„Paulskirchenverfassung“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Bilderrevolution0235.jpg|mini|[[Reichsgesetzblatt (Frankfurter Nationalversammlung)|Reichsgesetzblatt]] mit der Reichsverfassung]]
Die '''Verfassung des deutschen Reiches''' vom 28. März 1849, auch '''Frankfurter Reichsverfassung''' (FRV) oder '''Paulskirchenverfassung''' genannt, war die [[Verfassung]] für einen deutschen [[Bundesstaat (Föderalerföderaler Staat)|Bundesstaat]]. Erarbeitet wurde sie von der [[Frankfurter Nationalversammlung]] in der Zeit der [[Deutsche Revolution 1848/1849|Revolution von 1848/1849]] für das entstehende ''[[Deutsches Reich 1848/1849|Deutsche Reich]]'', die sich zur [[Volkssouveränität]] bekannte und bereits eine [[Reichsgesetz über die Einführung einer provisorischen Zentralgewalt für Deutschland|vorläufige Zentralgewalt für Deutschland]] geschaffen hatte. Nach Ansicht der Nationalversammlung trat die am 27. März verabschiedete Verfassung mit der Verkündung in Kraft. 28 deutsche [[Regierung]]en folgten in der [[Note der Achtundzwanzig]] dieser Auffassung.
 
Allerdings erkannten die größten deutschen Staaten die Paulskirchenverfassung nicht an. Stattdessen bekämpften sie die Verfassung und die Nationalversammlung aktiv. Ihrer Meinung nach musste eine deutsche Verfassung mit ihnen vereinbart werden ([[Verfassungsvereinbarung]]). Außerdem fanden viele konservative Regierungen die Frankfurter Reichsverfassung zu liberal. Im Hintergrund spielte auch der [[Deutscher Dualismus|Machtkampf zwischen Preußen und Österreich]] mit: Gerade die süddeutschen Königreiche bevorzugten einen Staatenbund unter Einschluss von [[Kaisertum Österreich|Österreich]].
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Die FRV war die erste gesamtdeutsche und demokratische Verfassung Deutschlands. Die [[Erfurter Unionsverfassung]] von 1849/50 stellte weitgehend eine Kopie dar, die allerdings konservativer und föderalistischer war. Damit sollte sie für die Mittelstaaten annehmbarer werden. Auch diese Verfassung wurde schließlich von den großen Staaten nicht angenommen. In den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten inspirierte die FRV Politiker und hatte Einfluss auf Landesverfassungen und gesamtdeutsche Verfassungen (siehe [[Rezeption der Frankfurter Reichsverfassung]]). Das gilt vor allem für den Grundrechtskatalog der FRV.
 
== Bezeichnung, Originaldokument und Hintergrund ==
Die [[Frankfurter Nationalversammlung|Nationalversammlung]] betitelte das entsprechende Dokument als ''Verfassung des Deutschen Reiches'' und verwendete darin und ansonsten den Ausdruck „Reichsverfassung“. Das juristische Schrifttum und die Geschichtswissenschaft schreiben unter anderem „Reichsverfassung von 1849“ oder „Frankfurter Reichsverfassung“ mit der oft verwendeten Abkürzung FRV. Da die Nationalversammlung ihre Sitzungen überwiegend<ref>Zu Einzelheiten Simon Kempny: ''Auf dem Weg zum deutschen Bundesstaat. Der zweite den Abschnitt von der Reichsgewalt betreffende Entwurf der Vorkommission des Verfassungsausschusses der deutschen verfassunggebenden Nationalversammlung vom 26. September 1848.'' Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung (ZRG GA), Band 129 (2012), S. 391 Fn. 3.</ref> in der Frankfurter [[PaulskircheFrankfurter (Frankfurt)|Paulskirche]] abhielt, hat sich auch die (nicht zeitgenössische) Bezeichnung „Paulskirchenverfassung“ oder „Verfassung der Paulskirche“ eingebürgert.
 
Das [[Originalexemplare der Frankfurter Reichsverfassung|Originaldokument]] der Verfassung war nach dem Zweiten Weltkrieg verschollen, bis es im Jahr 1951 durch den damals 17-jährigen [[Klaus Trieglaff]] auf einem Schutthaufen in [[Potsdam]] am Ufer des [[Jungfernsee]]s gefunden wurde. Trieglaff brachte es 1953 in das Berliner [[Museum für Deutsche Geschichte|Museum Deutsche Geschichte]]. Heute ist es im [[Deutsches Historisches Museum|Deutschen Historischen Museum]] archiviert und wird 2023 in einer Ausstellung zum 175-jährigen Jubiläum des ersten gesamtdeutschen [[Parlament]]s in der Abgeordnetenlobby des [[Reichstagsgebäude]]s gezeigt.<ref>{{Literatur |Autor=Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste |Titel=Odyssee einer Urkunde |Hrsg=Deutscher Bundestag |Ort=Berlin |Datum=2023-02 |Seiten=75}}</ref>
Deutschland war nach der Herrschaft [[Napoleon Bonaparte|Napoleons]] 1815 als [[Deutscher Bund]] neuorganisiert worden. Es handelte sich um einen [[Staatenbund]], der für Sicherheit nach außen und innen sorgen sollte. Der [[Bundeszweck (Deutscher Bund)|Bundeszweck]] war damit sehr eingeschränkt; es war beispielsweise nicht die Aufgabe des Bundes, wer das lies ist dumm die Rechtsverhältnisse zu vereinheitlichen oder einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu schaffen. Grundlage für das [[Bundesrecht (Deutscher Bund)|Bundesrecht]] waren vor allem die [[Deutsche Bundesakte|Bundesakte]] von 1815 und die [[Wiener Schlussakte]] von 1820. Zusammen bildeten sie die eigentliche Bundesverfassung. Für wesentliche Veränderungen des Bundes war Einstimmigkeit vonnöten.
 
Deutschland war nach der Herrschaft [[Napoleon Bonaparte|Napoleons]] 1815 als [[Deutscher Bund]] neuorganisiert worden. Es handelte sich um einen [[Staatenbund]], der für Sicherheit nach außen und innen sorgen sollte. Der [[Bundeszweck (Deutscher Bund)|Bundeszweck]] war damit sehr eingeschränkt; es war beispielsweise nicht die Aufgabe des Bundes, wer das lies ist dumm die Rechtsverhältnisse zu vereinheitlichen oder einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu schaffen. Grundlage für das [[Bundesrecht (Deutscher Bund)|Bundesrecht]] waren vor allem die [[Deutsche Bundesakte|Bundesakte]] von 1815 und die [[Wiener Schlussakte]] von 1820. Zusammen bildeten sie die eigentliche Bundesverfassung. Für wesentliche Veränderungen des Bundes war Einstimmigkeit vonnöten.
Das wichtigste Bundesorgan, der [[Bundestag (Deutscher Bund)|Bundestag]], war ein Gesandtenkongress der Einzelstaaten, es gab also keine Regierung, kein Parlament und kein Gericht und damit keine Gewaltenteilung. Der Bund entwickelte sich auch nicht in diese Richtung, denn die größten Mitglieder (vor allem [[Kaisertum Österreich|Österreich]], [[Königreich Preußen|Preußen]] und [[Königreich Bayern|Bayern]]) hatten kein Interesse an einer [[Reform des Deutschen Bundes|Bundesreform]]. Für sie diente der Bund in erster Linie zur Unterdrückung [[Nationalismus|nationaler]], [[Liberalismus|liberaler]] und [[Demokratie|demokratischer]] Bestrebungen.
 
Das wichtigste Bundesorgan, der [[Bundestag (Deutscher Bund)|Bundestag]], war ein Gesandtenkongress[[Gesandte]]nkongress der Einzelstaaten, es gab also keine Regierung, kein Parlament und kein Gericht und damit keine Gewaltenteilung. Der Bund entwickelte sich auch nicht in diese Richtung, denn die größten Mitglieder (vor allem [[Kaisertum Österreich|Österreich]], [[Königreich Preußen|Preußen]] und [[Königreich Bayern|Bayern]]) hatten kein Interesse an einer [[Reform des Deutschen Bundes|Bundesreform]]. Für sie diente der Bund in erster Linie zur Unterdrückung [[Nationalismus|nationaler]], [[Liberalismus|liberaler]] und [[Demokratie|demokratischer]] Bestrebungen.
 
== Zustandekommen ==
=== Frühe Entwürfe 1847/1848 ===
[[Datei:Deutscher Bund.svg|mini|Deutscher Bund 1815–1848 und wieder 1851–1866]]
[[Datei:German Revolution Chart 01 DE.svg|mini|Vom alten Bundestag zur Wahl der Nationalversammlung, März bis Mai 1848]]
 
In den Jahrzehnten nach 1815 dachte selbst die Opposition weniger an eine Weiter- oder Umbildung des Deutschen Bundes, sondern eher an die richtige Anwendung der [[Bundesakte]]. Dies änderte sich erst Ende 1847 beispielsweise durch die oppositionellen Versammlungen von Offenburg (12. September) und [[Heppenheimer Tagung|Heppenheim]] (10. Oktober).<ref>Jörg-Detlef Kühne: ''Die Reichsverfassung der Paulskirche. Vorbild und Verwirklichung im späteren deutschen Rechtsleben.'' Habil. Bonn 1983, 2. Auflage, Luchterhand, Neuwied 1998 (1985), S. 34.</ref> Ihre Kernforderungen finden sich in einem berühmten Antrag wieder, den [[Friedrich Daniel Bassermann]] in der badischen Zweiten Kammer am 5./12. Februar 1848 stellte. Demzufolge sollte die Bundesverfassung reformiert werden, so dass neben dem Bundestag eine nationale Vertretung der Ständekammern der Einzelstaaten zustande käme. [[Heinrich von Gagern]] präsentierte am 28. Februar in der [[Großherzogtum Hessen|großherzoglich-hessischen]] Zweiten Kammer einen Plan für ein vorläufiges Bundesoberhaupt, eine Nationalregierung und ein gewähltes Nationalparlament.<ref>[[Ernst Rudolf Huber]]: ''Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789.'' Band II: ''Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850''. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart u.&nbsp;a. 1988, S. 590.</ref>
 
Im Februar und März kam es zu zwei parallelen Bestrebungen, die Bundesverfassung zu erneuern oder zu ersetzen:
* Der beunruhigte Bundestag traf [[Bundestagsbeschlüsse 1848|mehrere Reformbeschlüsse]] und setzte einen Siebzehnerausschuss ein. Dieser stellte im April mit dem [[Siebzehner-Entwurf|Siebzehnerentwurf]] einen relativ ausführlichen Verfassungsentwurf vor. Es gelang aber nicht, eine Bundesregierung und eventuell andere neue Organe einzurichten.
* Am 5. März 1848 trafen sich Liberale und Demokraten in der [[Heidelberger Versammlung der 51]]. Sie wählten sieben Teilnehmer, dieden [[Siebenerausschuss]], welcher ein sogenanntes [[Vorparlament]] in Frankfurt vorbereiten sollten. Das Vorparlament setzte wiederum einen [[Fünfzigerausschuss]] ein, der den Bundestag kritisch begleiten sollte, bis eine Nationalversammlung gewählt war. Diese Gremien und Versammlungen waren an sich private Initiativen, aber doch von großer öffentlicher Bedeutung.
 
Der [[Siebzehner-Entwurf]] sah ein Parlament mit Volksvertretung und Staatenvertretung vor und erstmals einen erblichen Kaiser. Die zeitgenössischen Politiker lehnten den Entwurf scharf ab, weil er ihren eigenen Interessen nicht genug entsprach, von Verfassungshistorikern erhielt er hingegen Lob, weil er knapp und genau war und klare Entscheidungen in wesentlichen Fragen traf.<ref>Jörg-Detlef Kühne: ''Die Reichsverfassung der Paulskirche. Vorbild und Verwirklichung im späteren deutschen Rechtsleben.'' Habil. Bonn 1983, 2. Auflage, Luchterhand, Neuwied 1998 (1985), S. 43.</ref> Ein Problem war, dass bei der Wahl einer einzigen Person als [[Reichsoberhaupt 1848–1850|Reichsoberhaupt]] sogleich die Frage aufkam, wer dieser Kaiser sein sollte.<ref>Ernst Rudolf Huber: ''Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band II: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850''. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart [u.&nbsp;a.] 1988, S. 769–773.</ref>
 
Uneinigkeit zwischen Liberalen und Demokraten ([[Vorparlament]]), aber auch Widerstände der Einzelstaaten führten dazu, dass in dieser Periode die Bundesverfassung im Wesentlichen bestehen blieb. Umso mehr richteten sich die Hoffnungen auf die bald zu wählende Nationalversammlung.
 
=== Vorparlament März/April 1848 ===
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{{Hauptartikel|Deutsches Reich 1848/1849}}
 
In der Nationalversammlung (ab 18. MärzMai 1848) und der Zentralgewalt (ab 28./29. Juni 1848) konnte man neue, revolutionäre Organe sehen, oder aber neue Organe des bereits bestehenden [[Deutscher Bund|Deutschen Bundes]], der stillschweigend in ''Deutsches Reich'' umbenannt worden war.<ref>Ernst Rudolf Huber: ''Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band II: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850''. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart [u.&nbsp;a.] 1988, S. 634/635.</ref> Jedenfalls bezeichnete sich die Nationalversammlung in den Reichsgesetzen als ''Reichsversammlung'' und in der Zentralgewalt setzte der Reichsverweser [[Johann von Österreich]] ''Reichsminister'' ein. Artikel&nbsp;I. der Verfassung bezieht sich ausdrücklich auf den Bund:
:§&nbsp;1. Das deutsche Reich besteht aus dem Gebiete des bisherigen deutschen Bundes.
Beispielsweise in Abschnitt II (§&nbsp;87) nennt die Verfassung das Reich auch „[[Bundesstaat (Föderalerföderaler Staat)|Bundesstaat]]“, wie es bereits das Zentralgewaltgesetz getan hatte. Die Verhältnisse [[Herzogtum Schleswig|Schleswigs]] sollen später geklärt werden (§&nbsp;1), außerdem wird die Tür für die „deutsch-österreichischen Lande“ offengelassen (§&nbsp;87). Ferner geht die Verfassung wie selbstverständlich von der Existenz ''deutscher Staaten'' (zum Beispiel §&nbsp;86) aus, zuweilen heißt es auch ''deutsche Länder'' (§&nbsp;2) oder ''Einzelstaaten'' (§&nbsp;24).
 
Mit Reichsgewalt ist zuweilen die Reichsebene gemeint, also die oberste nationale Ebene im föderalen Staatsaufbau. Der Ausdruck kann sich aber auch konkreter auf die Exekutive der Reichsebene beziehen und damit letztlich auf den Kaiser. Abschnitt II „Die Reichsgewalt“ definiert die Kompetenzen des Reiches, wobei weitere Kompetenzen<ref>Ernst Rudolf Huber: ''Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band II: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850''. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart [u.&nbsp;a.] 1988, S. 823.</ref> in anderen Abschnitten auftauchen. In der Regel sollte die Verwaltung und Justiz in Deutschland Sache der Einzelstaaten bleiben, aber das Reich behielt sich vor, seine Kompetenzen zu erweitern ([[Kompetenz-Kompetenz]]). Damit wurde festgeschrieben (§&nbsp;66, §&nbsp;194), was später als der Grundsatz „[[Bundesrecht bricht Landesrecht]]“ bekannt und für den Bundesstaat des [[Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland|Grundgesetzes]] als „föderale Selbstverständlichkeit“ in [[Artikel 31 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland|Art.&nbsp;31 GG]] verankert wurde.<ref>Ernst Rudolf Huber: ''Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band II: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850''. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart [u.&nbsp;a.] 1988, S. 821, 824; [[Wolfgang Graf Vitzthum]]: ''Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart'', in: ''[[Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer|Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer]]'', Heft 46, 1988, S. 8&nbsp;ff., hier [https://books.google.de/books?id=w-NexWQH47oC&pg=PA30 S. 30].</ref> Trotz der Existenz der Einzelstaaten hätte das Reich sich also immer mehr zum Einheitsstaat oder ''[[Unitarisierung|unitarischen Bundesstaat]]'' entwickeln können. Letzteres trat im Bismarckreich ein und setzte sich in der Bundesrepublik Deutschland<ref>Klaus von Beyme: ''Das politische System der Bundesrepublik Deutschland''. 9. Auflage, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 1999, S. 366, 384.</ref> fort.
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Kaiser, Reichsminister, Beamte, Angehörige der Armee (die Flotte wurde vergessen<ref>Ernst Rudolf Huber: ''Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band II: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850''. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart [u.&nbsp;a.] 1988, S. 832–833.</ref>) und Abgeordnete hatten einen [[Eid]] auf die Reichsverfassung zu leisten. Dies galt zusätzlich auch für jeden, der in einem Land auf die Landesverfassung einen Eid leisten musste. Für den Kaiser, der ohne Eid sein Amt gar nicht antreten konnte, lautete er (§&nbsp;190):
:Ich schwöre, das Reich und die Rechte des deutschen Volkes zu schirmen, die Reichsverfassung aufrecht zu erhaltenaufrechtzuerhalten und sie gewissenhaft zu vollziehen. So wahr mir Gott helfe.
 
Die Reichsinterventionen und Reichsexekutionen waren den entsprechenden Maßnahmen des Deutschen Bundes nachempfunden. Gab es in einem Land Unruhen, konnte es das Reich um eine Reichsintervention ersuchen; notfalls durfte das Reich selbst aktiv werden. Eine Reichsexekution hingegen richtete sich gegen eine Landesregierung selbst, die gegen die Verfassung verstieß oder den Reichsfrieden brach. Bei einer abhängigen Reichsexekution folgte die Reichsregierung einem Urteil des Reichsgerichts, bei einer selbstständigen Reichsexekution schritt sie unter Umständen sofort ein.
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=== Grundrechte ===
{{Hauptartikel|Grundrechte des deutschen Volkes}}
[[Datei:Bilderrevolution0163.jpg|mini|hochkant|Lithographie''Die zuGrundrechte dendes Grundrechtendeutschen Volkes'', Lithografie von [[Adolph Schroedter]], 1848. Die Nationalversammlung hatte siedie Grundrechte Ende 1848 bereits als Reichsgesetz in Kraft gesetzt und dann in die FRV aufgenommen.]]
 
Ähnlich wie viele frühere Landesverfassungen erwähnte die FRV Grundrechte, aber wesentlich umfassender. Die [[Pressefreiheit]] mit Abschaffung der [[Vorzensur|Zensur]], die Freizügigkeit, die Vereins- und Versammlungsfreiheit und die Glaubensfreiheit sowie Gleichberechtigung der Konfessionen sind Beispiele für klassische Freiheitsrechte. Ein [[Reichsbürgerrecht 1848–1850|Reichsbürger]] durfte auswandern und genoss im Ausland den konsularischen Schutz des Reiches.
 
Die FRV machtenmachte zahlreiche Aussagen zum [[Strafrecht]] und verbot beispielsweise weitgehend die [[Todesstrafe]], dazu den Pranger und die körperliche Züchtigung. Ihres Eigentums durften die Deutschen nur unter bestimmten Umständen [[Enteignung|enteignet]] werden. Als soziales Grundrecht ist allenfalls die Schulgeldbefreiung anzusehen. Darüber hinaus wollte die FRV Adelsvorrechte abschaffen; dadurch hätte sie die Gesellschaftsstruktur Deutschlands stark beeinflusst.
 
== Wirksamkeit ==
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In der Bevölkerung gab es ein weites Echo und viele Aufrufe zugunsten der Anerkennung der Verfassung.<ref>Dietmar Willoweit: ''Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Teilung Deutschlands''. C.H. Beck, München 1990, S. 233.</ref> Unterstützt wurde sie von 30 meist kleineren Staaten. Doch vor allem die größeren, sogenannten Mittelstaaten verweigerten sich der Verfassung ebenso wie der preußische König, während dessen Kabinett (bedingt) und die preußische Nationalversammlung sich für eine Annahme ausgesprochen hatten. Dadurch wurde die Verfassung nicht mit Leben gefüllt, beispielsweise die geplanten Reichstagswahlen fanden nicht statt.
 
Angenommen haben die Verfassung in einer [[Note der Achtundzwanzig|Kollektivnote vom 14. April 1849]] (in der Literatur als ''Note der Achtundzwanzig'' bekannt): Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Oldenburg, beide Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Lauenburg, Braunschweig, Nassau, Sachsen-Weimar, Sachsen-KoburgCoburg-Gotha, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, drei Anhalt, beide Schwarzburg, beide Reuß, beide Hohenzollern, Waldeck, die vier freien Städte. Hinzu kommen [[Königreich Württemberg|Württemberg]] und Lippe-Detmold, ebenso die revolutionären Regierungen von Sachsen und der Pfalz.<ref>Ernst Rudolf Huber: ''Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band II: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850''. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart [u.&nbsp;a.] 1988, S. 853.</ref>
 
In Württemberg, das die FRV angenommen hatte, kam es 1850 zu einer Ministeranklage. Grundlage dafür war die FRV, die diesen Fall auch für Einzelstaaten geregelt hatte. Das Landesparlament wandte sich damit gegen einen Minister und dessen Abschluss von bestimmten auswärtigen Verträgen. Der württembergische Staatsgerichtshof erklärte die FRV nicht für ungültig, doch der Minister habe in den konkreten Fällen nicht gegen die württembergischen Bestimmungen verstoßen. Später stellte sich heraus, dass nur einer von zwölf Richtern die FRV für ungültig gehalten hatte, obwohl die Hälfte der Richter vom König ernannt worden war.<ref>Jörg-Detlef Kühne: ''Die Reichsverfassung der Paulskirche. Vorbild und Verwirklichung im späteren deutschen Rechtsleben.'' Habil. Bonn 1983, 2. Auflage, Luchterhand, Neuwied 1998 (1985), S. 88/89.</ref>
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{{Hauptartikel|Rezeption der Frankfurter Reichsverfassung}}
 
Die Reichsverfassung diente bereits zwei Monate nach ihrer Verkündung als Vorbild für den Entwurf der [[Erfurter Unionsverfassung]].<ref>{{Internetquelle Preußen|autor=Johannes wollteLeicht damit|url=https://www.dhm.de/lemo/kapitel/reaktionszeit/deutscher-bund-und-nationale-frage/erfurter-union.html einen|titel=Reaktionszeit eigenen- EinigungsversuchDeutscher unternehmenBund und "nationale Frage": Die Deutsche Union (Erfurter Union) |werk=Website des Lebendigen Museum Online |hrsg=Kooperationsprojekt der Stiftung Deutsches Historisches Museum, der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesarchivs |datum=2010-06-23 |sprache=de |abruf=2023-08-15}}</ref> Preußen wollte damit unter konservativerem Vorzeichen in Zusammenarbeit mit den Mittelstaaten einen eigenen Einigungsversuch unternehmen. Auch wenn diese Union letztlich nicht entstandverwirklicht wurde, so bewahrte der Verfassungsentwurf vieles des Frankfurter Vorbildes und half so teilweise, dass die Reaktionszeit[[Reaktion (Politik)|reaktionäre]] Zeit nicht noch schlimmer ausfiel. Preußen wollte nämlich mit der Union für sich werben und verbat sich allzu extreme konservative Auswüchse in der eigenen Verfassung von 1850. Dort finden sich auch viele Grundrechte des deutschen Volkes wieder, wenn auch in abgeschwächter Form.
 
Bei der Erarbeitung der [[Verfassung des Norddeutschen Bundes|norddeutschen Bundesverfassung]] von 1867 wurde die Frankfurter Reichsverfassung stark berücksichtigt. Der [[Reichstagswahl Februar 1867|konstituierende Reichstag]] änderte in ihrem Sinne Bismarcks Verfassungsentwurf ab. Später im Kaiserreich blieb sie eine Diskussionsgrundlage für die Verfassungsentwicklung. Als 1919 die [[Weimarer Reichsverfassung]] erarbeitet wurde, war der Frankfurter Grundrechtskatalog ein bedeutendes Vorbild. Noch im [[Parlamentarischer Rat|Parlamentarischen Rat]] (1948–1949) zitierten die Väter und Mütter des Grundgesetzes aus der FRV.<ref>Jörg-Detlef Kühne: ''Die Reichsverfassung der Paulskirche. Vorbild und Verwirklichung im späteren deutschen Rechtsleben.'' Habil. Bonn 1983, 2. Auflage, Luchterhand, Neuwied 1998 (1985), S. 132–136, 146/147.</ref>
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{{Commonscat|Constitution of the German Reich 1849|Paulskirchenverfassung}}
{{Wiktionary}}
* {{DNB-Portal|041493613}}
* [http://verfassungen.de/de06-66/verfassung48-i.htm Originaltext der Verfassung des deutschen Reiches („Paulskirchenverfassung“) vom 28. März 1849 (auf verfassungen.de)]
* [http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/ku.php?tab=que&ID=835 Verfassung des Deutschen Reiches („Paulskirchen-Verfassung“) vom 28. März 1849 in Volltext (Internet-Portal „Westfälische Geschichte“)]
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== Belege ==
<references />
 
{{Normdaten|TYP=w|GND=4149361-8|LCCN=no2011090037|VIAF=4916147312829337970005}}
 
[[Kategorie:Reichsrecht 1848/1849]]
[[Kategorie:Frankfurter ReichsverfassungPaulskirchenverfassung|! ]]
[[Kategorie:Frankfurter Nationalversammlung]]
[[Kategorie:Politik 1849]]