[Konsumgüterindustrie]]. Es stellte sich daher die Frage, ob die Entwicklung Chinas nach sowjetischem Muster, mit zentral organisierten und kapitalintensiven Großbetrieben, den chinesischen Gegebenheiten entsprach.<ref>Rainer Hofmann: ''Kampf zweier Linien.'' Ernst Klett Verlag, 1978, S. 24, 30–32.</ref>
 
Ein weiteres schwerwiegendes Problem betraf die [[Landwirtschaft]], also den Bereich, in dem über drei Viertel der Bevölkerung aktiv waren. Schon vor der Gründung der Volksrepublik war die gesamte verfügbare Ackerfläche bebaut. Ein Anbau auf weiteren Flächen war demzufolge schwierig, und die Ackerfläche war überdies extrem parzelliert. Eine Bauernfamilie besaß – damals – im Durchschnitt eine Anbaufläche von etwa einem drittelDrittel Hektar, die vollständig in Handarbeit bearbeitet wurde. Trotz der Enteignung – und damit verbunden oft der Tötung – der früheren Grundbesitzer und der Reduzierung der oft sehr hohen Pachtabgaben hatte sich auf dem Land nicht viel geändert. Dazu trugen – ironischerweise – gerade die Anfangserfolge des chinesischen Sozialismus bei: eine rasch steigende Geburtenrate auf Basis dessen, dass die Ernährung weitgehend gesichert war (wenn auch auf niedrigem Niveau), und die rudimentäre medizinische Versorgung sowie Hygienemaßnahmen hatten zur Abnahme der Kindersterblichkeit beigetragen. Insofern verhungerten die Menschen zwar nicht mehr, aber die enorme Begeisterung wie bei der Gründung der Volksrepublik hatte nachgelassen. Die Bauern trugen die ganze Last der industriellen Entwicklung, sahen aber für sich wenig wirtschaftlichen Fortschritt, was unter anderem an fehlendem Einsatz von Kunstdünger und einer an die chinesische Landwirtschaft angepassten Entwicklung kleiner Landmaschinen lag.<ref>Rainer Hofmann: ''Kampf zweier Linien.'' Ernst Klett Verlag, 1978, S. 30,31. Renate Dillmann: ''China – ein Lehrstück''. VSA-Verlag, 2009, S. 111</ref>
 
Ein weiteres Problem war die Entstehung einer neuen, von der Bevölkerung abgehobenen Funktionärsschicht. Immer mehr dieser Funktionäre sahen sich, nach klassischer chinesischer Tradition, nicht als Diener der Arbeiter und Bauern, sondern als neue Herrscher und hatten auch keine Skrupel, sich am Staatseigentum zu bereichern. Mao sprach von den neuen Kapitalisten und der Notwendigkeit zu weiterem Klassenkampf, ohne jedoch dies weiter zu konkretisieren.
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== Vorgeschichte ==
{{Hauptartikel|Geschichte der Volksrepublik China von 1949 bis 1957}}
 
=== Beginn der Kollektivierung in der Volksrepublik China ===
[[Datei:Mao, Bulganin, Stalin, Ulbricht Tsedenbal.jpeg|mini|Mao, [[Stalin]] und [[Walter Ulbricht]] im Jahr 1949]]
 
Nach Gründung der Chinesischen Volksrepublik am 1. Oktober 1949 sah die Strategie der „Neuen Demokratie“ ein langfristiges Festhalten an gemischten Wirtschaftsformen vor.<ref>Short, S. 440.</ref> Die chinesische Wirtschaft sollte nur allmählich in eine „sozialistische“ umgewandelt werden. Radikalere Mitglieder des [[Politbüro der Kommunistischen Partei Chinas|Politbüros]] kritisierten dies schon 1951.<ref>Short, S. 441.</ref> Ab 1953 sah die neue Generallinie eine „sozialistische Umwandlung“ der Wirtschaft vor, die sich an Stalins Programm von 1929 orientierte.<ref>Dabringhaus, S. 123.</ref> Unter dem Schlagwort „Von der Sowjetunion lernen!“ wurde das Prinzip der zentralen Planung und Leitung von Produktion, Investition, Verteilung und Konsum aufgenommen.<ref>Groeling, S. 15.</ref> Zeitgleich mit der Beendigung des [[Koreakrieg]]s wurde im Jahr 1953 nach sowjetischem Muster der erste Fünfjahresplan verabschiedet. Parallel kam es zur Bildung einer neuen Herrschaftselite: Während für die Nationalregierung 1948 etwa zwei Millionen Funktionäre arbeiteten, verfügte der kommunistische Staats- und Parteiapparat 1958 über acht Millionen Kader.<ref>Dabringhaus, S. 115.</ref>
 
Bereits vor der offiziellen Gründung der Volksrepublik China waren Landreformen eingeleitet worden, eine Kollektivierung von Land hatte jedoch nicht stattgefunden, auch wenn die KPCh mit Flugblättern und Pamphleten für die Vorteile einer solchen Kollektivierung warb.<ref>Becker, S. 33–35.</ref> Mao war grundsätzlich der Ansicht, dass größere Produktionseinheiten automatisch zu einer höheren Mechanisierung und damit zu höheren Erträgen führen würde.<ref>Fenby, S. 383.</ref> Andere, moderatere Parteimitglieder wie etwa [[Liu Shaoqi]] waren dagegen der Ansicht, dass eine weitgehende Kollektivierung erst dann sinnvoll sei, wenn China über eine ausreichende Zahl an [[Landmaschine]]n verfüge. China besaß zu diesem Zeitpunkt noch keine eigene Industrie zur Fabrikation von Landmaschinen, die erste [[Traktor]]enfabrik begann erst 1958 zu produzieren.<ref>Becker, S. 47–48.</ref> Von 1952 bis 1957 wurde die Kollektivierung der Landwirtschaft mit wechselnder Intensität vorangetrieben, dabei setzte sich Mao Zedong mit seinem Wunsch nach einer weitreichenden und schnellen Kollektivierung gegenüber moderateren Mitgliedern im Politbüro durch.<ref>Fenby, S. 383–384.</ref><ref name="short_s445">Short, S. 445.</ref>
 
Die erste landwirtschaftliche Kollektivierungswelle begann im Jahr 1952 und sah Zusammenschlüsse von jeweils sechs bis neun Haushalten vor. Die zweite Phase begann 1955 und wurde später die „niedrige Kollektivierung“ genannt. Gewöhnlich bildeten die Familien eines Dorfes dabei eine große Kooperative.<ref name="meng_s6">Meng u.&nbsp;a., S. 6 (siehe Weblinks)</ref> Die Bauern verloren noch nicht ihren Landbesitz, wurden aber gezwungen, [[Zugtier]]e, Geräte und Saatgut gemeinsam zu nutzen, unter Leitung eines Kaders in kleinen Gruppen die Felder zu bestellen und die Erträge zu teilen.<ref name="Becker_s51">Becker, S. 51.</ref> Für diejenigen, die von den Landreformen profitiert hatten, war dies wirtschaftlich wenig reizvoll. Wer Zugtiere besaß, schlachtete sie und verkaufte das Fleisch, weil dies gewinnbringender war, als das Zugtier der Kooperative zur Verfügung zu stellen.<ref>Becker, S. 53.</ref> Der Beitritt zur Kooperative war theoretisch freiwillig, er wurde aber häufig erzwungen, in demindem die zum Zusammenschluss vorgesehenen Familien zu einem Treffen zusammengerufen wurden und dieses nicht verlassen durften, bis sie zustimmten, sich der Kooperative anzuschließen.<ref name="Becker_s51" /> Als Bauern 1955 kurzzeitig die Möglichkeit hatten, aus den Kooperativen wieder auszutreten, war die Parteiführung in Peking überrascht über die große Zahl von Bauern, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machten.<ref name="fenby_s384">Fenby, S. 384.</ref><ref name="dabringhaus_s124">Dabringhaus, S. 124.</ref> Die ersten Kollektivierungsbestrebungen führten auf Grund größerer Parzellen und intensiverer Nutzung von landwirtschaftlichen Geräten zu höheren landwirtschaftlichen Erträgen.<ref name="meng_s6" /> Es gab in der ländlichen Bevölkerung jedoch weitreichenden Widerstand, der sich gelegentlich in lokalen Aufständen äußerte.<ref name="short_s445" /> Nachdem mit Maos Zustimmung die weiteren Kollektivierungsbemühungen im Januar 1955 deswegen vorübergehend ausgesetzt worden waren, wurden sie ab April 1955 wieder intensiviert. Mao war nach einer Reise durch die südlichen Provinzen zu dem Schluss gekommen, dass Berichte über Widerstand in der Bevölkerung übertrieben seien. Er selbst nannte als Ziel, dass gegen Ende des Jahres 1957 50 Prozent der ländlichen Bevölkerung einem Kollektiv angehören sollte.<ref>Short, S. 446.</ref> Auf Provinz- und Kreisebene wurde die Kollektivierung deutlich schneller vorangetrieben als von Mao vorgegeben. Im Frühjahr 1956 waren 92 Prozent der ländlichen Haushalte Kollektiven angeschlossen, während es zu Beginn des Jahres 1955 nur 14 Prozent waren.<ref name="fenby_s384" /> Im Dezember 1956 bewirtschaftete nur noch drei Prozent der ländlichen Bevölkerung ihr Land individuell.<ref>Short, S. 447.</ref> In der letzten Kollektivierungsphase wurden Bauern zunehmend nicht mehr für Besitz entschädigt, den sie in die Kollektive eingebracht hatten, sondern nur noch für die Arbeit bezahlt, die sie leisteten.<ref name="dabringhaus_s124" /> Während der Kollektivierung auf dem Lande kam es zu einer [[Binnenmigration]], bei der Millionen in die Städte zogen.<ref name="fenby_s384" /> 1956 wurden in China Inlandspässe eingeführt, die diese ungesteuerte Binnenmigration weitgehend verhindern sollten. Bauern war es damit nicht mehr möglich, während der Wintermonate außerhalb ihrer Region Lohnarbeit anzunehmen, Märkte aufzusuchen oder bei Nahrungsengpässen in Regionen mit ausreichenden Ernten abzuwandern.<ref>Becker, S. 52.</ref> Die Kollektivierung des Industrie- und Dienstleistungssektors, die beide im Vergleich zum Agrarsektor sehr viel kleiner waren, begann nach dem weitgehenden Abschluss der landwirtschaftlichen Kollektivierung und verlief sehr schnell. Sie war bereits im Januar 1956 in allen größeren Städten abgeschlossen.<ref>Short, S. 448.</ref>
 
Während der „niedrigen Kollektivierung“ mussten die Bauern eine vorgegebene Menge Getreide an die Regierung zu einem festgesetzten Preis verkaufen, der darüber hinaus erwirtschaftete Rest konnte auf dem freien Markt verkauft werden. Nach Ansicht sowjetischer Wirtschaftsexperten war eine Industrialisierung der Volksrepublik nur über eine Besteuerung des Agrarsektors zu finanzieren. Beispiel dafür war nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung der Sowjetunion, sondern auch Japan, wo 60 Prozent der für die Industrialisierung nötigen Finanzmittel über eine Besteuerung des Agrarsektors erhoben wurden. Die Schaffung eines staatlichen Getreidemonopols war die einfachste Weise, die Finanzierung der Industrialisierung sicherzustellen.<ref>Becker, S. 48–50.</ref> Etwa fünf Prozent des Landes durfte von den Familien als private Parzellen bewirtschaftet werden, was dazu führte, dass sich die Familien vorrangig um diese Parzellen kümmerten. Ein unverhältnismäßig großer Teil der landwirtschaftlichen Produktionsmenge wurde auf diesen Parzellen erwirtschaftet. Geschätzt wird, dass 83 % des Geflügels und der Schweine auf diesen Parzellen großgezogen wurden.<ref name="meng_s6" />
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Auf dem [[XX. Parteitag der KPdSU]] im Februar 1956 kritisierte Chruschtschow in seiner [[Über den Personenkult und seine Folgen|Geheimrede]] am 25. Februar den [[Personenkult]] um Stalin und die damit verbundenen Verbrechen.<ref>[http://www.1000dokumente.de/?c=dokument_ru&dokument=0014_ent&object=translation&l=de Volltext der Rede]</ref>
Die sowjetische Führung leitete in der Folge die sogenannte [[Entstalinisierung]] ein, eine grundlegende Wende in der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik. Mao sah sich durch Chruschtschows Rede in seiner eigenen Autorität angegriffen, da Kritik an Stalin auch eine Kritik an ihm zulässig machte. Tatsächlich wurde auf dem 8. Parteikongress der [[KPCh]] in Peking das Prinzip einer kollektiven Führung betont und Personenkult abgelehnt.<ref>Dikötter, S. 7.</ref> Auch das maoistische Prinzip der „stürmischen Massenbewegungen“ wurde auf diesem Parteikongress kritisiert. In Abkehr von Maos Strategie sollte die Umgestaltung der chinesischen Gesellschaft und Wirtschaft nunmehr langsamer verlaufen.<ref>Dikötter, S. 7–8.</ref> Moderate Parteikreise, zu deren führenden Vertretern [[Zhou Enlai]], [[Bo Yibo]] und [[Chen Yun]] zählten, setzten sich für eine behutsamere Entwicklung sowie kleinere landwirtschaftliche Kollektive ein und wollten einen begrenzten freien Markt zulassen.<ref>Dikötter, S. 8.</ref><ref>Shapiro, S. 72.</ref>
 
[[Datei:Anti-Rightist Movement.jpg|mini|Umzug während der Anti-Rechts-Kampagne]]
In einer Rede vor einer Gruppe von Parteiführern im Mai 1956 forderte Mao erstmals, nicht allein der Partei das Meinungsmonopol zu überlassen und wiederholte diese Forderung am 27. Februar 1957 auf einer Staatskonferenz mit seiner Ansprache ''Über die Frage der richtigen Behandlung der Widersprüche im Volke''. Die Rede wurde nicht im Wortlaut veröffentlicht, aber gegen Ende April 1957 machten chinesische Medien deutlich, dass konstruktiv-kritische Äußerungen erwünscht seien. Die Kritik, die während der sogenannten [[Hundert-Blumen-Bewegung]] im Frühjahr 1957 vorgebracht wurde, richtete sich vor allem gegen Ignoranz und Überheblichkeit von Parteifunktionären, gegen die starke Orientierung am sowjetischen Vorbild und das Machtmonopol der kommunistischen Partei.<ref name="dabringhaus_s121">Dabringhaus, S. 121.</ref><ref>Short, S. 464–467.</ref> Die Hundert-Blumen-Bewegung wurde im Juni 1957 von Mao abrupt beendet und [[Deng Xiaoping]] damit beauftragt, in einer sogenannten Anti-Rechts-Kampagne den Kampf gegen Feinde des Staates aufzunehmen. Historiker nennen voneinander abweichende Zahlen an Personen, die in den folgenden Monaten wegen ihrer zuvor geäußerten Kritik verurteilt wurden. [[Sabine Dabringhaus]] spricht von mehr als 400.000 Menschen, die den Verfolgungen zum Opfer fielen und in Arbeitslagern und Gefängnissen verschwanden.<ref name="dabringhaus_s121" /> Der Mao-Biograph Philip Short nennt 520.000 Personen, die zur „Umerziehung durch Arbeit“ verurteilt und in Arbeitslager in entlegene Landesteile geschickt wurden.<ref name="short_s470">Short, S. 470.</ref> Dabei handelte es sich zu einem großen Teil um Wissenschaftler, Intellektuelle und Studenten.<ref>Shapiro, S. 21.</ref> Als Rechtsabweichler wurden auch mehrere zuvor einflussreiche chinesische Politiker wie [[Pan Fusheng]] und [[Zhang Bojun]] verurteilt, die sich gegen die Agrarreformen und die Zwangskollektivierung gewandt hatten.<ref>Dikötter, S. 22.</ref><ref name="short_s470" />
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== Der Plan für den Großen Sprung nach vorn ==
<ref name="shicheng_scribd">Shi Cheng: Kapitel: ''Great Leap Forward in the People’s Communization Campaign.''</ref> Die Entwicklung der [[Agrarindustrie]] war ein Schwerpunkt des Großen Sprungs. Auf dem Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei am 10. Dezember 1958 wurde dies so formuliert: „Der gegenwärtige Engpass im Güterangebot auf dem Land sowie in der landwirtschaftlichen Produktion kann nur durch die Entwicklung von Industrie in den Kommunen im großen Stil überwunden werden...&nbsp;… Die Kommunen müssen in großem Stil ländliche Industrie entwickeln und schrittweise einen beträchtlichen Anteil an Arbeitskraft von der Landwirtschaft zur Industrie umleiten, um Werkzeuge sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Produktion von Maschinen herzustellen.“ Als Ziel wurde vorgegeben, dass jede Kommune 80 bis 90 Prozent der Industrieprodukte, die sie benötigte, selbst herstellen sollte. Als wichtigstes Element für diese Entwicklung galt die Mobilisierung der Massen der Bauern und die Freistellung von Arbeitskräften von der Landwirtschaft zum Aufbau der Wirtschaft.
 
Wesentliche Elemente des Großen Sprungs waren:
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== Umsetzung 1957 und 1958 ==
 
Die Hinwendung der chinesischen Wirtschaft zum kapitalintensiven, industriell orientierten Sowjetmodell hatte es mit sich gebracht, dass die Arbeiter in jeder Hinsicht vor den Bauern bevorzugt waren. Daraus folgte eine ständige Landflucht, ein Anwachsen der Stadtbevölkerung mit gleichzeitiger tendenzieller Entstehung von Elendsvierteln verarmter Stadtbewohner. Hierauf wurden ab Beginn des Jahres 1957 Schulabsolventen, die in der Stadt keine Arbeit fanden, auf das Land geschickt. Dies wurde im Jahr 1958 verstärkt durchgeführt. Schüler, Lehrer und Verwaltungsbeamte wurden zwangsweise aufs Land geschickt. Ziel war eine gründliche Verkleinerung des „unproduktiven Sektors“ in den Städten und damit eine Entlastung der Bauern.
 
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==== Wasserbau ====
Der Begriff „Großer Sprung nach vorn“ wurde im Herbst 1957 erstmals öffentlich im Zusammenhang mit einem Aufruf zum Bau von Staudämmen und Bewässerungsanlagen verwendet.<ref name="dikoetter_s26">Dikötter, S. 26.</ref> Diese [[Wasserbau]]maßnahmen galten als wesentliche Bedingung für eine landwirtschaftliche Produktionssteigerung. Bereits im Oktober 1957 waren mehr als 30 Millionen Menschen rekrutiert, die an solchen Maßnahmen teilnahmen. Mehr als 580 Millionen Kubikmeter Stein und Erde wurden bis Ende des Jahres bewegt.<ref>Dikötter, S. 27.</ref> In dem Eifer, entsprechend den Parteivorgaben solche Maßnahmen umzusetzen wurde bei vielen Maßnahmen der Rat von [[Hydrologie|Hydrologen]] ignoriert und die Arbeiten mangelhaft ausgeführt.
 
[[Datei:Smxgongcheng.jpg|mini|[[Sanmenxia-Talsperre]], 2007]]
Zu den prestigereichsten Großprojekten des Großen Sprung zählte unter anderem die [[Sanmenxia-Talsperre]] am [[Gelber Fluss|Gelben Fluss]], die bereits vor dem Beginn des „Großen Sprungs nach vorn“ mit Hilfe sowjetischer Berater geplant worden war.<ref>Shapiro, S. 50.</ref> Das Projekt wurde unter anderem von dem in den USA ausgebildeten Hydrologen [[Huang Wanli]] kritisiert, der darauf hinwies, dass der Gelbe Fluss den Stauraum sehr schnell mit Sediment füllen würde. Mao selbst beschuldigte daraufhin in einem im Juni 1957 erschienen Leitartikel der [[Renmin Ribao]] Huang Wanli der Parteischädigung, der Förderung einer bourgeoisen Demokratie und Bewunderung fremder Kulturen.<ref name="dikoetter_s26" /><ref>Shapiro, S. 53.</ref> In der Tat lagerte sich schnell viel Sediment im Stausee ab. Erst durch den Einbau zusätzlicher Öffnungen zum Spülen des Stausees während der Regenzeit wurde das Problem behoben. In der Provinz [[Gansu]] wurden im Februar 1958 führende Parteimitglieder als Rechtsabweichler angeklagt und von der Partei ausgeschlossen, weil sie unter anderem Zweifel an der Geschwindigkeit und dem Ausmaß der Wasserbaumaßnahmen geäußert hatten. Sie hatten darauf hingewiesen, dass pro 50.000 Hektar bewässertem Land hunderte von Dorfbewohnern während der Bauarbeiten ihr Leben ließen.
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==== Einführung der Volkskommunen ====
Zum Zeitpunkt des Großen Sprungs nach vorn lebten etwa achtzig Prozent der chinesischen Bevölkerung auf dem Land.<ref name="meng_s5">Meng u.&nbsp;a., S. 5 (siehe Weblink)</ref> Volkskommunen wurden nur auf dem Land eingerichtet, da Versuche, städtische Kommunen einzurichten, bereits 1958 wegen Erfolglosigkeit abgebrochen worden waren.<ref>Groeling, S. 45.</ref>
 
Zum Zeitpunkt des Großen Sprungs nach vorn lebten etwa achtzig Prozent der chinesischen Bevölkerung auf dem Land.<ref name="meng_s5">Meng u.&nbsp;a., S. 5 (siehe Weblink)</ref> Volkskommunen wurden nur auf dem Land eingerichtet, da Versuche städtische Kommunen einzurichten bereits 1958 wegen Erfolglosigkeit abgebrochen worden waren.<ref>Groeling, S. 45.</ref>
 
Die erste Volkskommune wurde im April 1958 im Kreis [[Suiping]] der Provinz [[Henan]] eingerichtet. Im August 1958, nachdem Mao während einer Reise durch die Provinzen die Vorzüge von Volkskommunen gepriesen hatte,<ref name="dikoetter_s48" /> wurde ihre flächendeckende Errichtung auf dem Land beschlossen und innerhalb von einem Monat durchgeführt. 1959 erwirtschafteten die Kommunen bereits 93 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion.<ref name="meng_s6" /> Die Kommunen sollten, anders als die bisherigen Kollektive, für alles zuständig sein. Mao pries sie als Mittel, Frauen von den Lasten des Haushalts zu befreien. Die Betreuung von Kindern und Alten sollte gemeinschaftlich erfolgen, die Versorgung mit Essen kommunale Großküchen übernehmen. Jedes Kommunenmitglied unterlag einer strengen Reglementierung und Militarisierung.<ref>Dabringhaus, S. 133.</ref> Etwa 25.000 Kommunen mit je etwa 5.000 Haushalten wurden bis Ende des Jahres 1958 eingerichtet. Einer durchschnittlichen Volkskommune gehörten damit zwischen 20.000 und 30.000 Menschen an. Es gab jedoch auch Volkskommunen mit über 100.000 Mitgliedern.<ref>Wemheuer, S. 9.</ref> Der Beitritt war zwingend, abgesehen von den Häusern ging jeglicher Besitz in die Kommunen über. Wie bereits während der ersten Kollektivierungswelle reagierten viele Bauern darauf mit dem Schlachten ihres noch in ihrem Besitz befindlichen Viehs.<ref>Dikötter, S. 49.</ref> Geschätzt wird, dass zwischen 1957 und 1958 der Viehbestand in der Volksrepublik China etwa um die Hälfte sank.<ref name="meng_s6" />
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Die Produktion von Kunstdünger wurde beschleunigt, allerdings auf einem noch niedrigen Niveau. Sie wuchs von 1957 bis 1962 von 0,37 auf 0,63 Mio. Tonnen (siehe Tabelle 1). Die Volkskommunen griffen aber auch auf fragwürdige Düngemittel zurück. Große Medienaufmerksamkeit erhielt die Leiterin einer Frauenvereinigung in [[Macheng]], die aus ihrem Haus auszog, um dessen Mauern als Dünger zur Verfügung zu stellen. Zwei Tage später waren 300 Häuser, fünfzig Rinder- und hunderte von Hühnerställen abgerissen, um als Dünger zu dienen. Bis Ende des Jahres waren mehr als 50.000 Gebäude zerstört.<ref>Dikötter, S. 38–39.</ref>
 
[[Datei:Kill bird and insect.jpg|mini|hochkant|Propaganda-Poster aus dem Jahre 1958: „Rottet die vier Plagen aus!“]]
Die Kampagne zur [[Ausrottung der vier Plagen]] zielte auf die Bekämpfung von Fliegen und anderen Schadinsekten, Ratten und von den als landwirtschaftliche Schädlinge eingestuften [[Passer (Gattung)|Sperlingen]] ab. Die daraufhin erfolgende Zunahme an Schadinsekten führte 1960 dazu, dass Bettwanzen statt Sperlinge verfolgt wurden.<ref>Becker, S. 76–77.</ref> Der in den Folgejahren zwangsläufig höhere Einsatz von Pestiziden führte teilweise zum Aussterben ganzer Bienenpopulationen (siehe dazu auch [[More than Honey]]).
 
Das von Vasily Williams propagierte tiefe Pflügen galt als weitere revolutionäre Methode, die Ernteerträge zu erhöhen. Ohne Zugmaschinen war tiefes Pflügen jedoch nur mit hohem Arbeitsaufwand zu erreichen und da das Pflügen häufig ohne Rücksicht auf den jeweiligen [[Bearbeitungshorizont]] des Bodens erfolgte, führte das Pflügen oft zu einer Verletzung der Bodenstruktur und einem entsprechenden Rückgang der Bodenfruchtbarkeit.<ref>Dikötter, S. 39.</ref> Die Volkskommunen wurden außerdem angewiesen, dichter zu säen oder die Pflanzen enger zu setzen, um die Erträge zu steigern. Auf einem [[Alte Maße und Gewichte (China)|Mu]], etwa 667 Quadratmeter, wurden in [[Hebei]] beispielsweise 20.000 [[Süßkartoffel]]- oder 12.000 [[Mais]]pflanzen gesetzt.<ref name="shapiro_s77">Shapiro, S. 77.</ref> Beeinflusst von den Lehrmeinungen Trofim Lyssenkos hatte Mao versichert, dass Pflanzen derselben Art nicht miteinander um Licht und Nährstoffe konkurrieren würden.<ref name="shapiro_s77" /> Von dem Historiker Frank Dikötter interviewte [[Zeitzeuge]]n wiesen regelmäßig darauf hin, dass ihnen bewusst war, dass diese Maßnahmen zu schlechteren Erträgen führen würden, sie aber aus Furcht, bestraft oder gar als Rechtsabweichler verurteilt zu werden, sich nicht zu widersetzen wagten.<ref>Dikötter, S. 40.</ref> Judith Shapiro nennt das Beispiel einer landwirtschaftlichen Forschungsanstalt, die unter dem Druck spektakuläre Erträge erzielen zu müssen, die Pflanzen mehrerer Reisfelder auf ein „Sputnik“-Feld umsetzten, um so die gewünschten 10.000 ''[[Alte Maße und Gewichte (China)|Jin]]'' pro Mu vorweisen zu können.<ref>Shapiro, S. 77–78.</ref> In einem anderen Landkreis wurde dem Vize-Parteisekretär, der daran zweifelte, dass auf einem Mu Land Erträge von 10.000 Jin (etwa 5 Tonnen) Reis erzielt werden könnten, mangelnder Glaube an seine kommunistische Partei vorgeworfen, er wurde zu öffentlicher Selbstbeschuldigung gezwungen und in ein Arbeitslager deportiert.<ref>Shapiro, S. 79.</ref>
 
Die an die Zentralregierung 1958 gemeldeten, meist stark übertriebenen Zahlen ließen für Baumwolle, Reis, Weizen und Erdnüsse hohe Ernten erwarten. So ging die Zentralregierung von einer Ernte von 525 MillionMillionen Tonnen Getreide aus, nachdem 1957 die Ernte noch 195 Millionen Tonnen betragen hatte.<ref name="tan">Wei Li, Dennis Yao Tang: '' {{Webarchiv|text=The Great Leap Forward: Anatomy of a Central Planning Disaster |url=http://www.aiecon.org/advanced/suggestedreadings/PDF/sug273.pdf |wayback=20120130184836}}.'' Universität von Virginia, März 2005.</ref> Als Chruschtschow im August 1958 in Peking zu Besuch war, sprach Mao unter anderem über den Erfolg des Großen Sprungs nach vorn. Man habe so viel Reis, dass man nicht wisse, was man damit tun solle. Auch Liu Shaoqi berichtete Chruschtschow während eines Treffens, dass nicht mehr Mangel an Nahrung ihre Sorge sei, sondern die Frage, was man mit solch einem Getreideüberschuss anfangen solle.<ref>Dikötter, S. 45.</ref>
 
Nach großer Euphorie Mitte des Jahres 1958 zeichnete sich Ende des Jahres ab, dass die erwartete Produktionssteigerung im Agrarsektor nicht in ausreichendem Umfang stattfinden und ein großer Durchbruch in diesem Bereich nicht möglich sein würde. Damit wackelte aber die Basis des Großen Sprungs. Der Ausbau des industriellen Sektors war nur durch eine massive Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion zu schaffen. Sei es um Getreide zu exportieren um Devisen zu erwirtschaften, sei es um die wachsende Stadtbevölkerung zu ernähren.
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|Text=Mit elf Millionen Tonnen Stahl im nächsten Jahr und 17 Millionen Tonnen Stahl im Jahr danach werden wir die Welt erschüttern. Wenn wir 40 Millionen Tonnen in fünf Jahren erreichen können, werden wir Großbritannien bereits in sieben eingeholt haben. Und weitere acht Jahre später werden wir mit den USA gleichgezogen sein.}}
[[Datei:Backyard furnace.jpg|mini|Minihochöfen, mit denen in den ländlichen Regionen Chinas Stahl produziert werden sollte]]
 
Die Jahresproduktionsmengen wurden jedoch bereits früher angehoben: Im Juni 1958 legte Mao das Ziel auf 10,7 Millionen fest und im September wurde das Ziel auf 12 Millionen Tonnen Stahl erhöht.<ref name="dikoetter_s57" /> Mao kam zu der Überzeugung, dass bis zum Ende der 1960er Jahre China ein Produktionsniveau an Stahl erreicht haben werde, das dem der Sowjetunion entspräche und im Jahre 1975 sollte China eine Jahresproduktion von 700 Millionen Tonnen Stahl ausweisen können.<ref name="Dikoetter_58" /> Unterstützung für diese ehrgeizigen Zielvorgaben fand Mao bei einer Reihe regionaler Parteiführer wie beispielsweise [[Tao Zhu]], Xie Fuzhi, [[Wu Zhipu]] oder [[Li Jingquan]], die alle außergewöhnliche Steigerungen in der Stahlproduktion zusicherten.<ref name="Dikoetter_58" />
 
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Eine der Ursachen war, dass Zahlenvorgaben gemacht wurden, die unter allen Umständen einzuhalten seien und die darüber liegende Ebene von auftretenden Problemen nichts wissen wollte. So wurden die Probleme auch nicht nach oben gemeldet bzw. dort ignoriert.
 
Ein großes Problem war, dass innerhalb weniger Monate überall im Land Stahl produziert werden sollte, dass es aber nicht überall Spezialisten gab, die wussten, wie man den Stahl herstellt. Daher die große Menge an unbrauchbarem Müll, der hergestellt wurde. Durch die Fixierung auf die Menge war es auch lohnender, eine größere Menge Stahl in schlechter Qualität herzustellen, statt sich auf Qualität zu konzentrieren.
Als gegen Ende der Druck weiter wuchs, wurden, statt Stahl zur Weiterverarbeitung für nützliche Geräte zu produzieren, nützliche Geräte zu unbrauchbarem Schrott eingeschmolzen, während die Führung in den Phantomzahlen der Stahlproduktion schwelgte.
 
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=== Hungersnot 1958 ===
{{Hauptartikel|Große Chinesische Hungersnot}}
 
Erste Anzeichen einer Hungersnot gab es bereits zu Beginn des Jahres 1958. Schon im März 1958 wurden auf einer Parteikonferenz Bedenken geäußert, dass die Beschäftigung der ländlichen Bevölkerung in den großen Wasserbauprojekten zu Nahrungsengpässen führen würde. Zusätzlich kam es im Verlauf des Jahres 1958 zu einer erheblichen Binnenmigration, bei der mehr als 15 Millionen Bauern in Städte zogen.<ref name="dikoetter_s61" /> Hinzu kam eine weitreichende Umsteuerung der Arbeitsressourcen der ländlichen Bevölkerung: im landwirtschaftlich geprägten [[Jinning]] waren von 70.000 arbeitenden Erwachsenen 20.000 an Wasserbauprojekten beteiligt, 10.000 am Bau einer Eisenbahnstrecke, weitere 10.000 in den neu aufgebauten Industrien und nur noch 30.000 waren an der Lebensmittelproduktion beteiligt.<ref name="dikoetter_s62">Dikötter, S. 62.</ref> Da es vor allem Männer waren, die zu den Arbeiten an Infrastrukturprojekten und in der Industrie abkommandiert wurden, waren es überwiegend Frauen, die der Feldbestellung nachgingen. Auf Grund der traditionellen Arbeitsteilung auf dem Land besaßen diese aber nur geringe Erfahrungen im Reisanbau mit entsprechenden Auswirkungen auf die Getreideernte.<ref name="dikoetter_s62" />
 
[[Datei:People's commone canteen3.jpg|mini|Gemeinschaftsversorgung in einer Volkskommune]]
Nahrungsengpässe im Frühjahr waren für das ländliche China, das zwischen 108 v. Chr. und 1911 n. Chr. 1.828 schwere Hungersnöte durchlitten hatte,<ref>Becker, S. 9.</ref> nicht untypisch. Untypisch war jedoch, dass sich der Nahrungsengpass während des Sommers in Teilen Chinas verschärfte, obwohl die neue Ernte die Nahrungssituation eigentlich hätte verbessern sollen.<ref>Dikötter, S. 67.</ref> Zu den schwer betroffenen Regionen gehörte die Provinz [[Yunnan]], die 1958 eine doppelt so hohe Sterberate aufwies wie im Jahr 1957. In [[Luxi (Honghe)|Luxi]], einem Kreis dieser Provinz, für den die lokalen Kader bereits 1957 höhere Ernteerträge als tatsächlich eingebracht gemeldet hatten, verhungerten nach Mai 1958 mehr als 12.000 Menschen, über sieben Prozent der Bevölkerung.<ref>Dikötter, S. 68.</ref> In [[Luliang]], wo ein lokaler Parteivorsitzender mit Hilfe der Miliz die Mitarbeit der Bevölkerung an einem Stauanlagenprojekt erzwungen hatte, verhungerten mehr als 1.000 Personen. Grundsätzlich handelte es sich bei diesen Hungersnöten jedoch um isolierte Einzelereignisse. Insgesamt waren im Jahr 1958 nicht mehr Menschen von Hungersnöten betroffen als in den Vorjahren (siehe Tabelle 4), die allgemeine Hungersnot begann erst 1959. Zwischen 1949 und 1958 waren die landwirtschaftlichen Erträge kontinuierlich gestiegen. Dazu trug die politische Stabilität nach den Jahren des Bürgerkriegs sowie die landwirtschaftliche Produktivitätssteigerung infolge der ersten Kollektivierungsbemühungen bei.<ref name="meng_s7">Meng u.&nbsp;a., S. 7 (siehe Weblinks)</ref>
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{{Zitat|...es hat tatsächlich Opfer unter den Arbeitern gegeben, aber das hält uns auf unserem Weg nicht auf. Das ist ein Preis, den wir zu zahlen haben und kein Anlass, besorgt zu sein. Wer weiß, wie viele Menschen auf den Schlachtfeldern und in den Gefängnissen [für die Revolution] geopfert wurden? Nun haben wir einige Fälle von Krankheit und Tod. Das ist nichts.}}
 
Ende des Jahres 1958 wurde klar, dass die Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft nicht realisiert werden konnten und dass vieles beim Großen Sprung schief gelaufenschiefgelaufen war. Mao beklagte sich über den Fanatismus ultralinker Kader und ab November 1958 wurde der Große Sprung Schritt für Schritt wieder zurückgestutzt.
 
== Viele kleine Schritte zurück ==
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== Die weitere Entwicklung 1959–1961 ==
''siehe auch den Hauptartikel'' [[Große Chinesische Hungersnot]]
 
=== Die Exporte 1959 ===
Engpässe in der Nahrungsversorgung wurden im Winter 1958/59 sichtbar. Jeder der Provinzen war ein zu liefernder Anteil an den zu exportierenden Mengen zugewiesen worden, aber gegen Ende 1958 waren die Führer der Provinzen zunehmend mit der Tatsache konfrontiert, dass diese Mengen nicht zur Verfügung standen. Im Januar 1959 konnte die Volksrepublik insgesamt nur 80.000 Tonnen Getreide exportieren. Im folgenden Monat gab die Provinz [[Hubei]] bekannt, man sei nur in der Lage, 23.000 Tonnen anstatt der geplanten 48.000 Tonnen zu liefern. In [[Anhui]] wies der Parteisekretär der Provinz, Zeng Xisheng, an, nur 5.000 statt geplanten 23.500 Tonnen zu liefern. [[Fujian]] lieferte gar nichts. Auch bei anderen Exportgütern blieben die Provinzen hinter ihren Quoten zurück.<ref>Dikötter, S. 81.</ref>
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=== Die Konferenz von Lushan ===
 
[[Datei:Peng Dehuai, Ye Jianying, Nikita Khrushchev, Nikolai Bulganin.jpg|mini|Peng Dehuai, Ye Jianying, Nikita Chruschtschow und Nikolai Bulganin 1958 wenige Wochen vor der Konferenz von Lushan]]
[[Datei:General Peng Dehuai.jpg|mini|hochkant|[[Peng Dehuai]], der auf der Konferenz von Lushan Mao Zedong für die Fehlentwicklung des Großen Sprungs nach vorne verantwortlich machte]]
 
==== Vorgeschichte ====
Nach den allgemeinen Jubelmeldungen zur Zeit der ersten Peitaho-Konferenz im August 1958 häuften sich negative Meldungen. Bereits auf dem ersten Chengchow-Treffen vom 2. bis 10. November 1958 war die rosige Stimmung des Sommers verflogen. Es waren Berichte aus den Provinzen eingetroffen, wonach viele Kader weit überzogen bis unsinnig gehandelt hätten. Der ausgerufene „kommunistische Wind“ hätte vielfach dazu geführt, dass jede Form des Privateigentums und manchmal sogar das Geld ganz abgeschafft worden wären, mit katastrophalen Folgen für die Gesellschaft.
 
Auf dem Wuchang-Treffen vom 21.–27 bis 27. November 1958 wurden als Konsequenz die auf der Peitaho-Konferenz festgesetzten Planziele (siehe Tabelle 7) drastisch verringert. Marschall Peng Dehuai, der zuvor, zur Erkundung der realen Situation im Land, eine ausgedehnte Inspektionsreise gemacht hatte, stellte fest, dass nach seinem Wissensstand die Produktion in der Landwirtschaft eher ab- als zugenommen habe. Von einer Rekordernte habe er nichts gesehen. Die Parteiführer sahen nun erst die Notwendigkeit, die Jubelmeldungen und Statistiken mit immer neuen Produktionsrekorden einer genauen Kontrolle zu unterziehen.
 
Auf dem sechsten Plenum vom 28. November bis 10. Dezember 1958 gab es einen weiteren Rückzug. Als Linksextremismus wurden alle Versuche verurteilt, die sozialistische Stufe überspringen zu wollen. Nach wie vor gelte die sozialistische Parole „Jedem nach seiner Leistung.“ und noch nicht die kommunistische Parole „Jedem nach seinen Bedürfnissen“. Es wurde beschlossen, den Bauern ihre Häuser und ihr Kleinvieh zurückzugeben. Gleichzeitig wurde wieder mehr Finanz- und Verwaltungskontrolle angekündigt. Mao gab auf diesem sechsten Plenum seinen Beschluss bekannt, 1959 nicht mehr für das Amt des Staatspräsidenten zu kandidieren und das Amt für Liu Shaoqi freizumachen. Mit sofortiger Wirkung übergab er die Tagesgeschäfte des Staatspräsidenten seinem Stellvertreter und Deng, dem Generalsekretär. Von diesem Zeitpunkt an verschwand Mao immer mehr von der Tagespolitik, die immer mehr von Liu, Deng und Peng beherrscht wurde.
 
Auf der zweiten Chengchow-Konferenz vom 27. Februar bis 10. März wurden weitere Schritte zur Normalisierung beschlossen. Mao betonte in seinen Grundsatzreden, dass den Kommunen zu viele Kompetenzen übertragen worden seien und dass der schädliche Übereifer ultralinker Kader anhalte. Maos Darstellungen waren teilweise mehr Rechtfertigungen und Entschuldigungen als Situationsbeschreibungen. Die Probleme der Volkskommunen schob er auf Tan Zhenlin ab, der fachlich dafür zuständig war. Für die Inflation der Produktionszahlen waren für ihn die Fachleute, die unverständliche Dokumente schrieben, und Kader, die falsche Angaben machten, zuständig. Die angespannte Stimmung in der Parteiführung beschrieb er folgendermaßen: „Viele Leute hassen mich, besonders Verteidigungsminister Peng Dehuai, er hasst mich bis zum Tod....&nbsp;… Meine Reaktion darauf ist: Wenn er mich nicht angreift, greife ich auch nicht an, aber wenn er angreift, dann schlage ich zurück.“
 
Organisatorisch wurde beschlossen, dass die Verrechnungseinheit für die Leistungen der Bauern den Volkskommunen entzogen und den darunterliegenden Arbeitsbrigaden übertragen wurde, um die Verantwortung wieder mehr an die Basis der Bauern zu verlagern in der Hoffnung, dadurch Auswüchse der Volkskommunen besser verhindern zu können.
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Im Juli 1959 trafen sich die führenden kommunistischen Kader im Erholungsort [[Lushan (Jiujiang)|Lushan]] in der Provinz [[Jiangxi]] zu einer ausgedehnten Konferenz.<ref name="hoffmann_k3" /><ref>Dikötter: Kapitel: ''The End of Truth.''<br />[[Jürgen Domes]], [[Marie-Luise Näth]]: ''Geschichte der Volksrepublik China'' (= ''Meyers Forum'' 5). BI-Taschenbuch-Verlag, Mannheim u.&nbsp;a. 1992, ISBN 3-411-10191-1, Kapitel: ''Der Sozialismus in der Dauerkrise (1959–1977)'', S. 44–78, hier S. 47</ref> Es sollte intensiv darüber diskutiert werden, wie es mit dem Großen Sprung weitergehen solle. Mao Zedong eröffnete das als [[Konferenz von Lushan]] in die Geschichte eingegangene Treffen am 2. Juli mit einer Rede, die die Errungenschaften des Großen Sprungs nach vorn hervorhob und den Enthusiasmus und die Energie der chinesischen Bevölkerung pries. Er wiederholte seine Darstellung von den zehn Fingern, von denen neun nach vorne, aber nur einer nach hinten zeige. Man sollte nicht nur den einen Finger betrachten, der nach hinten zeige. Zusammengenommen sei der Große Sprung ein Erfolg.<ref>Dikötter, S. 91.</ref> Danach gab es mehrere Tage lang informelle Gespräche und Arbeitsgruppen, in denen alle Aspekte des Großen Sprungs diskutiert werden sollten. Mao, der an den Gesprächen nicht teilnahm, war der Einzige, der am Ende des Tages einen Bericht über die Diskussionen jeder Gruppe erhielt. In der lockeren und intimen Gesprächsatmosphäre der kleinen Gruppen äußerten sich einige der Kader offen über die Hungersnöte, die übertriebenen Produktionszahlen und den von Kadern begangenen [[Machtmissbrauch]]. Einer der offensten Kritiker war [[Peng Dehuai]], der seit 1954 [[Verteidigungsministerium der Volksrepublik China|Verteidigungsminister der Volksrepublik China]] war. Mao und Peng hatten schon seit dem Koreakrieg ein sehr schlechtes Verhältnis zueinander, und bereits im März 1959, auf dem erweiterten Politbürotreffen in Shanghai hatte Peng Mao vorgeworfen, einsame Beschlüsse zu fassen und das Politbüro zu ignorieren. Jetzt hatte Peng wieder eine Inspektionstour in seine Heimat [[Xiangtan]] in der Provinz [[Hunan]] unternommen und das große Elend im Land gesehen. Peng begnügte sich nicht mit einer Beschreibung der aktuellen Verhältnisse, sondern griff den maoistischen Führungsstil offen an und erklärte Mao für das Scheitern der Großen Sprungs persönlich verantwortlich. Insgesamt bewegte sich die Diskussion von der reinen Frage der Probleme der Kollektive auch auf die Frage der Verantwortlichen für die Probleme, mit Mao als Hauptverantwortlichem.
 
Mao selbst äußerte sich erstmals am 10. Juli und betonte, dass die Errungenschaften des letzten Jahres die Fehlschläge bei Weitem überwögen. Als dies bei den Versammelten auf keinen Widerspruch stieß, schrieb Peng Mao einen langen Brief, den er am 14. Juli 1959 Mao überreichen ließ. Peng hob zunächst die Erfolge des Großen Sprungs hervor und schloss nicht aus, dass man das Produktionsniveau Großbritanniens möglicherweise bereits in vier Jahren erreicht haben werde (als Produktionsniveau wurde in diesem Zusammenhang stets nur die Menge an Stahl und Getreide betrachtet), er betonte aber auch, dass es ''„zu linksabweichlerischen Fehleinschätzungen gekommen [sei], die man als kleinbürgerlichen Fanatismus bezeichnen könne“''. Allerdings konnte sich Peng auch ironischer Rundumschläge und persönlicher Angriffe nicht enthalten wie: „Eine Wirtschaft aufzubauen ist eben nicht so einfach wie eine Stadt zu bombardieren.“<ref>Inhaltsangabe des Briefes und Zitate aus Spence: Mao, S. 201f.</ref> Obwohl Peng diesen Brief lediglich an Mao persönlich richtete und um eine ebensolche Einschätzung und Bewertung seiner Ansichten bat, ließ Mao diesen Brief vervielfältigen und am 17. Juli an alle 150 Teilnehmer des Treffens verteilen. Dies wurde zunächst als Zeichen dafür gedeutet, dass Pengs Ansichten eine Grundlage für weitere Diskussionen sein könnten, sodass in den nächsten Tagen einige Anwesende die Position Pengs unterstützten, darunter [[Zhang Wentian]], Zhou Xiaozhou, [[Li Xiannian]], [[Chen Yi]] und der extra aus Peking herbeibeorderte [[Huang Kecheng]].
 
Es gab nun drei Ereignisse, die den Streit eskalieren ließen und nicht nur Mao das Gefühl gaben, dass hier ein Angriff auf die Parteiführung im Gange sei. Mao sprach von einem Zangengriff auf den Vorsitzenden.
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==== Reaktionen der Bevölkerung ====
Die ländliche Bevölkerung griff während der Hungersnot zunächst auf traditionelle Notnahrungsmittel wie Baumrinde und -blätter, Gras und Wildkräuter zurück. Mit zunehmender Not wurde der Tod einzelner Familienmitglieder verschwiegen, um so an ihre Lebensmittelrationen zu gelangen, Frauen [[Prostitution|prostituierten]] sich gegen Lebensmittel, Kinder wurden ausgesetzt oder [[Kinderhandel|verkauft]]. Aus den meisten Regionen wird auch von Kannibalismus berichtet.<ref>Becker, S. 211–219.</ref>
 
Eine Binnenmigration in von der Hungersnot weniger betroffene Regionen Chinas war eine traditionelle Reaktion auf schwerwiegende Nahrungsengpässe. Dazu kam es auch während des Großen Sprung nach vorn. Da die Bevölkerung jedoch keine Information über das Ausmaß der Hungersnot hatte, starben viele auf der Flucht, weil ihr Weg sie in Regionen führte, deren Nahrungssituation nicht besser war.<ref name="Becker_s151">Becker, S. 151.</ref> Gleichzeitig versuchte in einigen Regionen die Miliz diese Fluchtbewegungen zu verhindern. In Henan und Anhui, zwei von der Hungersnot besonders betroffene Regionen, errichtete die Miliz Straßensperren. In [[Xinjiang]] wurden [[Kasachen]], die über die Grenze zu ihren Stammesangehörigen in der Sowjetunion fliehen wollten, erschossen.<ref name="Becker_s151" /> Eine Ausnahme davon stellten einige Kreisregierungen in [[Hebei]] dar, die eine Auswanderung in die [[Mandschurei]] unterstützten.<ref>Becker, S. 152.</ref>
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Zu den außenpolitischen Erfolgen der Volksrepublik gehörten mehrere Besuche ausländischer Politiker, denen auf Grund der Abschirmmaßnahmen während ihres Besuches ausgewählter Vorzeigekommunen das Ausmaß der Not verborgen blieb. Gegenüber [[François Mitterrand]], der zu dem Zeitpunkt [[Senat (Frankreich)|Senator]] des Wahlkreises [[Département Nièvre|Nièvre]] war, erklärte Mao 1961, dass China keine Hungersnot erleide, sondern lediglich einige Engpässe durchlebe.<ref name="dikoetter_s215">Dikötter, S. 215.</ref> John Temple, konservatives Mitglied des britischen Parlaments kehrte gegen Ende des Jahres 1960 von einem Besuch in China zurück und erklärte, dass Kommunismus funktioniere und das Land große Fortschritte gemacht habe.<ref name="dikoetter_s215" /> Die [[Deutsche Demokratische Republik|DDR]] hatte 1960 noch die Einführung der Volkskommunen begrüßt, die mit der eigenen weiteren Kollektivierung und der Einführung der [[Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft|Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften]] parallel lief. Als chinesische Aussteller 1960 auf der [[Agra (Landwirtschaftsausstellung)|Landwirtschaftsausstellung in Markkleeberg]] allerdings das chinesische Konzept der Gemeinschaftsernährung propagierten, sah man sich auf Seiten der DDR dazu veranlasst mitzuteilen, dass die Einführung von zentralen Kantinen bei den LPGs der DDR nicht vorgesehen sei.<ref>Anja Feege: ''Die DDR und China 1949 bis 1990. Politik – Wirtschaft – Kultur. Eine Quellensammlung'' Herausgegeben von [[Werner Meißner (Wirtschaftswissenschaftler)|Werner Meißner]]. Akademie-Verlag, Berlin 1995, ISBN 3-05-002806-8, S. 116.</ref>
 
Im April 1962 flohen etwa 140.000 Menschen aus der Volksrepublik nach [[Hongkong]], die Hungerkatastrophe wurde damit auch der Weltöffentlichkeit bekannt.<ref name="ST" /> Dabei hatten die festlandschinesischenfestlandchinesischen Behörden zeitweilig die Grenzen geöffnet.<ref name="ST" /> Die britischen Behörden der Kronkolonie wandten sich unter anderem an die Amerikaner und schlugen mögliche Nahrungsmittelverkäufe vor. Spenden wurden abgelehnt, insbesondere weil man davon ausging, dass dies weder in der amerikanischen Öffentlichkeit angenommen worden wäre noch die chinesisch-amerikanischen Beziehungen verbessert hätte.<ref name="ST" /> Die amerikanische Regierung wurde durch das Konsulat in Hongkong detailliert über die Veränderungen auf dem chinesischen Festland informiert und hatte 1962 durch infolge des [[Tibetaufstand 1959]] vom CIA ausgebildete Tibeter Zugriff auf geheime Dokumente der Volksbefreiungsarmee erhalten.<ref name="ST">Sean Matthew Turner: ''Containment and Engagement. U.S. China Policy in the Kennedy and Johnson Administrations.'' Adelaide 2008 (University of Adelaide, School of History and Politics, Discipline of History, phil. Dissertation).</ref> Die politische Szene in Washington nahm die Veränderungen erst mit dem Beginn der [[Kulturrevolution]] breiter zur Kenntnis, was unter Nixon zur [[Ping-Pong-Diplomatie]] führte.<ref>Victor S. Kaufman: ''A response to chaos: the United States, the Great Leap Forward, and the Cultural Revolution, 1961–1968.'' In: ''The Journal of American-East Asian Relations.'' Vol. 7, 1998, {{ISSN|1058-3947}}, S. 73–92.</ref>
 
== Ergebnisse ==
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{{Anker|Tabelle 5}}'''Tabelle 5'''<br />
Die folgende Tabelle zeigt dieden Anteil der Steuereinnahmen regionalen Institutionen im Vergleich zu den Einnahmen der Staatsregierung.
{| class="wikitable" style="text-align:right"
|+ Entwicklung der finanzpolitischen Dezentralisierung (1953–2005)<ref>Chenggang Xu: ''The Fundamental Institutions of China’s Reform and Development.'' In: ''Journal of Economic Literature.'' Vol. 49, Nr. 4, 2011, {{ISSN|0022-0515}}, S. 1076–1151, {{Webarchiv|text=Version 2nd May 2010 |url=http://www.sef.hku.hk/~cgxu/publication/Xu_China%27s_Institution_JEL2010.pdf |wayback=20110313054733}} (PDF; 531 kB).</ref>
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{{Anker|Tabelle 7}}'''Tabelle 7'''<br />
Während des ersten Fünfjahresplans stieg die Industrieproduktion steil an. Zwischen 1952 und 1957 siegstieg die Stahlproduktion von 1,5 auf 5,4 Mio. Tonnen, die Stromproduktion von 7,3 auf 19,3 Mrd. kWh. Die Getreideproduktion stieg von 164 Mio. Tonnen auf 195 Mio. Tonnen. Beflügelt von den bisherigen Erfolgen erlag die Regierung einer weit überzogenen Erwartungshaltung. Die folgende Tabelle zeigt die Erwartung der chinesischen Führung Ende des Jahres 1958 für die Produktion der Jahre 1958 und 1959.
{| class="wikitable" style="text-align:right"
|+ Erwartung für die chinesische Volkswirtschaft im Nationalen Wirtschaftsplan vom 10. Dezember 1958, für die Jahre 1958 und 1959<ref name="shicheng_scribd" />
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== Neuausrichtung ==
 
Nach der Begeisterung für den Großen Sprung im Sommer 1958 begann bereits Ende des Jahres 1958 eine „Adjustierung“ des Großen Sprungs. Schrittweise wurden Vorgaben des Großen Sprungs zurückgenommen. Trotzdem verbesserte sich die Lage nicht, sie wurde immer schlimmer. Da sich die Meldungen über Hungersnöte häuften, die Partei- und Staatsführung sich aber kein Bild machen konnte, ob dies einzelne isolierte Ereignisse seien oder ob die Hungersnot weiter verbreitet sei, wurde Ende 1960 beschlossen, dass führende Politiker wie Deng Xiaoping, Zhou Enlai, Peng Zhen, Li Xiannian, Liu Shaoqi und Mao etliche Wochen das Land, mit möglichst wenig Gefolge, bereisen sollten, um sich selbst ein Bild zu machen. Bei diesen Reisen sahen sie nicht nur die katastrophale Lage im Land, sondern auch, wie sich Parteikader als Diktatoren aufspielten und sich hemmungslos am Gemeineigentum gütlich taten. Liu Shaoqi beklagte sich bitter, dass anscheinend alle Briefe, die an ihn geschrieben wurden, von den lokalen Behörden abgefangen worden waren. Er sagte: „Wir wurden hoffnungslos im Dunkeln gehalten.“ Sicher war bei all dieser Entrüstung auch Selbstrechtfertigung dabei, massiver Handlungsbedarf war aber jetzt offensichtlich.
 
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== Forschungsgeschichte ==
Dem „Großen Sprung nach vorne“ und der daraus hervorgehenden Hungersnot wurden in der westlichen Welt bis in die 1980er Jahre weder in der akademischen Forschung noch in den Medien größere Aufmerksamkeit geschenkt. Dazu trug auch bei, dass die chinesische Regierung darum bemüht war, die Folgen dieser Kampagne vor der Weltöffentlichkeit geheim zu halten.<ref name="wemheuer_s5">Wemheuer, S. 5.</ref> Erst 1981 bewertete die chinesische Regierung mit der ''„Resolution über einige Fragen der Geschichte der KP Chinas seit 1949“'' diese Kampagne negativ. Die 1982 erfolgende Volkszählung machte darüber hinaus die große Zahl der Hungertoten deutlich, klar erkennbar war außerdem der starke Rückgang der Geburtenrate in den Jahren 1959 bis 1961.<ref name="wemheuer_s5" /> In der westlichen Welt wurde die Kampagne jedoch vorrangig als Ursprung der Kulturrevolution gewertet. Als eigenständiges Ereignis wurde der „Große Sprung nach vorn“ in der westlichen Welt erst ab den 1990er Jahren eingeordnet, als die Rolle Mao Zedongs zunehmend im Interesse der akademischen Forschung stand.<ref>Wemheuer, S. 6.</ref>
 
Insbesondere die frühen 1980er Jahre brachten eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten zum Großen Sprung hervor. [[Maurice Meisner]] bezeichnete die Ablösung Maos durch Liu Shaoqi im Gefolge des Großen Sprungs als den Moment des [[Thermidor]] in der chinesischen Revolution.<ref>Arif Dirlik, Maurice Meisner (Hrsg.) ''Marxism and the Chinese experience. Issues in contemporary Chinese socialism.'' Sharpe, Armonk NY u.&nbsp;a. 1989, ISBN 0-87332-515-X; dito: Maurice Meisner: ''Mao’s China and After. A History of the People’s Republic.'' Revised and expanded edition. Free Press u.&nbsp;a., New York NY 1986, ISBN 0-02-920880-7.</ref> Bekannt wurde ein Beitrag von [[Judith Banister]] in ''[[China Quarterly]]''<ref>Judith Banister: ''Population Policy and Trends in China, 1978–83.'' In: ''The China Quarterly.'' Nr. 100, Dec. 1984, {{ISSN|0305-7410}}, S. 717–741, [[doi:10.1017/S0305741000024061]]; Judith Banister: ''An Analysis of Recent Data on the Population of China.'' In: ''Population and Development Review.'' Vol. 10, Nr. 2, June 1984, {{ISSN|0098-7921}}, S. 241–271.</ref> mit dem sich die Zahl von 30 Millionen Todesopfern in der US -Presse einzupendeln begann. Wim F. Wertheim kritisierte dies als übertrieben.<ref name="NOTBAD">''{{Webarchiv|url=http://www.atimes.com/atimes/China/FD01Ad04.html |wayback=20180818205836 |text=Mao and Lincoln (Part 2): The Great Leap Forward not all bad }}.'' In: ''Asia Times.'' 1. April 2004 (abgerufen am 3. Juli 2006).</ref> [[Jung Chang]] argumentierte in ''Mao. The Unknown Story'', dass Mao mit großen Opferzahlen rechnete und diese auch offen und bewusst in Kauf genommen hätte.<ref>Jung Chang, Jon Halliday: ''Mao. The Unknown Story.'' Jonathan Cape, London, 2005, ISBN 0-224-07126-2, S. 457.</ref> Auf Basis dieser Daten bezeichnete [[Rudolph Joseph Rummel]] das Massensterben im Zusammenhang mit dem Großen Sprung als „[[Demozid]]“.<ref>{{Internetquelle |url=https://democraticpeace.wordpress.com/2008/11/24/getting-my-reestimate-of-maos-democide-out/ |titel=Getting My Reestimate Of Mao’s Democide Out |datum=2005-11-30 |abruf=2007-04-09 |autor=R. J. Rummel}}</ref>
[[Steven Rosefielde]] beschrieb die Ursache als eine Kombination aus Terror und Verhungernlassen, in dem Sinne eher Totschlag oder gar Mord als eine unvermittelt auftretende Hungersnot.<ref>Steven Rosefielde: ''Red Holocaust.'' Routledge, London u.&nbsp;a. 2010, ISBN 978-0-415-77756-8.</ref> Eine vom Historiker Frank Dikötter durchgeführte und 2010 veröffentlichte Studie ermittelte u.&nbsp;a. auf Grundlage chinesischer Archivbestände die Gesamtzahl von mindestens 45 Millionen Hungertoten. Der chinesische Historiker Yu Xiguang errechnete 55 Millionen Tote.
 
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=== Quellenlage ===
Quelle für die Schätzungen der Opferzahl sind die durch die Volkszählung von 1982 erstellten offiziellen Statistiken über Geburts- und Sterblichkeitsraten. Je nach Rechenmethode und wissenschaftlichen Theorien kam man auf Zahlen zwischen 16 und 30 Millionen Toten. Eine weitere Quelle ist der 1989 übergelaufene Chen Yizi, der an einer Untersuchung des Instituts für Systemreform teilnahm, das in einer Studie 43 bis 46 Millionen Todesopfer ermittelt haben soll.<ref>Felix Wemheuer: ''Chinas „Grosser Sprung nach vorne“ (1958–1961). Von der kommunistischen Offensive in die Hungersnot. Intellektuelle erinnern sich'' (= ''Strukturen der Macht.'' Band 12). Lit, Münster 2004, ISBN 3-8258-8086-9, S. 26 f., [http://books.google.de/books?id=wpynXUejKvIC&pg=PA26&lpg=PA26&dq=%22wie+viele+menschen+starben+in+der+hungersnot%22&source=bl&ots=6bnRqjJySe&sig=6hYfMs6uPHeV1V36dNGsnShCTRg&hl=de&ei=SvHBTJS0I8eEOrK7zZoM&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1&ved=0CCMQ6AEwAA#v=onepage&q=%22wie%20viele%20menschen%20starben%20in%20der%20hungersnot%22&f=false (online)]</ref> Dikötter wies darauf hin, dass nach Beendigung der Kampagne systematisch Befehle ergingen, die Bevölkerungszahlen nach oben zu manipulieren (z.&nbsp;B. in Fuling, Kreis Sichuan, um ein Sechstel mehr), außerdem wurden viele Hungertode als "natürlich" eingestuft (z.&nbsp;B. galten in Fuyang, einem Ort des Massensterbens, nur 5 % der Hungertoten als "unnatürlich gestorben").
 
== Siehe auch ==