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[[Datei:Katakombenheiliger pankratius.jpg|mini|Mit einer Prunkrüstung geschmückte Reliquie des [[Katakombenheiliger|Katakombenheiligen]] Pankratius in [[Wil SG]] ]]
 
Eine '''Reliquie''' (von {{laS|reliquiae}}, „Zurückgelassenes“, „Überbleibsel“) ist als Gegenstand [[kult]]ischer [[Religion|religiöser]] [[Verehrung]] ein irdischer Überrest der Körper oder Körperteile von [[Heiliger|Heiligen]] oder ein Überbleibsel des jeweiligen persönlichen Besitzes. Eine SonderformSonderformen der Reliquien sind „Berührungsreliquien“'''Berührungsreliquien''', Gegenstände, mit denen Heilige zu Lebzeiten in Berührung kamen oder gekommen sein sollen, sowie '''Sekundärreliquien''', Gegenstände, die beispielsweise mehrere Tage am Grab eines Heiligen waren und so selbst zu einer Reliquie werden.<ref>[https://www.domradio/glossar/was sind reliquien# Was sind Reliquien?]; abgerufen am 29. Mai 2024.</ref><ref>Alexander Hogrefe: ''Himmlischer Modeirrtum'', [[Die Rheinpfalz]], 29. Mai 2024, S. 1.</ref>
 
== Reliquien im Christentum ==
== Geschichte der christlichen Reliquienverehrung ==
[[Datei:Kreuzreliquie Hlkz.JPG|mini|[[Leopold V. (Österreich)]] schenkt dem [[Stift Heiligenkreuz]] die Kreuzreliquie, die er 1188 in Jerusalem erworben hatte]]
[[Datei:Altshausen Schlosskirche Reliquie Hermann der Lahme 2005.jpg|mini|[[Schädelkalotte]] [[Hermann von Reichenau|Hermanns von Reichenau]] in der [[Schloss Altshausen|Schlosskirche St. Michael, Altshausen]]]]
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Bereits in der [[Alte Kirche|frühen Kirche]] entwickelte sich eine besondere Verehrung der [[Märtyrer]]. Der erste biblische Beleg für Vorläufer von Reliquien findet sich in der [[Apostelgeschichte des Lukas]], wo die Gläubigen dem heiligen [[Paulus von Tarsus]] Tücher wegnahmen und diese dann auf die Kranken legten, die geheilt wurden {{Bibel|Apg|19|12}}. Mit der Annahme der Unvergänglichkeit des heiligen [[Leib Christi|Leibes Christi]] entwickelte sich der Glaube an die besondere Kraft der Überreste auch der heiligen Märtyrer. Das Wort ''Martýrion'' bedeutet in den Schriften der Väter auch den Ort, wo die Reliquien eines Märtyrers aufbewahrt werden. Lange Zeit wurde der aus der Urkirche herrührende Brauch gepflegt, über den Gräbern von heiligen Märtyrern Kirchen zu errichten (etwa die [[Petersdom|Peterskirche]] in Rom). Im Mittelalter ging man in der lateinischen Kirche dazu über, unter oder in den [[Altar]] Reliquien einzubetten. Die Ostkirchen setzen, ihrer Tradition folgend, Reliquien in die Mauern ihrer Kirchen. Mit dieser Praxis soll der innere Zusammenhang zwischen der „Gemeinschaft der Heiligen“<ref>Glaubenssatz aus dem [[Nicäno-Konstantinopolitanum]].</ref> und der irdischen Kirche versinnbildlicht werden.
 
Die Reliquienverehrung ist die älteste Form der Heiligenverehrung und seit dem 2. Jahrhundert nachweisbar. In der [[Spätantike]] und im [[Frühmittelalter]] nahm die Verehrung von Reliquien erheblich zu.<ref>Dazu ausführlich Martina Hartl: ''Leichen, Asche und Gebeine. Der frühchristliche Umgang mit dem toten Körper und die Anfänge des Reliquienkults'' (= ''Handbuch zur Geschichte des Todes im frühen Christentum und seiner Umwelt.'' Band 3). Schnell & Steiner, Regensburg 2018, ISBN 978-3-7954-3258-4.</ref> Ein früher Hinweis auf den Bedarf an Reliquien von Märtyrern stellt die Passion des [[Fructuosus von Tarragona|Fructuosus]], Augurius und Eulogius dar. Sie berichtet, dass in der Nacht nach der Hinrichtung des Bischofs Fructuosus von Tarragona am 21. Januar 259 Gläubige versuchten, so viel wie möglich von der Asche der Verbrannten zu erlangen. Der Bischof, der ihnen im Traum erschienen sei, habe sie allerdings aufgefordert, sie zurückzugeben.<ref>Wolfgang Kinzig: ''Christenverfolgung in der Antike.'' C. H. Beck, München 2019, S. 78.</ref> Der [[Kirchenvater]] [[Johannes von Damaskus]] (650–754) weist darauf hin, dass die Heiligen „keine Toten“ seien, und führt eine Reihe von Wundern auf, die durch sie gewirkt worden seien.<ref>Johannes von Damaskus: [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel1691-14.htm Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens. Von der Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien].</ref> Seit dem 8. Jahrhundert war die Kirche bestrebt, jeden ihrer Altäre mit einer Reliquie auszustatten.<ref>[[Johannes Gottfried Mayer]]: ''Unversehrtheit des Leibes. Zur Leib-Seelevorstellung in Spätantike und Mittelalter.'' In: ''Würzburger medizinhistorische Mitteilungen.'' Band 18, 1999, S. 75–85; hier: S. 82.</ref>
 
Veranlasst durch [[Wunder]]berichte wurden seit dem [[Frühmittelalter]] den Reliquien der Märtyrer heilsame Wirkung zugeschrieben.<ref>[[Nancy Siraisi|Nancy G. Siraisi]]: ''Medieval & Early Renaissance Medicine. An Introduction to Knowledge and Practice.'' Chicago 1990, S. 11.</ref> Die großen [[Kathedrale]]n des Mittelalters verdanken ihre Entstehung und ihren Ruhm vor allem hochverehrten Reliquien – etwa der [[Heilige Drei Könige|Heiligen Drei Könige]] im [[Kölner Dom]] oder der Reliquien der heiligen [[Ursula von Köln]] und ihrer Gefährtinnen in [[St. Ursula (Köln)|St. Ursula]] in Köln.
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Auf dem [[Konzil von Trient]], dem Konzil, das die [[Gegenreformation]] einleitete, wurde in der 25. Sitzungsperiode (1563) die Reliquienverehrung ausdrücklich empfohlen und Kritik seitens der Reformatoren zurückgewiesen.<ref>„Dass diejenigen, welche behaupten, den Reliquien der Heiligen gebühre keine Vererhrung und Ehre […], des Gänzlichen zu verdammen seien.“Zitiert nach: ''Das heilige allgültige und allgemeine Concilium von Trient. Beschlüsse und heil. Canones nebst den betreffenden Bullen treu übersetzt von Jodoc Egli''; Verlag Xaver Meyer, Luzern 1832, 2. Auflage, S. 274–332.<!-- Falls sich diese Stelle im Denzinger-Hünermann findet, sollte das ersetzt werden.--></ref> In der Folge blühte die seltener gewordene Reliquienverehrung in katholischen Gebieten wieder auf. Wallfahrten zu Reliquienschreinen wurden zu einem wichtigen Mittel der Gegenreformation. Im 19. Jahrhundert kam es zu einer erneuten Blüte der Reliquienverehrung. Zur [[Trierer Wallfahrt von 1844]] zum Heiligen Rock kamen binnen sieben Wochen eine Million Pilger. Liberale Publikationen wie der [[Kladderadatsch]] richteten ihren Spott gegen die Katholiken.
 
Das 20. Jahrhundert war im deutschen Sprachgebiet, mitbeeinflusst durch die [[liturgische Bewegung]] mit ihrer Wende zur Innerlichkeit und die [[Liturgiereform]], durch einen stetigen Rückgang der Bedeutung der Reliquienverehrung geprägt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist, unterstützt durch eine Vielzahl populärwissenschaftlicher Publikationen, das Interesse an den Reliquien und ihrer Verehrung wieder gewachsen.
 
=== Kategorisierung ===
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Vor allem im Mittelalter wurden den Reliquien viele [[Wunder]] (''miracula'') zugesprochen. In der [[Hagiographie]] sind Zeitpunkte solcher Wunder oft die ''Inventio'' (Auffindung) von Reliquien sowie die ''[[Reliquientranslation|Translatio]]'' (Überführung) der heiligen Gebeine von einem Ort an einen anderen Ort, etwa bei der [[Kreuzauffindung|Auffindung]] des [[Heiliges Kreuz|Heiligen Kreuzes]] oder bei der Überführung der Gebeine des hl. [[Nikolaus von Myra]] nach [[Bari]]. Die Lebensbeschreibungen der Heiligen wurden in Hagiographien gesammelt, wie der „goldenen Legende“ ([[Legenda aurea]]) oder den Werken des [[Caesarius von Heisterbach]]. Ihre große Verehrung sowie Wundergeschichten lösten während des Mittelalters eine allgemeine Suche nach Reliquien von Heiligen, insbesondere solchen von [[Märtyrer]]n, aus. Dabei schreckte man auch vor Entwendungen der heiligen Leichname (''corpora sanctorum'') nicht zurück, wie zum Beispiel in dem von [[Einhard]] verfassten [[Reliquientranslation|Translationsbericht]] über die Überführung der Heiligen Marcellinus und Petrus von Rom nach [[Michelstadt]]-Steinbach zu lesen ist.
 
Nachdem die [[Kreuzzug|Kreuzritter]] während des [[Vierter Kreuzzug|Vierten Kreuzzuges]] im Jahre 1204 [[Konstantinopel]] erobert hatten, wurden hunderte kleinste Teile des Kreuzes, das der Überlieferung zufolge die Kaiserinmutter [[Helena (Mutter Konstantins des Großen)|Helena]] um 325 von [[Jerusalem]] nach Rom und Konstantinopel gebracht hatte, über die Länder Europas verstreut. Zahlreiche Kirchen behaupteten infolgedessen den Besitz eines Partikels des Kreuzes. Der französische Architekt Charles Rohault de Fleury unterzog sich der Mühe, die Gesamtmenge aller Kreuzreliquien zu ermitteln, und kam auf etwa ein Drittel eines Kreuzes.<ref>Charles Rohault de Fleury: ''Mémoire sur les instruments de la Passion de N.-S. J.-C.'' Paris 1870, S. 79–89, Addition auf S. 89.</ref> Die früher immer wieder kolportierte Behauptung, Erasmus von Rotterdam habe gespottet, die angeblichen Splitter des Kreuzes Jesus reichten aus, um daraus ein ganzes Schiff zu bauen, ist falsch. Im ''[[Enchiridion militis Christiani]]'' erinnert er lediglich daran, dass der Besitz von Kreuzesreliquien ein Nichts ist – verglichen mit der Kreuzesnachfolge.<ref>Desiderius Erasmus: ''Enchiridion militis Christiani'', Fünfte Regel, Kap. 13; in der englischen Übersetzung ''The Manual of the Christian Knight'', erschienen im Verlag Methuen and Co., London 1905, S. 157.</ref>
 
Beim [[Turiner Grabtuch|Grabtuch von Turin]] steht die kirchliche Anerkennung als Reliquie nach wie vor aus. Das Interesse an Reliquien lässt sich auch dadurch begründen, dass naturwissenschaftlich oftmals unerklärliche Phänomene im Zusammenhang mit Reliquien bekannt wurden. Hauptsächlich die „Unversehrtheit“ (keine Verwesung) der Heiliggesprochenen oder bestimmter Organe bzw. Teile ihres Körpers sind hier zu nennen. In der Pfarrkirche St. Hildegard und St. Johannes der Täufer in [[Eibingen]] im [[Rheingau]] wird der Schrein der [[Hildegard von Bingen]] mit Herz und Zunge in unverwestem Zustand aufbewahrt. Auch die ''Ganzkörperreliquien'' einiger Heiliger stehen in der Tradition im Ruf der [[Unverweslichkeit]].
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Um die dadurch gewachsene Bedeutung der Reliquien für die Kirche, in der sie sich befanden, zu unterstreichen, begann man mit der Anfertigung spezieller, meist künstlerisch und materiell sehr kostbar ausgeführter Behältnisse zur Aufbewahrung der Reliquien. Diese Behälter werden zusammenfassend als Reliquiare bezeichnet.
Meister des Reliquienkreuzes von Cosenza 002.jpg|„Meister des Reliquienkreuzes von Cosenza“ mit Darstellung des [[Pantokrator|thronenden Christus]] und der vier [[Evangelist (Neues Testament)|Evangelisten]] aus dem 12. Jahrhundert ([[Kathedrale]] von [[Cosenza]])
 
; {{Anker|Formen des Reliquiars}}Formen des Reliquiars
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* [[Ostensorium]]
* [[Osculatorium]], auch ''Paxtafel'', ''Kusstafel'' oder ''Pacificale'' genannt
* [[Reliquiar#Bursa|Bursa]] (Stofftasche, Reliquienhülle)
* Bursareliquiar (schreinchenartiges Reliquiar, das textilen Pilgertaschen nachempfunden ist)
* Reliquienpyramide
* Phylakterion (kleine Kapsel mit Reliquien, die um den Hals oder vor der Brust getragen wurden)
 
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Meister des Reliquienkreuzes von Cosenza 002.jpg|„Meister des Reliquienkreuzes von Cosenza“: Reliquienkreuz mit Darstellung des [[Pantokrator|thronendenthronendem Christus]] und derden vier [[Evangelist (Neues Testament)|Evangelisten]] aus dem (12. Jahrhundert, ([[Kathedrale]] von [[Cosenza]])
Ds027 2019 fotos kober 57568 resized1000 02.jpg|Vierpassförmiges Kapselreliquiar (Kusstafel), [[Enkolpion]]), Niedersachsen, wohl Hildesheim, 2. Hälfte 12. Jahrhundert ([[Domschatz Halberstadt]])
Armreliquiar des Hl. Nikolaus, um 1225-1250. Domschatz Halberstadt.jpg|[[Armreliquiar]] des hl. Nikolaus, um 1225/30 ([[Domschatz Halberstadt]])
Agneskloster - Reliquiar Ludmilla.jpg|Kopfreliquiar der hl. [[Ludmilla von Böhmen]] im Prager [[Agneskloster (Prag)|Agneskloster]]
Last supper tablecloth, Ecclesiastical Treasury.jpg|Reliquiar als Ostensorium mit einem Stück vom Tischtuch des letzten Abendmahls, Hans Krug d. J. (1485–1528), [[Schatzkammer (Wien)|Weltliche Schatzkammer]], Wien
[[Datei:Reliquienbehälter Essener Domschatz.JPG|mini|Reliquienbehälter aus aufgelassenen Altären des Ostchores im [[Essener Münster]], datiert auf 1054]]
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Die Dome von [[Aachener Domschatzkammer|Aachen]], [[Diözesanmuseum Bamberg|Bamberg]], [[Welfenschatz|Braunschweig]], [[Essener Domschatz|Essen]], [[Diözesanmuseum Freising|Freising]], [[Dom zu Halberstadt#Domschatz|Halberstadt]], [[Domschatzkammer Köln|Köln]], [[Mindener Domschatz|Minden]], [[St.-Paulus-Dom (Münster)#Domschatz|Münster]], [[Domschatz- und Diözesanmuseum (Osnabrück)|Osnabrück]], und [[Trierer Domschatz|Trier]] besaßen und besitzen häufig heute noch ihre in [[Schatzkammer|Schatz-]] oder [[Heiltumskammer]]n gezeigten Bestände. Bedeutende kirchliche Schatzkammern befinden sich auch in [[Heiltumskammer (Augsburg)|Augsburg]], [[Schatzkammer St. Ludgerus|Essen-Werden]], [[Heilig-Kreuz-Münster (Schwäbisch Gmünd)#Münsterschatz|Schwäbisch Gmünd]], [[Stiftsmuseum Xanten|Xanten]].
Im Mittelalter (in katholischen Zentren auch später noch) wurden den wallfahrenden Gläubigen bei [[Prozession]]en und sogenannten ''[[Heiltumsweisung]]en'' die Reliquienschätze von einer Galerie, einer Empore oder einem [[Heiltumstuhl]] ([[Wiener Heiltumstuhl|Wien]]) aus präsentiert oder wie in Trier der [[Heiliger Rock|Heilige Rock]] anlässlich der Wallfahrten dorthin periodisch ausgestellt.
 
=== Reliquienhandel ===
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Das [[Kanonisches Recht|kanonische Recht]] verbietet Katholiken den Handel mit Reliquien. Katholiken dürfen solche Objekte zwar erwerben, sie besitzen und verehren, aber nicht weiterverkaufen.<ref>Vgl. [[Codex Iuris Canonici]] can. 1190.</ref> Zulässig sind lediglich das Verschenken von Reliquien an andere Gläubige und die Übergabe an die Kirche. Am 8. Dezember 2017 erließ die [[Dikasterium für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse|Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse]] eine detaillierte Instruktion ''Die Reliquien in der Kirche: Echtheit und Aufbewahrung''.<ref>[http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/csaints/documents/rc_con_csaints_doc_20171208_istruzione-reliquie_ge.html ''Die Reliquien in der Kirche: Echtheit und Aufbewahrung''] (vatican.va)</ref>
 
== Reliquien inim den WeltreligionenIslam ==
Wenn auch die Reliquienverehrung im Islam nicht die Bedeutung erlangt hat, die ihr in anderen Religionen zukommt, sie „kein Element im Systeme des doctrinären Islam bildet“, wie es [[Ignaz Goldziher]] ausdrückt,<ref name="GoldziherI357GoldziherII357">Ignaz Goldziher: ''Muhammedanische Studien''. Band1889, IBd. NiemeyerII, Halle a. S. 1889. S. 357.</ref> so tritt sie dennoch im islamischen Volksglauben in verschiedenen Formen zur Erscheinung.<ref name="GoldziherI356GoldziherII356">Ignaz Goldziher: ''Muhammedanische Studien''. Band1889, IBd. NiemeyerII, Halle a. S. 1889. S. 356.</ref> ReliquienverehrungIm war13. vorJahrhundert allemwar imder [[Schia|schiitischen]]Reliquienschwindel Islameiner verbreitet,der undbeliebten einigeTricks Formender desals sunnitischenBanū ReliquienkultsSāsān sindbekannten auchGaukler.<ref>Goldziher: von''Muhammedanische sunnitischerStudien''. Seite1889, übernommen wordenBd. Ein Beispiel ist das Haupt von [[al-Husain ibn ʿAlī]]II, das zu [[Fatimiden|fatimidischer]] Zeit angeblich nach [[Kairo]] überführt und zum Gegenstand eines Kults wurdeS. Dieser Kult besteht bis heute in der über dieser Reliquie erbauten und als besonders heilig angesehenen [[Imam-Husain-Moschee]] weiter362.</ref name="GoldziherI357"/>
=== Im Islam ===
[[Datei:Raous-us-Husain,Cairo.jpg|miniatur|links|Der Schrein, in dem sich al-Husains Kopf befinden soll, in der [[Imam-Husain-Moschee]] in Kairo]]
Wenn auch die Reliquienverehrung im Islam nicht die Bedeutung erlangt hat, die ihr in anderen Religionen zukommt, sie „kein Element im Systeme des doctrinären Islam bildet“, wie es [[Ignaz Goldziher]] ausdrückt,<ref name="GoldziherI357">Ignaz Goldziher: ''Muhammedanische Studien''. Band I. Niemeyer, Halle a. S. 1889. S. 357.</ref> so tritt sie dennoch im islamischen Volksglauben in verschiedenen Formen zur Erscheinung.<ref name="GoldziherI356">Ignaz Goldziher: ''Muhammedanische Studien''. Band I. Niemeyer, Halle a. S. 1889. S. 356.</ref> Reliquienverehrung war vor allem im [[Schia|schiitischen]] Islam verbreitet, und einige Formen des sunnitischen Reliquienkults sind auch von sunnitischer Seite übernommen worden. Ein Beispiel ist das Haupt von [[al-Husain ibn ʿAlī]], das zu [[Fatimiden|fatimidischer]] Zeit angeblich nach [[Kairo]] überführt und zum Gegenstand eines Kults wurde. Dieser Kult besteht bis heute in der über dieser Reliquie erbauten und als besonders heilig angesehenen [[Imam-Husain-Moschee]] weiter.<ref name="GoldziherI357"/>
 
=== Prophetische Reliquien ===
Auch in [[Sufismus|sufischen]] Kreisen spielte die Verehrung von Reliquien (''āṯār'') eine gewisse Rolle. So heißt es zum Beispiel in einem Werk zu den Gelehrten der [[Schafiiten|schafiitischen]] Rechtsschule über den jemenitischen [[Sufismus|Sufi]] ʿAbdallāh al-Yāfiʿī (gest. 1367): „Die Menschen suchten bei seinen Überbleibseln den [[Baraka (Segenskraft)|Segen]] und kauften sie zu hohen Preisen“ (''tabarrak an-nās bi-āṯārihī wa-šarauhā bi-aṯmān ġāliya'').<ref>Sirāǧ ad-Dīn Ibn al-Mulaqqin: ''al-ʿIqd al-muḏhab fī ṭabaqāt ḥamalat al-maḏhab''. Ed. Aiman Naṣr al-Azharī u. Saiyid Muhannā. Dār al-kutub al-ʿilmīya, Beirut 1997. S. 432 [https://archive.org/details/FP70824/page/n431/mode/2up Digitalisat]</ref> Sufis bewahrten in ihren Ordenshäusern pietätvoll die [[Chirqa]], den [[Gebetsteppich]] und andere Utensilien des Gründers, „als Document ihres legitimen Zusammenhanges mit ihm“.<ref name="GoldziherI356"/>
Die größte Bedeutung haben in der islamischen Religiosität die prophetischen Reliquien (''al-āṯār an-nabawīya'') erlangt. So wurden verschiedene dem Propheten zugehörige Gebrauchsgegenstände und Kleidungsstücke als Reliquien verehrt. Das Schwert [[Dhū l-faqār]], das Mohammed in der [[Schlacht von Badr]] von einem Ungläubigen erbeutet und anschließend [[ʿAlī ibn Abī Tālib]] geschenkt haben soll, wurde lange Zeit in der [[Abbasiden-Kalifat|Abbasiden]]-Familie vererbt.<ref>Goldziher: ''Muhammedanische Studien''. 1889, Bd. II, S. 359.</ref> Die Abbasiden verwendeten auch den Mantel (''burda''), den Stab (''qaḍīb'') und den Siegelring (''ḫātim'') des Propheten in ihren Inthronisationszeremonien und stellten sie öffentlich zur Schau, um die Macht und Legitimität der Abbasiden als einzige Erben des Propheten zu betonen.<ref>Meri: “Relics of Piety and Power in Medieval Islam”. 2010, S. 118.</ref>
 
==== Haare und Nägel des Propheten ====
[[File:Turkey-3089 (2217259580) (2).jpg|mini|hochkant|Die Truhe im [[Topkapı-Palast]], in der Mantel des Propheten aufbewahrt wird.]]
{{Doppeltes Bild|rechts|Mardin ulu cami sakalı şerifi.jpg|200|Turkey.Konya043.jpg|200|Reliquienbehälter mit einem Barthaar des Propheten an der Großen Moschee von [[Mardin]]|Baarthaar-Reliquie im [[Mevlana-Museum]] in [[Konya]]}}
DieSehr größte Bedeutung haben in der islamischen Religiosität die prophetischen Reliquien (''al-āṯār an-nabawīya'') erlangt. Sofrüh wurden sehr frühauch Haare [[Mohammed]]s als [[Amulett]] verwendet.<ref>Ignaz Goldziher: ''Muhammedanische Studien''. Band1889, IBd. NiemeyerII, Halle a. S. 1889. S. 357f.</ref> [[Chālid ibn al-Walīd]] soll sich, wenn er in den Krieg zog, etwas von den Haaren des Propheten in seine Kopfbedeckung gesteckt und sich dann für unüberwindlich gehalten haben. Von demVom Kalifen [[Muʿāwiya I.]] wird erzähltüberliefert, dass er abgeschnittene Finger- und Fußnägel des Propheten in einer Flasche bewahrte und kurz vor seinem Tod verfügte, dass man ihmdiese beizermahlen seinemund ihm beim Begräbnis Haarein desAugen Prophetenund inMund Nasenlöcherstreuen sollte, Ohrendamit undGott Mundihm durch ihre [[Baraka (Segenskraft)|Baraka]] gnädig steckensein möge.<ref>IgnazMuḥammad Goldziheribn Ǧarīr aṭ-Ṭabarī: ''MuhammedanischeTaʾrīḫ Studienar-rusul wa-l-mulūk''. BandEd. IMichael De Goeje. NiemeyerBrill, HalleLeiden a1881–1883. Bd. II, S. 1889201. [https://menadoc.bibliothek.uni-halle.de/publicdomain/content/pageview/464545 Digitalisat]. Siehe Margoliouth: “The Relics of the Prophet Mohammed”. 1937, S. 35820.</ref> [[Anas ibn Mālik]] ließ sich angeblich ein Büschel von den Haaren des Propheten mit ins Grab legen.<ref>[[Muhammad ibn Saʿd]]: ''Kitāb aṭ-Ṭabaqāt al-kabīr''. Ed. E. Sachau. 9 Bde. Leiden 1904–1940. Bd. VII/1, S. 16, Zeile 11–13. [https://archive.org/details/biographien07pt1a2ibnsuoft/page/n227/mode/2up?view=theater Digitalisat]</ref> Der [[Zengiden|zengidische]] Herrscher [[Nur ad-Din|Nūr ad-Dīn Mahmūd]] (gest. 1174) bestimmte, dass mehrere Prophetenhaare, die er in seinem Schatzhaus hatte, auf seine Augen gelegt werden sollten, wenn er in seiner [[Madrasa]], die er in Damaskus erbaut hatte, begraben würde.<ref name="Nabulusi368"/>
 
Auch in der Frühen Neuzeit erfreuten sich Haare vom Haupt oder Bart des Propheten besonderer Beliebtheit. Fromme Männer trugen solche Reliquien gerne als [[Amulett]] bei sich.<ref>Goldziher: ''Muhammedanische Studien''. 1889, Bd. II, S. 364f.</ref> Wie aus dem Bericht eines indischen Gelehrten hervorgeht, den [[ʿAbd al-Ghanī an-Nābulusī]]s (gest. 1731) in einem seiner Reiseberichte zitiert, gab es in Indien sogar einen regelrechten Kult um diese Prophetenhaare. Zahlreiche Menschen hatten hier ein oder mehrere Haare des Propheten in ihrem Besitz, manche sogar bis zu zwanzig. Ein Mann, der seine Prophetenhaare in einer goldenen Dose in [[Moschus]] und [[Ambra]] aufbewahrte, stellte sie in jährlichem Rhythmus öffentlich zur Schau, was Anlass gab für Versammlungen frommer Männer und Gelehrter, die dort Gebete über den Propheten sprachen, [[Dhikr]]-Übungen abhielten und sich in [[Ekstase]] versetzten. Einige, die im Besitz solcher Haare waren, behaupteten auch, dass sie wüchsen und sich fortpflanzten.<ref name="Nabulusi368">ʿAbd al-Ghanī an-Nābulusī: ''al-Ḥaqīqa wa-l-maǧāz fī riḥlat Bilād aš-Šām wa-Miṣr wa-l-Ḥiǧāz''. Ed. Riyāḍ ʿAbd-al-Ḥamīd Murād. Damaskus 1989. S. 368. [https://archive.org/details/hakika-majaz/page/n451/mode/1up Digitalisat]. Siehe die Übersetzung bei Goldziher: ''Muhammedanische Studien''. 1889, Bd. II, S. 365.</ref>
Daneben wurden dem Propheten zugehörige Gebrauchsgegenstände und Kleidungsstücke als Reliquien verehrt. So wurde das Schwert [[Dhū l-faqār]], das Mohammed in der [[Schlacht von Badr]] von einem Ungläubigen erbeutet und anschließend [[ʿAlī ibn Abī Tālib]] geschenkt haben soll, lange Zeit in der [[Abbasiden]]-Familie vererbt.<ref>Ignaz Goldziher: ''Muhammedanische Studien''. Band I. Niemeyer, Halle a. S. 1889. S. 359.</ref> Der mamlukische Wesir Tādsch ad-Dīn Ibn Hinā (gest. 1307/08) kaufte einer Familie in [[Yanbu]] für 100.000 [[Dirham]] eine ganze Kollektion von prophetischen Reliquien ab und richtete für sie südlich von Kairo einen speziellen [[Ribāt]] ein. Im 14. Jahrhundert zeigte man dort verschiedene Gegenstände, die der Prophet benutzt haben soll, ein Stück von einer Schüssel, die Pinzette, die er beim Schminken der Wimpern verwendete, die [[Ahle]], die er beim Anlegen seiner Sandalen gebraucht haben soll usw.<ref>Ignaz Goldziher: ''Muhammedanische Studien''. Band I. Niemeyer, Halle a. S. 1889. S. 362.</ref> Der mamlukische Sultan [[al-Ghuri|Qansauh al-Ghūrī]] (gest. 1516) verlegte diesen Reliquienschrein später in die [[Qubba]], die er neben seiner Madrasa in Kairo errichtet hatte.<ref>Aḥmad Taimūr Bāša: ''al-Āṯār an-nabawīya''. Dār al-Kitāb al-ʿArabī, Kairo 1951. S. 40 [https://ar.wikisource.org/wiki/%D8%B5%D9%81%D8%AD%D8%A9:%D8%A7%D9%84%D8%A2%D8%AB%D8%A7%D8%B1_%D8%A7%D9%84%D9%86%D8%A8%D9%88%D9%8A%D8%A9_(%D8%A7%D9%84%D8%B7%D8%A8%D8%B9%D8%A9_%D8%A7%D9%84%D8%A3%D9%88%D9%84%D9%89).pdf/40 Digitalisat Wikisource].</ref> Dort blieben die Reliquien bis 1858/59, als sie erneut verlegt wurden. Nach verschiedenen Zwischenstationen gelangten sie schließlich 1887/88 in die Imam-Husain-Moschee.<ref>Aḥmad Taimūr Bāša: ''al-Āṯār an-nabawīya''. Dār al-Kitāb al-ʿArabī, Kairo 1951. S. 43.</ref> Eine weitere wichtige Prophetenreliquie ist der [[Mantel des Propheten]], auf Türkisch ''Hırka-i Şerif'' („der edle Mantel“) genannt, der im [[Topkapı-Palast]] in Istanbul aufbewahrt wird.
 
==== InDie anderenSandalen Religionendes Propheten ====
Besonders große Bedeutung als Reliquien hatten auch die angeblich originalen Sandalen des Propheten. [[Anas ibn Mālik]] soll den Gläubigen eine Sandale mit ihren beiden Riemen gezeigt haben. Verschiedenen Berichten zufolge war er der offizielle Hüter von Muhammads Sandalen. Anderen Überlieferungen zufolge war dagegen der kufische Prophetengefährte [[ʿAbdallāh ibn Masʿūd]] für sie verantwortlich. Auch [[Muhammad ibn al-Hanafīya]] konnte die Reliquie zeigen.<ref>Uri Rubin: “al-Naʿl al-<u>sh</u>arīf” in [[The Encyclopaedia of Islam. New Edition]] Bd. XII, S. 660b–661a.</ref>
Die spätere Geschichte der Prophetensandalen ist verworren. ʿAbd al-Rahīm al-Dschaubarī (gest. 1222) berichtet in seinem Buch ''al-Muḫtār fī kašf al-asrār'' („Die Auswahl über die Enthüllung der Geheimnisse“) von Gauklern, die angebliche Sandalen des Propheten für Geld sehen ließen.<ref>M.J. de Goeje: „Ǵaubari’s ‘entdeckte Geheimnisse’“, in ''Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft'' 20 (1866) 485–510. Hier S. 493f. [https://menadoc.bibliothek.uni-halle.de/dmg/periodical/pageview/17196 Digitalisat]</ref> Eine Prophetensandale wurde 1228 von dem ägyptischen [[Ayyubiden]] [[al-Aschraf (Ägypten)|al-Malik al-Aschraf]] in seiner Aschrafīya-Madrasa in Damaskus untergebracht, nachdem er sie vom letzten Nachkommen des Prophetengefährten Sulaimān Abū l-Hadīd beschlagnahmt hatte, der sie von seinen Vorfahren erhalten zu haben behauptete. Während der Übernahme von Damaskus durch [[Timur]] im Jahre 1400 verschwand die Reliquie jedoch.<ref>Uri Rubin: “al-Naʿl al-<u>sh</u>arīf” in [[The Encyclopaedia of Islam. New Edition]] Bd. XII, S. 661a.</ref> Der maghrebinische Gelehrte [[al-Maqqarī]] (gest. 1577) schrieb ein eigenes Gedicht über die Prophetensandalen mit dem Titel ''Fatḥ al-mutaʿāl fī madḥ an-niʿāl''.<ref>[[Carl Brockelmann]]: ''Geschichte der arabischen Litteratur''. Band II. 2. Aufl. Brill, Leiden 1949. S. 382.</ref>
 
[[Datei:Mardin Hatuniye Medresesi 2411.jpg|mini|hochkant|Die Fußabdruckreliquie in Mardin]]
==== Fußabdrücke ====
Ebenfalls beliebt waren Steine mit Fußabdrücken des Propheten. Derartige Fußabdruckreliquien konnten genutzt werden, um die Bedeutung eines Ortes herauszustreichen und im [[Baraka (Segenskraft)|Segenskraft]] zu verleihen. Dies war zum Beispiel der Fall in [[Mardin]], wo ein Stein mit angeblich prophetischem Fußabdruck in der Hatuniye Medrese (auch Sitti-Razviye-Medrese genannt) angebracht wurde. Nach der lokalen Tradition wurde diese Reliquie der [[Madrasa]] im 16. oder 17. Jahrhundert von einem der osmanischen Sultane geschenkt.<ref>Korn: “Footprints and Sandals as Relics and Symbols of Veneration”. 2020, S. 729f.</ref>
 
Die älteste und bedeutendste islamische Fußabdruckreliquie steht allerdings nicht zu Mohammed in Verbindung, sondern zu [[Abraham im Islam|Abraham]]. Es ist der [[Maqām Ibrāhīm]] in der [[al-Harām-Moschee|Heiligen Moschee]] in [[Mekka]].<ref>Abdulfattah: “Relics of the Prophet Muḥammad as Modes of Dissemination and Control”. 2020, S. 766f.</ref>
 
=== Reliquien schiitischer und sufischer Heiliger ===
{{Doppeltes Bild|rechts|Raous-us-Husain,Cairo.jpg|150|Blessed footprints of Imam Ali Reza (A.S.) in Qadamgah (4460139974).jpg|150|Der Schrein mit al-Husains Kopf in der [[Imam-Husain-Moschee]]|Der Fußabdruck [[ʿAlī ar-Ridā]]s im Qadamgāh-Heiligtum}}
Verehrung von Reliquien anderer Personen war vor allem im [[Schia|schiitischen]] Islam verbreitet. Ein Beispiel ist das angebliche Haupt von [[al-Husain ibn ʿAlī]], das 1091 von dem fatimidischen Wesir [[Badr al-Dschamali|Badr al-Dschamālī]] in [[Askalon]] entdeckt<ref>Caroline Williams: “The Cult of ʿAlid Saints in the Fatimid Monuments of Cairo Part I: The Mosque of al-Aqmar.” in ''Muqarnas'' 1 (1983) 37–52. Hier S. 41.</ref> und 1153 von den [[Fatimiden]] anlässlich der [[Belagerung von Askalon]] durch die Kreuzfahrer aus dieser Stadt nach [[Kairo]] überführt und dort unter Verschluss gehalten wurde. Heute wird es in der als besonders heilig angesehenen [[Imam-Husain-Moschee]] aufbewahrt und von Ägyptern sowie Schiiten aus Indien, Pakistan und Iran aufgesucht und verehrt.<ref>Meri: “Relics of Piety and Power in Medieval Islam”. 2010, S. 101.</ref>
 
Im schiitischen Bereich gibt es auch Fußabdrücke der [[Imam]]e, die als Reliquien verehrt werden. So werden im Qadamgāh-Heiligtum in der Nähe von [[Nischapur]] Fußabdrücke des achten schiitischen Imams [[ʿAlī ibn Mūsā ar-Ridā|ʿAlī ar-Ridā]] ausgestellt. Die Reliquie ist als Steinrelief eines Fußpaares in leicht stilisierter Form gestaltet. Sie ist von einer mit glasierten Kacheln verzierten Wand eingefasst und ähnelt in ihrer Anordnung hinter einem Messingschirm dem Grab eines schiitischen [[Imamzade]]-Heiligen. Der Fußabdruck ist hier auch namengebend für das Heiligtum, denn ''qadamgāh'' bedeutet „Ort des Fußabdrucks“.<ref>Korn: “Footprints and Sandals as Relics and Symbols of Veneration”. 2020, S. 734.</ref>
 
Auch in [[Sufismus|sufischen]] Kreisen spielte die Verehrung von Reliquien (''āṯār'') eine gewisse Rolle. So heißt es zum Beispiel in einem Werk zu den Gelehrten der [[SchafiitenSchāfiʿiten|schafiitischen]] Rechtsschule über den jemenitischen [[Sufismus|Sufi]] ʿAbdallāh al-Yāfiʿī (gest. 1367): „Die Menschen suchten bei seinen Überbleibseln den [[Baraka (Segenskraft)|Segen]] und kauften sie zu hohen Preisen“ (''tabarrak an-nās bi-āṯārihī wa-šarauhā bi-aṯmān ġāliya'').<ref>Sirāǧ ad-Dīn Ibn al-Mulaqqin: ''al-ʿIqd al-muḏhab fī ṭabaqāt ḥamalat al-maḏhab''. Ed. Aiman Naṣr al-Azharī u. Saiyid Muhannā. Dār al-kutub al-ʿilmīya, Beirut 1997. S. 432 [https://archive.org/details/FP70824/page/n431/mode/2up Digitalisat]</ref> Sufis bewahrten in ihren Ordenshäusern pietätvoll die [[Chirqa]], den [[Gebetsteppich]] und andere Utensilien des Gründers, „als Document ihres legitimen Zusammenhanges mit ihm“.<ref name="GoldziherI356GoldziherII356"/>
 
=== Islamische Reliquiensammlungen ===
Daneben wurden dem Propheten zugehörige Gebrauchsgegenstände und Kleidungsstücke als Reliquien verehrt. So wurde das Schwert [[Dhū l-faqār]], das Mohammed in der [[Schlacht von Badr]] von einem Ungläubigen erbeutet und anschließend [[ʿAlī ibn Abī Tālib]] geschenkt haben soll, lange Zeit in der [[Abbasiden]]-Familie vererbt.<ref>Ignaz Goldziher: ''Muhammedanische Studien''. Band I. Niemeyer, Halle a. S. 1889. S. 359.</ref> Der mamlukische Wesir Tādsch ad-Dīn Ibn Hinā (gest. 1307/08) kaufte einer Familie in [[Yanbu|Yanbuʿ]] für 100.000 [[Dirham]] eine ganze Kollektion von prophetischen Reliquien ab und richtete für sie südlich von Kairo einen speziellen [[Ribāt]] ein. Im 14. Jahrhundert zeigte man dort verschiedene Gegenstände, die der Prophet benutzt haben soll, ein Stück von einer Schüssel, die Pinzette, die er beim Schminken der Wimpern verwendete, die [[Ahle]], die er beim Anlegen seiner Sandalen gebraucht haben soll usw.<ref>Ignaz Goldziher: ''Muhammedanische Studien''. Band1889, IBd. NiemeyerII, HalleS. a362.</ref> Die Sammlung wird auch von dem Reisenden [[Ibn Battūta]] beschrieben, der 1326 in dem Ribāt übernachtete.<ref>Abdulfattah: “Relics of the Prophet Muḥammad as Modes of Dissemination and Control”. 2020, S. 1889778.</ref> [[Al-Wanscharīsī]] (gest. 1505) berichtet, dass die Menschen „diesen gesegneten Ort“ (''hāḏa l-mauḍiʿ al-mubārak'') häufig aufsuchten, um den Segen dieser Reliquien zu erlangen, und sie mit den Händen berührten und sich damit einrieben.<ref>al-Wanšarīsī: ''al-Miʿyār al-muʿrib''. Wizārat al-Auqāf wa-š-Šuʾūn al-Islāmīya, Rabat 1981. Bd. II, S. 362545. [https://archive.org/details/WAQ9067/meiaar02/page/n544/mode/1up Digitalisat]</ref> Der mamlukische Sultan [[al-Ghuri|Qansauh al-Ghūrī]] (gest. 1516) verlegte diesen Reliquienschrein später in die [[Qubba]], die er neben seiner Madrasa in Kairo errichtet hatte.<ref>Aḥmad Taimūr Bāša: ''al-Āṯār an-nabawīya''. Dār al-Kitāb al-ʿArabī, Kairo 1951. S. 40 [https://ar.wikisource.org/wiki/%D8%B5%D9%81%D8%AD%D8%A9:%D8%A7%D9%84%D8%A2%D8%AB%D8%A7%D8%B1_%D8%A7%D9%84%D9%86%D8%A8%D9%88%D9%8A%D8%A9_(%D8%A7%D9%84%D8%B7%D8%A8%D8%B9%D8%A9_%D8%A7%D9%84%D8%A3%D9%88%D9%84%D9%89).pdf/40 Digitalisat Wikisource].</ref> Dort blieben die Reliquien bis 1858/59, als sie erneut verlegt wurden. Nach verschiedenen Zwischenstationen gelangten sie schließlich 1887/88 in die Imam-Husain-Moschee.<ref>Aḥmad Taimūr Bāša: ''al-Āṯār an-nabawīya''. Dār al-Kitāb al-ʿArabī, Kairo 1951. S. 43.</ref> Eine weitere wichtige Prophetenreliquie ist der [[Mantel des Propheten]], auf Türkisch ''Hırka-i Şerif'' („der edle Mantel“) genannt, der im [[Topkapı-Palast]] in Istanbul aufbewahrt wird.
 
Die größte und bedeutendste islamische Reliquiensammlung wird unter dem Namen [[Emanat-ı mukaddese]] („Heilige Deposita“) im [[Topkapı-Palast]] in Istanbul aufbewahrt. Sie wurden von den osmanischen Sultanen aus Orten, die sich unter ihrer Herrschaft befanden, zusammengetragen.<ref>Abdulfattah: “Relics of the Prophet Muḥammad as Modes of Dissemination and Control”. 2020, S. 766.</ref> Zu dieser Sammlung gehören neben dem [[Mantel des Propheten]], auf Türkisch ''Hırka-i Şerif'' („der edle Mantel“) genannt, auch Barthaare des Propheten, die Standarte des Propheten ([[Sancak-ı Şerif]]), Schwerter und ein angeblicher Brief des Propheten, eine Armreliquie [[Johannes der Täufer|Johannes des Täufers]] und noch verschiedene andere Reliquien.
 
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Chamber of the Holy Mantle - Hirka-i Saâdet Dairesi.jpg|Eingang zur Reliquienkammer
Inside Topkapi Palace (2842054281).jpg|Behälter mit Zahn Mohammeds (links), Fußabdruck (Mitte), Behälter mit Staub aus Mohammeds Grab (rechts)
Turkey-3089 (2217259580) (2).jpg|Schwerter und Bogen des Propheten, im Hintergrund der Schrein mit der ''Hırka-i Şerif''
Arm relic and casing of prophet Joan (YAHYA).jpg|Armreliquie Johannes des Täufers
Turkey-3090 (2217259786) (2).jpg|Verschiedene Bart- und Fußreliquien
Muhammad letter muqawqis.jpg|Ein angeblicher Brief des Propheten
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[[File:'By @ibneAzhar'-Badshahi Mosque-Lahore-Pakistan (137).JPG|mini|Teile der Reliquiensammlung in der Badshahi-Moschee von Lahore]]
Eine weitere islamische Reliquiensammlung aus 28 Einzelstücken befindet sich in der [[Badshahi-Moschee]] von [[Lahore]]. Zu ihr gehören Reliquien von Mohammed, [[ʿAlī ibn Abī Tālib]], [[Fātima bint Muhammad]], [[al-Husain ibn ʿAlī]] und [[ʿAbd al-Qādir al-Dschīlānī]] sowie verschiedene andere Reliquien, darunter auch ein Zahn von [[Uwais al-Qaranī]].<ref>Faqir Saiyad Jamal-ud-din: ''List of the Sacred Relics kept in the Lahore Fort together with a Brief History of the same''. Civil and Military Gazette Press, Lahore 1884. [http://real-ms.mtak.hu/12551/1/000760828.pdf Digitalisat]</ref> Einige Stücke der Sammlung soll [[Timur]] bei der Belagerung von [[Damaskus]] im Jahre 1401 von dort entführt haben, andere soll er durch Abgesandte des besiegten osmanischen Sultans [[Bayezid I.]] erhalten haben. Nachdem sie unter seinen Nachkommen, den [[Timuriden]], weitergereicht wurden, sollen sie durch [[Babur]] nach Indien gebracht worden und bei seinen Nachkommen, den [[Mogulreich|Mogulherrschern]] verblieben sein. Nach dem Niedergang der Moguldynastie gelangten diese Reliquien angeblich durch Yerkauf in privaten Besitz, bis sie im Jahre 1804 der Vater von [[Randschit Singh]] erwarb, der sie, obgleich er ein [[Sikh]], in großen Ehren hielt. Nach dem [[Indischer Aufstand von 1857|Indischen Aufstand von 1857]] gelangten die Reliquien in den Besitz der Briten, die sie der Moschee in Lahore übergaben. Nach dem Volksglauben wurde die Echtheit dieser Reliquien dadurch bestätigt, dass während einer Feuersbrunst in der Umgebung der Moschee das Gebäude durch die Anwesenheit der Reliquien von der Gefahr verschont wurde.<ref>Goldziher: ''Muhammedanische Studien''. 1889, Bd. II, S. 367f.</ref>
 
Schließlich befindet sich noch eine bescheidene Sammlung prophetischer Reliquien sich in einem verschlossenen Raum in der [[Ahmad-al-Badawi-Moschee]] in [[Tanta]].<ref>Abdulfattah: “Relics of the Prophet Muḥammad as Modes of Dissemination and Control”. 2020, S. 768.</ref>
 
== Reliquien in anderen Religionen ==
[[Datei:감은사지 동삼층석탑 사리장엄구 02.jpg|mini|Buddhistisches [[Sarira]]-Reliquiar des Gameunsa-Tempels, [[Gyeongju]], Korea]]
{{Lückenhaft}}
Reliquien finden sich in allenanderen [[Weltreligion]]enReligionen, vorzum allem aber im [[Christentum]],Beispiel im [[Shintō]] (vgl. ''[[shintai]]'') und im [[Buddhismus]] (vgl. ''[[Sarira]]''): Als der erleuchtete [[Buddha]] hochbetagt starb, wurden nach der buddhistischen Überlieferung seine sterblichen Überreste [[Feuerbestattung|eingeäschert]]. Seine Asche, Knochen und Zähne teilten sich mehrere Kleinkönige Nordindiens. Über den Reliquien wurden [[Hügelgrab|Hügelgräber]] ''([[stupa]]s)'' errichtet, die im Laufe der Zeit immer aufwendiger kultisch ausgestaltet wurden.
 
== Siehe auch ==
[[Datei:Reliquienbehälter Essener Domschatz.JPG|mini|Reliquienbehälter aus aufgelassenen Altären des Ostchores im [[Essener Münster]], datiert auf 1054]]
* [[Reliquiensammlung von Vodnjan]]
 
== Literatur ==
'''Christliche Reliquienverehrung'''
* [[Arnold Angenendt]]: ''Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart.'' C. H. Beck, München 1994/1997, ISBN 3-406-42867-3.
* [[Klaus Gereon Beuckers]], Dorothee Kemper (Hg.): ''Typen mittelalterlicher Reliquiare zwischen Innovation und Tradition'' (= ''Objekte und Eliten in Hildesheim 1130 bis 1250, Bd. 2''), Regensburg 2017.
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* [[Ernst Alfred Stückelberg]]: ''Geschichte der Reliquien in der Schweiz.'' 2 Bde. Basel 1902/1908.
* [[Helmut Moll]], Art.: ''Reliquienverehrung-Katholisch'', in: Lexikon für Kirchen- und Religionsrecht, Band 3, Paderborn 2020, 915.
 
'''Islamische Reliquienverehrung'''
* Iman Abdulfattah: “Relics of the Prophet and Practices of His Veneration in Medieval Cairo” in ''Journal of Islamic Archaology'' 1 (2014) 75–104.
* Iman Abdulfattah: “Relics of the Prophet Muḥammad as Modes of Dissemination and Control during the Mamluk-Ottoman Transition in Egypt” in [[Julia A. B. Hegewald]] (Hrsg.): ''In the Footsteps of the Masters. Footprints, Feet and shoes as Objects of Veneration in Asian, Islamic and Mediterranean Art''. EB-Verlag, Berlin 2020. S. 765–794.
* [[Ignaz Goldziher]]: ''Muhammedanische Studien''. Band II. Niemeyer, Halle a. S. 1889. S. 356–366. [https://archive.org/details/in.ernet.dli.2015.231411/page/n365/mode/2up Digitalisat]
* [[Lorenz Korn]]: “Footprints and Sandals as Relics and Symbols of Veneration in Islamic Cultures” in [[Julia A. B. Hegewald]] (Hrsg.): ''In the Footsteps of the Masters. Footprints, Feet and shoes as Objects of Veneration in Asian, Islamic and Mediterranean Art''. EB-Verlag, Berlin 2020. S. 727–764.
* [[David Samuel Margoliouth]]: “The Relics of the Prophet Mohammed” in ''The Muslim World'' 27 (1937) 20-27.
* Josef W. Meri: “Relics of Piety and Power in Medieval Islam” in Alexandra Walsham (Hrsg.): ''Relics and Remains''. Oxford University Press, Oxford 2010. S. 97–120.
* Brannon Wheeler: ''Mecca and Eden. Ritual, Relics and Territory in Islam''. University of Chicago, Chicago 2006. S. 72–85.
 
== Weblinks ==
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== Einzelnachweise ==
<references responsive/>
 
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