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{{Dieser Artikel|behandelt Stigmatisierung als soziologisches Phänomen, weitere Bedeutungen unter [[Stigma]], [[Stigmata]] und [[Stigmatisation]].}}
 
Unter '''Stigmatisierung''' wird in der [[Soziologie]] ein Prozess verstanden, durch den Individuen bestimmte andere Individuen in eine bestimmte Kategorie von [[Soziale Position|PositionPositions]]s­inhabern einordnen,
* durch Zuschreibung von Merkmalen und Eigenschaften, die diskreditierbar sind;
* durch [[Diskreditierung]] von Merkmalen und Eigenschaften, die diskreditierbar sind;
* durch Diskreditierung bereits vorhandener, sichtbarer Merkmale und Eigenschaften.<ref>Erving Goffman: ''Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität.'' Frankfurt 1974., S. 56 ff.</ref><ref>Detlef Baum: ''Relative Deprivation und politische Partizipation. Sozialstrukturelle Bedingungen politischer Beteiligung.'' Peter Lang, Frankfurt am Main, /Bern, /Las Vegas. 1978., ISBN 3-261-02514-X., S. 25.</ref>
 
Wenn eine Person oder eine Gruppe von Personen von anderen durch gesellschaftlich oder gruppenspezifisch negativ bewertete Merkmale charakterisiert werdenwird, werdenwird sie dadurch in sozialer Hinsicht [[Diskriminierung|diskriminiert]].
 
Ein '''Stigma''' ({{grSgrcS|''στíγμα''στίγμα|prefix=nein}} für ''Stich'', ''Wundmal'') ist eine unerwünschte Andersheit gegenüber dem, was wir erwartet hätten.<ref>Erving Goffman: ''Stigma, Notes on the Management of Spoiled Identity.'' New York 1963, S. 6.</ref> Ein Stigma ist eine Verallgemeinerung einer spezifischen Handlung oder Eigenheit einer Person auf deren Gesamtcharakter. Dabei bewirkt das Stigma einen [[Sozialer Status|Status]] der Person, der gegenüber ihren übrigen Eigenschaften hervorsticht.
 
[[Erving Goffman]] betrachtete Stigma als Beispiel für die Kluft zwischen dem, was eine Person sein sollte (ihrer virtuellen sozialen [[sozialeSoziale Identität|Identität]]), und ihrer wirklichen sozialen Identität, d.&nbsp;h., was sie wirklich ist.<ref>„Stigma“. In: Wolfgang J. Koschnik: ''Standardwörterbuch für die Sozialwissenschaften.'' Bd.Band 2,. München /London /New York /Paris 1993, ISBN 3-598-11080-4.</ref>
 
== Beschreibung ==
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Daher sind in der Regel sogenannte Randgruppen betroffen, die gemeinsame, negativ bewertete [[Merkmal]]e haben, durch die sie von anderen Mitgliedern der Gesellschaft unterschieden werden (siehe auch [[Vorurteil]], [[Klischee]]). Daraus ergibt sich ein [[Teufelskreis]]: Randgruppen werden stigmatisiert, Stigmatisierung führt zu [[Ausgrenzung]] und Randgruppenbildung.
 
[[Erving Goffman]] vermutet, dass die Stigmatisierungsprozesse „eine allgemeine gesellschaftliche Funktion haben – nämlich Unterstützung für die Gesellschaft bei denen einzuholen, welche nicht von der Gesellschaft unterstützt werdenwerden“.<ref>Erving Goffman: a.&nbsp;a.&nbsp;O.''Stigma, Notes on the Management of Spoiled Identity.'' New York 1963, S. 138.</ref> Es ist eine Reaktion auf nicht erfüllte Normerwartungen, da dadurch die gemeinsamen Normen weit jenseits derer, die sie voll erfüllen, aufrechterhalten werden können.<ref name="Ziemer">Benjamin Marius Schmidt, Gesa Ziemer: [{{Webarchiv |url=http://www.ith-z.ch/media/pdf/0539267001215526124.pdf |wayback=20120131013023 |text=Verletzbare Orte. Zur Ästhetik anderer Körper auf der Bühne] |archiv-bot=2019-04-19 12:28:56 InternetArchiveBot}} (PDF-Datei; 1,86&nbsp;MB), ith-z.ch, 19. Jänner 2004, Version: 1. März 2006-</ref>
 
Beispiele für soziale Stigmata waren oder sind das Vorliegen von [[Vorstrafe]]n, [[Obdachlosigkeit]], [[Drogenabhängigkeit]], körperliche oder geistige [[Behinderung (Sozialrecht)|Behinderungen]]en, [[psychische Störung]]en, [[Krankheit]]en (z.&nbsp;B. [[Lepra]], [[HIV]]/[[AIDS]]<ref>Kristin Kahl: ''Diskriminierung. Jenaer Institut untersucht gesellschaftliche Bedeutung von HIV.'' In: ''Deutsches Ärzteblatt.'' Band 117, Heft 3, 17. Januar 2020, S. B 76.</ref>, Hautkrankheiten), aber auch die [[sexuelle Orientierung]] oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten [[Nationalität]], [[Religion]] oder [[Volksgruppe]], wie dies oft für „[[Zigeuner]]“ galt.
 
Auf [[wikt:subtil|subtilere]] Weise wird auch bereits die [[Armut]] zum sozialen Stigma, wenn sie etwa als mangelnde [[Leistungsbereitschaft]] charakterisiert wird, wenn die [[Schuld (Ethik)|Schuld]] für Armut alleine in einem persönlichen Versagen gesucht wird, wenn Betroffenen projektiv ein Ausruhen in der deutlich ideologisch postulierten, jedoch tatsächlich inexistenten ‚sozialen Hängematte‘ unterstellt wird, etwa bei [[Arbeitslosigkeit|Arbeitslosen]]. Sichtbares Merkmal ist dabei etwa die [[Kleidung]] der Betroffenen, an der der ''soziale Status'' für jeden ablesbar ist (siehe auch [[Soziologie]]). Dieser sichtbaren Stigmatisierung wollte etwa die Arbeiter-[[Jugendkultur]] der [[Mod (Subkultur)|Mods]] in England entgegenwirken, indem demonstrativ teure Kleidung getragen und die Oberschicht imitiert wurde.
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== Stigmaforschung ==
In der Stigmaforschung werden einerseits die Prozesse erforscht, die zur Stigmatisierung führen, andererseits die Formen des Umgangs der von Stigmatisierung betroffener Personen mit dem Stigma (Stigmamanagement). Hierbei wird grundsätzlich zwischen Stigmatisierung auf gesellschaftlicher und auf individueller Ebene unterschieden.
 
Als Verfahren zur Feststellung des Ausmaßes von StigmatisierungenStigmatisierung hat sich die Messung der erwünschten „[[sozialeSoziale Distanz|sozialen Distanz]]“ als häufig angewandte Methode bewährt: Die untersuchten Personen werden danach befragt, ob sie jemanden mit dem spezifischen Stigmatisierungsmerkmal (z.&nbsp;B. einer psychischen Erkrankung) als Mieter, Nachbarn oder Babysitter akzeptieren würden. Vertiefend wird gefragt, ob die befragte Person in eine Familie einheiraten würde, in der Menschen mit dem spezifischen Stigmatisierungsmerkmal leben, oder ob die untersuchte Person solche Menschen in ihren sozialen Kreis aufnehmen würde oder als Mitarbeiter empfehlen würde.
 
Goffman entwickelt eine Typologie des Umgangs mit Stigmata im Alltag. Er unterscheidet zwischen verschiedenen Formen des Umgangs wie Enthüllung, Verdrängung, Kompensation, Inanspruchnahme gesetzlicher Schutzmechanismen. Bei nicht sichtbaren Stigma-Merkmalen (z.&nbsp;B. frühere Gefängnisstrafe, Spielschulden) entscheidet eine betroffene Person über Geheimhaltung oder [[Selbstenthüllung|Enthüllung]]. Beides kann je nach Adressat sowohl ungünstige wie günstige Auswirkungen haben. Auch auf Seiten der Interaktionspartner von durch Stigmatisierung bedrohten Personen wird Stigmamanagement betrieben (Ignorieren des Stigmas, [[Empathie]], Meiden von Stigmaträgern usw.).
Vergleichende Untersuchungen über die Stigmatisierung psychisch Kranker in [[Nigeria]] und Deutschland ergaben, dass Stigmatisierungen in Deutschland wesentlich seltener zu erwarten sind als in Nigeria, was auf den besseren Informationsstand über diese Krankheiten in Deutschland zurückzuführen sein könnte. Andererseits weisen Untersuchungsergebnisse einer Zürcher Forschungsgruppe darauf hin, dass sich auch die besonders gut über die Sachverhalte informierten Fachleute in ihrem Antwortverhalten bezüglich sozialer Distanz kaum von der Durchschnittsbevölkerung unterscheiden. Diese Ergebnisse haben kritische Fragen nach dem Rollenbild und der Funktion von [[Psychiater]]n in der Verhütung und Bekämpfung von Stigmatisierungen psychisch Kranker bestärkt.<ref>W. Gaebel u.&nbsp;a., ''Public attitudes towards people with mental illness in six German cities. Results of a public survey under spezial consideration of schizophrenia'', in: Eur. Arch. Psychiatry Clin. Neurosci., Nr. 252, 2002, S. 278–287 und A. O. Adewuya u.&nbsp;a., ''Social distance towards people with mental illness amongst Nigerian university students'', in: Soc. Psychiatry Psychiatr. Epidemiol., Jg. 40, 2005, S. 865–868</ref>
 
Vergleichende Untersuchungen über die Stigmatisierung psychisch Kranker in [[Nigeria]] und Deutschland ergaben, dass Stigmatisierungen in Deutschland wesentlich seltener zu erwarten sind als in Nigeria, was auf den besseren Informationsstand über diese Krankheiten in Deutschland zurückzuführen sein könnte. Andererseits weisen Untersuchungsergebnisse einer Zürcher Forschungsgruppe darauf hin, dass sich auch die besonders gut über die Sachverhalte informierten Fachleute in ihrem Antwortverhalten bezüglich sozialer Distanz kaum von der Durchschnittsbevölkerung unterscheiden. Diese Ergebnisse haben kritische Fragen nach dem Rollenbild und der Funktion von [[Psychiater]]n in der Verhütung und Bekämpfung von Stigmatisierungen psychisch Kranker bestärkt.<ref>W. Gaebel u.&nbsp;a., ''Public attitudes towards people with mental illness in six German cities. Results of a public survey under spezial consideration of schizophrenia.'', inIn: Eur. Arch. Psychiatry Clin. Neurosci., Nr. 252, 2002, S. 278–287 und A. O. Adewuya u.&nbsp;a., ''Social distance towards people with mental illness amongst Nigerian university students.'', inIn: Soc. Psychiatry Psychiatr. Epidemiol., Jg. 40, 2005, S. 865–868.</ref>
 
{{Siehe auch|Stigmatisierung psychisch Kranker}}
 
== Begriffsgeschichte ==
Im christlichen (insbesondere katholischem) Umfeld bezeichnet [[Stigmatisation]] das Tragen der Wundmale Christi (Stigmata). An verschiedenen [[Wallfahrtsort]]en, wo Christusstatuen verehrt werden, soll es hin und wieder zu Wundern kommen, indem die Stigmata angeblich zu bluten anfangen.
 
Nach Goffman, der den Begriff „Stigma“ wesentlich geprägt hat, lässt sich der Begriff wie folgt herleiten:
 
''Die Griechen [...] schufen den Begriff Stigma als Verweis auf körperliche Zeichen, die dazu bestimmt waren, etwas Ungewöhnliches oder Schlechtes über den moralischen Zustand des Zeichenträgers zu offenbaren.''<ref>Vgl. Goffman a.&nbsp;a.&nbsp;O., S. 9.</ref> Diese Zeichen waren, gebrannt oder in den Körper geschnitten, sofort erkennbar, was eine schnelle und eindeutige Zuordnung als Stigmatisierter ermöglichte, also als eine ''rituell für unrein erklärte Person, die gemieden werden sollte''<ref>ebenda</ref> (Sklave, Verbrecher, Verräter).
 
Im Christentum wurde die Bedeutung des Begriffes um Zweierlei erweitert:
# als Zeichen göttlicher Gnade, die in Form von Blumen auf der Haut aufbrachen,
# Bezug auf körperliche Zeichen physischer Unstimmigkeit.
 
Heute wird „Stigma“ wieder annähernd an seine ursprüngliche Bedeutung gebraucht, aber stärker auf die Un[[ehre]] selbst bezogen als auf deren körperliche Erscheinungen. Auch haben sich die Arten von Unehre verändert.
 
== Siehe auch ==
* [[Intoleranz]]
* [[Lookism]]
* [[Ressentiment]]
* [[Stereotyp]]
* [[Blauäugig (1996)|Blauäugig]] (Dokumentarfilm)
 
== Literatur ==
* Michaela Amering /, Margit Schmolke: ''Recovery. Das Ende der Unheilbarkeit.'', Psychiatrie-Verlag, Bonn 2007, ISBN 978-3-88414-421-3.
* [[Manfred Brusten]] / Jürgen Hohmeier (HggHrsg.): [http://bidok.uibk.ac.at/library/stigmatisierung-index.html ''Stigmatisierung 1+2. Zur Produktion gesellschaftlicher Randgruppen''] – Luchterhand Verlag, Darmstadt 1975.
* Asmus Finzen: ''Psychose und Stigma: Stigmabewältigung – zum Umgang mit Vorurteilen und Schuldzuweisungen.'', Psychiatrie-Verlag, Bonn 2000.
* Wolfgang Gaebel, [[Hans-Jürgen Möller]], Wulf Rössler (HggHrsg.): ''Stigma – Diskriminierung – Bewältigung. Der Umgang mit sozialer Ausgrenzung psychisch Kranker.'', Kohlhammer, Stuttgart 2004.
* [[Erving Goffman]]: ''Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität.'', Frankfurt am Main, 1967 [engl. Orig. 1963].
 
== Weblinks ==
{{Wiktionary}}
{{Wiktionary|Stigma}}
* [http://bidok.uibk.ac.at/library/loesel-stigmatisierung.html Lösel: Prozesse der Stigmatisierung in der Schule]
* [http://www.avert.org/aidsstigma.htm Stigma, discrimination and attitudes to HIV]
* [https://web.archive.org/web/20111114043030/http://www.anti-stigma.de/html/stigmatisierung%20%20bekampfen.htm Stigmatisierung bekämpfen]
* [http://de.oocities.com/omikron23/doublebind.html Double-Bind und Mystifizierung]
* [http://alex-sk.jimdo.com/ronald-d-laing-mystifizierung-konfusion-und-konflikt/ Ronald D. Laing: Mystifizierung, Konfusion und Konflikt]
 
== QuellenEinzelnachweise ==
<references />
 
{{Normdaten|TYP=s|GND=4057561-5}}
 
[[Kategorie:Sozialpsychologie]]