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{{Dieser Artikel|behandelt den Skeptizismus als [[Philosophie|philosophische]] Richtung. Für weitere Wortverwendungen siehe [[Skeptiker]].}}
'''Skeptizismus''' ist ein Begriff zur Bezeichnung der philosophischen Richtungen, die das systematische Hinterfragen, nicht den blanken [[Zweifel]], zum Prinzip des Denkens erheben und die Möglichkeit einer [[Erkenntnis]] von [[Wirklichkeit]] und [[Wahrheit]] in Frage stellen oder prinzipiell ausschließen. Die neuzeitliche Wortverwendung bezeichnet jedoch häufig lediglich den Zweifel statt des Untersuchens und Forschens als Ausgang des Denkens.
 
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Das Wort Skeptizismus ist eine gelehrte Entlehnung, die aus dem altgriechischen Begriff ''σκεπτικός'' ''skeptikós'' abgeleitet wurde, der von σκέψις ''sképsis'' abstammt; ''sképsis'' bedeutet „Betrachtung, Untersuchung, Prüfung“; zugrunde liegt das Verb ''σκέπτεσθαι'' ''sképtesthai'' „schauen, spähen, betrachten, untersuchen“. Entsprechend waren antike Skeptiker solche, die eine Sache von allen Seiten untersuchten, um deren Beschaffenheit festzustellen. Sie wurden im Hinblick auf ihre Untersuchungen und Überlegungen „Kundige“, altgriech. ''σοφοί'' (''sophoi'') genannt, später auch als [[Sophisten]] (''σοφισταί'') bzw. [[Philosoph]]en (''φιλόσοφοι'') bezeichnet.<ref>Vgl. Wilhelm Pape: ''Griechisch-Deutsches-Handwörterbuch'', Bd. 2.- Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): ''Enzyklopädie Philosophie.'' Hamburg 2000. Neuauflage 2010. – Duden: ''Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache.'' 3. Auflage. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag 2006.</ref>
 
Die Neigung der Skeptiker, Dinge genau zu untersuchen, führte zu prinzipiellen Bedenken gegen alles, was sich nicht untersuchen ließ. Dazu gehörten alle Aussagen, die über sinnliche Phänomene hinausgingen. Daher wurde menschliches Wissen in Frage gestellt. Um sich nicht festzulegen, bediente man sich einer unparteiischen Sprache und vermied Floskeln wie „es steht fest“, „ich bin sicher, dass“.<ref>Vgl. Dietmar Heidemann: ''Der Begriff des Skeptizismus: Seine systematischen Formen, die pyrrhonische Skepsis und Hegels Herausforderung.'' Berlin/New York (Gruyter) 2007, S. 1–12. - A. A. Long, D. N. Sedley: ''Die hellenistischen Philosophen.'' Stuttgart/Weimar 2006, S. 15–19. -„Gegen Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts existiert in Alexandria eine förmliche Schule der »empirischen Ärzte«, welche die Erörterungen ihrer »dogmatischen« Fachgenossen über die Krankheitsursachen als aussichtslos aufgaben und sich an die Erfahrung, d.&nbsp;h. genaue und häufige Beobachtung hielten.“ Karl Vorländer: ''Geschichte der Philosophie.'' Band 1, Leipzig 51919, S. 171–177. – Zum Sprachgebrauch eines Skeptikers vgl. auch die Äußerungen Humes im ''Treatise. 1.4.7.15'': 'Manchmal„Manchmal, wenn mir etwas ins Auge springt, überwältigt mich eine spontane Augenblicksempfindung und dann schreibe ich: ''das‚das ist klar, das ist sicher, das ist unstrittig,'' … etc. Es ist aber nur diese momentane Empfindung, die mich dazu veranlasst, und nicht weil ich dogmatisch denke, wie man mir hier unterstellen könnte.'</ref>
 
Noch für [[Erasmus von Rotterdam]] war ein Skeptiker kein Zweifler. Er schrieb um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert:
:„Der Name 'Skeptiker' entspricht dem, was Skeptiker tun: Sie erforschen und denken gründlich nach. Es fällt ihnen schwer, sich auf etwas Bestimmtes festzulegen und sie verteidigen auch nicht das, was sie vermuten. Die Skeptiker folgen dem, was sich bewährt hat, Nicht-Skeptiker aber dem, was sie für gewiss halten.“<ref>Elisabeth Gutjahr: ''Studien zu didaktischen Leitvorstellungen in den Traditionen von Skepsis und Rhetorik.'' Würzburg 2004, S. 94.</ref>
 
Philosophen der Gegenwart, die sich auf die altgriechische Wortbedeutung von Skepsis beziehen, charakterisieren '''Skepsis''' als „gemeinschaftliche Untersuchung einer Aspektvielfalt“ eines Gegenstandes und halten diese Sachlichkeit für die beste Möglichkeit, philosophieren zu lernen.<ref>Vgl. Erwin Schadel: ''Skepsis – Ermöglichung oder Verhinderung menschlicher Ursprungserfahrung? Ein Vergleich antiker und neuzeitlicher Positionen.'' S. 101. In: Martin Götze u. Albert Mues: ''Philosophie als Denkwerkzeug: zur Aktualität transzendentalphilosophischer Argumentation.'' Festschrift für Albert Mues zum 60. Geburtstag. Würzburg 1998, S. 101–118. - [[Raúl Richter]]: ''Einführung in die Philosophie.'' Berlin/Leipzig 1920, S. 6</ref>
 
In den Jahrhunderten zwischen 700 und 1000 geriet die antike Skepsis fast in Vergessenheit. Der führende Kirchenlehrer [[Augustinus]], der sich vor seiner Taufe mit dem Skeptizismus vertraut gemacht hatte, kritisierte diesen bald darauf. 'Skeptiker„Skeptiker sind unglücklich, weil sie die Wahrheit nicht kennen'kennen“, schrieb Augustin 386 in seiner philosophischen Frühschrift ''[[De beata vita|Über das Glück]]''. Es war sein persönliches Fazit aus der Zeit seiner Zugehörigkeit zu den Akademikern.<ref>''Über das Glück, 2, 13–15''</ref> In seiner kurz darauf entstandenen Schrift ''Gegen die Akademiker'' widerlegte Augustin die skeptischen Sichten im Detail. Diese Schrift diente vielen in den Jahrhunderten danach als Fundgrube für Argumente gegen den Skeptizismus. Wissenschaften, Moral und Lebenspraxis wurden von der christlichen Religion und deren Gewissheiten beherrscht. In der Übergangszeit vom [[Mittelalter]] über die [[Renaissance]] zur [[Neuzeit]] wurde wieder an die antike Skepsis angeknüpft.<ref>Vgl. [[Richard Popkin]], ''The History of Scepticism from Erasmus to Descartes.'' Assen, 1960. Verschiedene, erweiterte Neuausgaben. Zuletzt als: ''The History of Scepticism from Savanarola[[Giovanni Michele Savonarola|Savonarola]] to Bayle.'' 2003, S. 17–43.</ref> Die von [[Montaigne]] wiedererweckte antike Skepsis ist eine Haltung, die alles fragwürdig macht, die aber auch alles fragwürdig lässt und die Möglichkeit von Gewissheit leugnet und so einen Gegensatz sowohl zu Glauben als auch zu Wissen darstellt.<ref>[[Richard Toellner]]: ''Zum Begriff der Autorität in der Medizin der Renaissance.'' In: [[Rudolf Schmitz (Pharmaziehistoriker)|Rudolf Schmitz]], [[Gundolf Keil]] (Hrsg.): ''Humanismus und Medizin.'', Weinheim 1984 (= ''Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung.'' Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 159–179, hier: S. 167 f.</ref>
 
=== Skeptizismus und Dogmatismus ===
Der Dialog zwischen Skeptikern und Dogmatikern[[Dogma]]tikern zog sich durch die ganze Zeit der Antike bis zur Zeit der hellenistischen Philosophen. Die Skeptiker gingen davon aus, dass die menschliche [[Sinneswahrnehmung]] zwar die einzige philosophisch akzeptable Sachlichkeit ermöglichte, unsere Sinne jedoch kein getreues Abbild der Welt lieferten. Dogmatiker wie der Stoiker [[Zenon von Elea|Zenon]] dagegen gingen vom Gegenteil aus. Fast allen Philosophen war gemeinsam, dass die Welt der Götter dem Menschen nicht zugänglich sei. [[Platon]] war die Ausnahme: Er postulierte in seiner [[Ideenlehre]], dass der Mensch Zugang zu „ewigen Wahrheiten“ habe. Seine Nachfolger in der Akademie, [[Arkesilaos]] und [[Karneades]], haben diese Auffassung als unhaltbar verworfen und ihre eigene Skepsis praktiziert.<ref>Vgl. A. A. Long, D. N. Sedley: ''Die hellenistischen Philosophen.'' Stuttgart/Weimar 2006, S. 1–8. – Entsprechendes findet sich auch in vielen gängigen Philosophiegeschichten.</ref>
 
Da die Vertreter des Skeptizismus bezweifeln, dass es ein Wahrheitskriterium gibt, steht der Skeptizismus jeder Art im Gegensatz zum [[Dogma]]tismus. Als Dogmatismus bezeichnen die Skeptiker alle Richtungen, deren Vertreter behaupten, beweisbare, richtige Aussagen über eine objektive Wirklichkeit machen zu können. Logisch-argumentativ wird der skeptische Widerspruch folgendermaßen formuliert: Zum [[Beweis (Logik)|Beweis]] einer [[Hypothese]] müsse stets Unbewiesenes vorausgesetzt werden. Auch diese Voraussetzung müsse beweisbar sein. So komme man zu einer unendlichen Kette von Beweisen. Außerdem gebe es zu jeder Behauptung eine gegenteilige Behauptung, die mit ebenso einleuchtenden Argumenten vertreten werden kann ([[Isosthenie]]); damit sei alles Wissen der Dogmatiker als Scheinwissen zu entlarven. Im Gegensatz zu den [[Empirismus|Empirikern]], [[Rationalismus|Rationalisten]] und [[Realismus (Philosophie)|Realisten]] bestreiten Skeptiker, dass es grundlegende, [[Evidenz (Philosophie)|evidente]] [[Wahrheit]]enWahrheiten gibtgebe, die so offenkundig sind, dass sie jedem zugänglich sindseien. Etwas anders formulierte zu diesem Thema [[Richard Rorty]] folgendes: Das Interesse an der Wahrheit Platons hat nachgelassen. Menschliches Handeln wird heute nicht mehr ontologisch fundiert. Menschen gehen heute von 'intuitiven Vorstellungen' aus, die sich auf 'menschenwürdiges Handeln' beziehen.<ref>Vgl. Richard Rorty: ''Wahrheit und Fortschritt.'' Übersetzt von Joachim Schulte. Frankfurt am Main 2003, S. 246–249.</ref>
 
Der Skeptizismus ist nicht auf eine Aussage darüber festgelegt, ob es etwas Wahres gibt; Skeptizisten machen nur Aussagen über die verschiedenen Aspekte einer Sache, über die nachgedacht wird.<ref>Moderne Philosophen wie [[David Hume]], [[Ernst Mach]], [[Fritz Mauthner]], [[Richard Rorty]] u.&nbsp;a. sind Beispiele dafür.</ref> Skeptiker stellen keine objektsprachlichen Behauptungen über wirkliche Sachverhalte auf, weil sie dafür einen Wahrheitsbeweis erbringen müssten. Sie stellen [[Metasprache|metasprachliche]] Behauptungen über Aussagen ihrer Gegner auf. D.&nbsp;h. der dogmatische Sprachgebrauch wird am Maßstab der Sache kritisiert.<ref>Wie weitreichend derartige Untersuchungen sind zeigt sich am Beispiel der Arbeit von Fritz Mauthner: Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 3 Bde., 1901 ff. – Die antiken Sprachuntersuchungen des Protagoras und Gorgias sind verloren gegangen.</ref>
 
Vertreter des deutschen Idealismus unterstellten den Skeptikern, dass sie eigentlich Dogmatiker seien. [[Johann Gottlieb Fichte|Fichte]] interpretierte die skeptische Idee, von den Sachen auszugehen und in der Folge, die Erkenntnis der Wahrheit auszuschließen, als skeptisches Dogma.<ref>Klaus Hammacher, Richard Schottky, Wolfgang H. Schrader, Johann-Gottlieb-Fichte-Gesellschaft (Hrsg.): ''Theoretische Vernunft.'' Amsterdam 1993 S. 7&nbsp;f.</ref>
 
=== Weitere Begriffsbestimmungen ===
Hegel nannte die Skepsis im Zusammenhang mit seinen Ausführungen über den Skeptizismus „die freie Seite jeder Philosophie“. 1793 hatte [[Karl Leonhard Reinhold]] erwähnt, dass es noch nie so viele vieldeutige Bestimmungen des Skeptizismus gegeben habe, wie zu seiner Zeit.<ref>[[Klaus Vieweg (Philosoph)|Klaus Vieweg]]: ''Die freie Seite einer jeden Philosophie – Skepsis und Freiheit.'' In: Brady Bowman und, Klaus Vieweg (Hrsg.): ''Die freie Seite der Philosophie. Skeptizismus in Hegelscher Perspektive.'' Würzburg 2006, S. 9.</ref> Häufig wird Skeptizismus mit einer bloß erkenntnistheoretischen Zweifelslehre oder mit Relativismus gleichgesetzt. Er wird auch als Synonym für die eigentliche Philosophie verwendet oder mit einer bestimmten, ausgezeichneten Gestalt der Philosophie identifiziert oder als Variante von Nicht- oder Unphilosophie angesehen.
 
Die meisten Philosophiehistoriker halten den Zweifel für ein zentrales Merkmal skeptischen Philosophierens. Michel de Montaigne und René Descartes gehörten zu den ersten, die in diesem Sinne philosophierten. Beide kamen ausgehend vom Zweifeln zu jeweils unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Seit dem 17. Jahrhundert wird der Begriff 'Skeptizismus' in den Philosophiegeschichten als philosophiehistorische Kategorie verwendet.<ref>Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): ''Enzyklopädie Philosophie.'' Hamburg 2000. Neuauflage 2010. Stichwort: Skeptizismus.</ref>
 
Der [[Methodischer Zweifel|methodische Zweifel]] nach dem Grundsatz „An allem ist zu zweifeln“ (lateinisch ''De omnibus dubitare'') des [[Descartes]] bedeutet nicht notwendigerweise, dass der Zweifelnde ein Vertreter des Skeptizismus ist.<ref>''Es hat jedoch nicht den Sinn des Skeptizismus, der sich kein anderes Ziel setzt als das Zweifeln selbst, daß man stehenbleiben soll bei dieser Unentschiedenheit des Geistes, der darin seine Freiheit hat, sondern es hat vielmehr den Sinn, man müsse jedem Vorurteil entsagen […]'' (''[http://www.zeno.org/Philosophie/M/Hegel,+Georg+Wilhelm+Friedrich/Vorlesungen+%C3%BCber+die+Geschichte+der+Philosophie/Dritter+Teil.+Neuere+Philosophie/Zweiter+Abschnitt.+Periode+des+denkenden+Verstandes/Erstes+Kapitel.+Periode+der+Metaphysik/A.+Erste+Abteilung/1.+Descartes Descartes]''. In: [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel]]: ''Werke in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe.'' Band 20, S. 127, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979)</ref> Wer wie Descartes den Zweifel nur als Mittel auf der Suche nach gesichertem Wissen verwendet, ist kein Skeptiker im eigentlichen Sinne. Skeptiker ist, wer die Erfolgsaussichten einer solchen Suche aus prinzipiellen Gründen negativ beurteilt, wie dies z.&nbsp;B. bei David Hume der Fall war. Im weiteren, akademischen Sinne wird Descartes u.&nbsp;a. aber häufig dem Skeptizismus zugeordnet. Er forderte und praktizierte nicht nur den methodischen Zweifel, sondern bezweifelte außerdem die menschlichen Fähigkeiten, Objektives bzw. die Wahrheit zu erfassen. Er setzte daher – wie AugustinAugustinus von Thagaste – Gott als objektives Prinzip, das diesen Nachteil ausgleichen sollte.<ref>Dies beschrieb und kritisierte David Hume: ''Eine Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes.'' Berlin 1869, S. 138–144. Kap.XII, Abschnitt 3. [http://www.zeno.org/nid/20009186743 zeno.org]</ref>
 
Skeptische Sichtweisen, wie sie später von Skeptizisten geäußert wurden, traten schon in der Antike in mehr oder weniger radikalen bzw. gemäßigten Varianten auf. Sie sind schriftlich bei [[Sextus Empiricus]], [[Cicero]] und [[Diogenes Laertios]] zu finden. Radikale, d. h. konsequente Skeptiker lehnten nicht nur die Objektivität von Tatsachenbehauptungen, sondern auch Wahrscheinlichkeits- oder Glaubwürdigkeitsbehauptungen ab; da es kein Kriterium für die Zuverlässigkeit einer objektiven Erkenntnis gebe, könne man auch keinerlei sinnvoll begründbare Aussagen über das Ausmaß einer möglichen Annäherung an die Wahrheit machen. Gemäßigte Skeptiker, wie z.&nbsp;B. platonische Akademiker, ließen Glaubwürdigkeits- oder Wahrscheinlichkeitsaussagen zumindest unter pragmatischen Gesichtspunkten zu oder verwendeten Wahrheitskriterien, nach denen unter Umständen auch etwas nicht absolut Sicheres als wahr bezeichnet werden darf.<ref>Vgl. A. A. Long, D. N. Sedley: ''Die hellenistischen Philosophen.'' Stuttgart/Weimar 2006, S. 13–19.</ref>
 
== Geschichte ==
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===== Pyrrhonische Skepsis =====
{{Hauptartikel|Pyrrhonismus}}
Pyrrhon ging davon aus, dass völlig unerkennbar sei, wie die Dinge für sich sind. Daher müsse man darauf verzichten, eigene Beobachtungen als für alle gültiges Wissen bzw. als objektive Urteile auszugeben.
 
Der Mainstream der universitär ausgebildeten Philosophen geht davon aus, dass griechische Philosophen durch Philosophieren einen Zustand der „Glückseligkeit“ ([[Eudaimonie]]) erstrebten, wofür die Erreichung des Gleichmuts oder der Seelenruhe ([[Ataraxie]], [[Apatheia|Apathie]]) als Voraussetzung galt.<ref>Vgl. z.&nbsp;B. [[Hans Jörg Sandkühler]] (Hrsg.): ''Enzyklopädie Philosophie''. Hamburg 2010, [[Rudolf Eisler (Philosoph)|Rudolf Eisler]] : ''Wörterbuch der philosophischen Begriffe.'' Berlin 21904, Band 2, S. 385–388. [http://www.zeno.org/Eisler-1904/A/Skepticismus zeno.org] Ferner [[Malte Hossenfelder]]: ''Die Philosophie der Antike: Stoa, Epikureismus und Skepsis. Geschichte der Philosophie III.'' München 1995, 2. Auflage. Ebenso [[Karl Vorländer]]: Geschichte der Philosophie. Band 1, Leipzig 5. Auflage, 1919, S. 164–166. [http://www.zeno.org/nid/20009275576 zeno.org]</ref> Auch Pyrrhon bekannte sich zu dem Ziel, die Seelenruhe zu erlangen; er meinte, man könne es durch die skeptische Distanz zur unerkennbaren Wirklichkeit erreichen, da auch alles, was ein Begehren auslösen könnte, der Ungewissheit unterliege. [[Sextus Empiricus]] benutzt das Bild von der Ungestörtheit und „Meeresstille der Seele“. Somit steht der Skeptizismus auch für eine Lebensrichtung, eine ethische Grundhaltung, nicht nur für einen Standpunkt in der [[Erkenntnistheorie]]. Diogenes Laertios beschreibt die Zielsetzung so: „Als Endziel nehmen die Skeptiker die Zurückhaltung des Urteils an, der wie ein Schatten die unerschütterliche Gemütsruhe folgt (…).“<ref>''Leben und Meinungen berühmter Philosophen'' IX, 107.</ref>
 
In der [[Römische Kaiserzeit|römischen Kaiserzeit]] fand die pyrrhonische Skepsis in Sextus Empiricus, der im späten 2. Jahrhundert lebte, ein letztes Mal einen bedeutenden Vertreter. Er stellte die Argumente der antiken Skeptiker-Traditionen und die ihnen entgegengesetzten Lehren der Dogmatiker zusammen. Sein Skeptizismus war radikal, die gemäßigten akademischen Skeptiker hielt er für inkonsequent.
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Die Lösung aus Abhängigkeiten von mythischen und religiösen Vorstellungen gilt seit [[Hegel]] als zentrales Anliegen antiker Skeptiker. Zur philosophischen Freiheit und skeptischen Gelassenheit gehört es, an nichts gebunden zu sein.<ref>Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Hegel-Werke Bd. 19, S. 369.</ref>
 
Die Wiederentdeckung dieser skeptischen Sicht in der [[Renaissance-Humanismus|Renaissance]] ergab sich im Rahmen der Strömungen des Humanismus und der [[Reformation]]. Ihre Vertreter stellten bisher Gültiges und Mächtiges in Frage. So soll z.&nbsp;B. die Wahrheit der [[Aristotelismus|aristotelisch]]-scholastischen Philosophie den Lehrbetrieb an den Universitäten und in den Wissenschaften nicht mehr beherrschen. Humanistische Denker und Reformatoren traten für die Selbstbestimmung des Einzelnen ein. Jeder könne grundsätzlich sein Denken und Handeln selber bestimmen, anstatt sich Dogmen und Autoritäten zu unterwerfen. [[Nikolaus von Kues]] hatte mit seiner „Lehre der Unwissenheit“ (De docta ignorantia) im 15. Jh. ein empirisches Studium der Natur gefordert. Die Forschungen naturwissenschaftlicher Philosophen wie [[Galileo Galilei]] (1564–1642) und [[Baco von Verulam]] (1561–1628) schlossen sich an.<ref>Es ging um „die Befreiung des Individuums aus fremdverschuldeter Unmündigkeit“. Enno Rudolph, Richard Faber: Humanismus in Geschichte und Gegenwart. Tübingen 2002, S. 3. – Vgl. zur geistigen Krise der Reformation und dem Wiedererwachen der antiken Skepsis: Richard Popkin: ''The History of Scepticism from Erasmus to Spinoza.'' Berkeley/Los Angeles/London 1997, S. 1–41. – Ferner: Karl Vorländer: ''Geschichte der Philosophie.'' Band 1, Leipzig 1919, S. 310–316.</ref>
 
In den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts wurden die beiden erhaltenen Schriften des Sextus Empiricus von [[Renaissance-Humanismus|Humanisten]] ins Lateinische übersetzt. [[Henri Estienne]] übersetzte 1562 die „Grundzüge des Pyrrhonismus“; 1569 folgte die Übersetzung der Schrift „Gegen die Mathematiker“ durch Gentian Hervet, der eine lateinische Gesamtausgabe der Werke des Sextus besorgte.
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Michel de Montaigne zeigte in seinen Essays durchgehend skeptisches Denken. Seine Skepsis war durch die Widersprüchlichkeit scholastischer Theorien und die vielfältigen Möglichkeiten zu denken geprägt. Angesichts der zeitgleichen Religionskriege zweifelte Montaigne an der Möglichkeit, dass Menschen „Gott“ und seinen Willen erkennen könnten. Er gab seiner Skepsis den offenen Charakter seiner Essais und stellte sie auf neuzeitliche Art – anders als Sextus Empirikus – in den Zusammenhang seiner eigenen Beobachtungen. Er blieb bei der pyrrhonischen Skepsis.<ref>Markus Wild: Montaigne als pyrrhonischer Skeptiker. In: [[Carlos Spoerhase]], [[Dirk Werle]], Markus Wild (Hrsg.): Unsicheres Wissen: Skeptizismus und Wahrscheinlichkeit 1550–1850. Berlin/New York 2009. S. 109–158.</ref> Er enthielt sich typisch skeptisch der Parteinahme für eine der überlieferten Weltdeutungen und entdeckte die Produktivität des menschlichen Denkens. Dies nannte [[Hugo Friedrich]] in seiner Studie über Montaigne „erschließende Skepsis“.<ref>Jörn Garber, Heinz Thoma (Hrsg.); Zwischen Empirisierung und Konstruktionleistung: Anthropologie im 18. Jahrhundert. Tübingen 2004, S. 183, Anm. 46.</ref> Aus seinen Beobachtungen zog Montaigne seine Schlussfolgerungen für menschliches Denkens und Handeln. Widersprüche erweitern unseren Horizont, zeigen den Reichtum menschlicher Existenzen auf, der Philosoph ähnelt darin dem Maler, meinte Montaigne. Trotz aller Kritik akzeptiert der Skeptiker die gesellschaftlichen Verhältnisse, die er vorfindet. Er fügt sich ein, aber die kulturellen Urteile und Wertvorstellungen übernimmt er nicht. Montaigne habe also, so eine neuere Veröffentlichung, den umfassenden Zweifel der Pyrrhoneer in eine skeptische Anerkenntnis der jeweiligen Lebenswelt produktiv umgeformt.<ref>Vgl. dazu: Tanja Zeeb: Die Dynamik der Freundschaft: Eine philosophische Untersuchung der Konzeptionen Montaignes, La Rochefoucaulds, Chamforts und Foucaults. Göttingen 2011, S. 32–64. [https://books.google.de/books?id=zEcKZw1YVSIC&pg=PA32&lpg=PA32&dq=skeptisch+leben+montaigne&source=bl&ots=--o3ih9zL2&sig=2xOYm4aDRjcnjNo1g-lMqiZothw&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwiXl4Ww3ovPAhWlLsAKHZq5BOk4ChDoAQgyMAU#v=onepage&q=skeptisch%20leben%20montaigne&f=false Google-Buch.] Aufgerufen am 15. September 2016.</ref>
{{Zitat| ''Ich habe eine Abneigung vor aller Neuerung, unter welcher Gestalt sie auch auftritt; und meine nicht unrecht zu haben, nachdem ich davon so schädliche Folgen erlebt habe. … Die Frucht der Verwirrung ist selten der Lohn dessen, der sie angestiftet hat; er rührt und trübt das Wasser für andere Fischer.''|ref=<ref>''Essais'' I,2.</ref>}}
 
==== Aufklärung ====
Im Zeitalter der [[Aufklärung]] wurde der Skeptizismus zu einer breiten vielschichtigen Strömung. Der französische [[Vordenker der Aufklärung|Frühaufklärer]] [[Pierre Bayle]], dessen historische Skepsis Leibniz im rationalen Idealismus aufgehoben<ref>[[Richard Toellner]]: ''Zum Begriff der Autorität in der Medizin der Renaissance.'' In: [[Rudolf Schmitz (Pharmaziehistoriker)|Rudolf Schmitz]], [[Gundolf Keil]] (Hrsg.): ''Humanismus und Medizin.'', Weinheim 1984 (= ''Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung.'' Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 159–179, hier: S. 168, Anm. 168.</ref> hat, unterschied streng zwischen der Möglichkeit einer wahren Erkenntnis, die er bestritt, und religiösen Überzeugungen, die immer auf Glauben, nicht auf Wissen beruhen. [[Voltaire]] machte den Zweifel zu einer der Maximen seines Denkens. [[Denis Diderot]] übernahm für seine [[Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers|Enzyklopädie]] den Artikel „Pyrronienne“<ref>Bezug auf Pyrrho, siehe den vorigen Abschnitt zu Montaigne</ref> (Skeptizismus) aus dem erstmals 1695–97 erschienenen historisch-quellenkritischen Lexikon ''[[Dictionnaire historique et critique]]'' Pierre Bayles. Zahlreiche Autoren der Enzyklopädie waren Skeptiker.
 
===== David Hume =====
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Hume bestritt den objektiv-realen Charakter der Kausalzusammenhänge und betrachtete sie nur als ein subjektiv-psychologisches Ordnungsprinzip, das sich aus gewohnten kausalen Sichtweisen ergebe (siehe [[Kausalität]]). Nur für die mathematischen Beziehungen, die nach seiner Meinung „durch die reine Tätigkeit des Denken zu entdecken“ und daher geschlossene Systeme sind, erkannte er [[Notwendigkeit]] und [[Gewissheit]] an, während „alle Ableitungen aus Erfahrungen […] Wirkung der Gewohnheit“ seien. So war für Hume schließlich in dieser Hinsicht „die Betrachtung der menschlichen Blindheit und Schwäche das Ergebnis aller Philosophie“. Er gründete seine skeptische Wahrnehmungstheorie auf die Behauptung, dass dem Verstand nie etwas anderes gegenwärtig sei als die Vorstellungen („impressions“ bzw. „ideas“), die durch Sinneseindrücke ('sensations') hervorgerufen werden. Aus diesem Grunde sei die Existenz materieller Dinge außerhalb des Bewusstseins, die objektive Realität überhaupt, nichts weiter als eine Vermutung, die Menschen gewohnheitsmäßig als Gewissheit äußern. Hieraus ergebe sich – theoretisch – die Zweifelhaftigkeit der Existenz materieller Dinge und damit zugleich ihre Nichterkennbarkeit.
 
Humes empirische Skepsis hatte Kant in seinem transzendentalen Idealismus aufgehoben.<ref>[[Richard Toellner]]: ''Zum Begriff der Autorität in der Medizin der Renaissance.'' In: [[Rudolf Schmitz (Pharmaziehistoriker)|Rudolf Schmitz]], [[Gundolf Keil]] (Hrsg.): ''Humanismus und Medizin.'', Weinheim 1984 (= ''Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung.'' Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 159–179, hier: S. 168, Anm. 17.</ref>
 
===== Immanuel Kant =====
Einen gewissen Skeptizismus bzw. [[Agnostizismus]] vertrat auch [[Immanuel Kant]] zumindest im Hinblick auf metaphysische Fragen, wie die Fragen nach Gott, Willensfreiheit und Unsterblichkeit der Seele, bei denen es nicht möglich sei, mit Hilfe der Erfahrung objektive Erkenntnis oder Wissen zu erlangen und die deswegen nur als subjektiv bzw. intersubjektiv gültiger Glaube gerechtfertigt werden können. Um eine skeptische Einstellung und Unterscheidung im Sinne des methodischen Zweifels von [[Descartes]] handelt es sich auch bei seiner Auffassung von der Unerkennbarkeit der „[[Ding an sich|Dinge an sich]]“. Im Unterschied zu Hume war Kant nicht nur von der objektiven Existenz der „Dinge an sich“ außerhalb des menschlichen Bewusstseins überzeugt, sondern verteidigte auch die Möglichkeit objektiver Erkenntnis der Eigenschaften von Substanzen und der kausalen Wechselwirkungen zwischen Gegenständen (und Personen) in Raum und Zeit, wie sie z.&nbsp;B. in der Newton’schen Mechanik gegeben war. Allerdings bestand er darauf, dass man dabei prima facie immer nur mit Erscheinungen von Dingen an sich zu tun habe und nicht mit den Dingen an sich selbst, die uns als solche nicht in der Erfahrung gegeben seien, sondern nur mit Hilfe von Experiment, logischer Überlegung und mathematischen Berechnungen aufgrund ihrer kausalen Wirkungen erschlossen werden können. Aus diesen Gründen reicht nach Kant eigentliche Wissenschaft nur so weit, wie Mathematik angewandt werden kann (damals in der Physik und später auch in der Chemie), sodass nicht nur unsere anthropologische Menschenkenntnis (seit dem 19. Jh. in der Psychologie und Soziologie), sondern auch unsere Erfahrung von der organischen Natur des Menschen (in der Anatomie) und der anderen Lebewesen (später in der Biologie) zwar zu allerlei Kenntnissen, Vermutungen und induktiven Verallgemeinerungen führen kann, jedoch keine objektive Erkenntnis bzw. Wissen im strengen Sinne ermögliche. Eigentliche Wissenschaft im strengen Sinn gibt es nach Kant nur dort, wo wie in der Logik und Mathematik sowie in den apriorischen Grundlagen der Naturwissenschaften absolute Notwendigkeit und [[Allgemeingültigkeit]] erreichbar ist. Alles auf menschlicher Erfahrung basierende uneigentliche „Vermutungswissen“ basiere hingegen nur auf verallgemeinernden Vermutungen, die nicht immer zuverlässig seien, weil sie durch mangelnde oder eingeschränkte Erfahrung sowie durch die beschränkten Fähigkeiten der Sinnesorgane des Menschen mitbestimmt werden.
 
=== Moderne ===
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In die gleiche Richtung zielt auch die These von [[Leonard Nelson]] (''Über das sogenannte Erkenntnisproblem'', ''Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie''), dass jede Anerkennung einer Erkenntnis bereits ein Kriterium für deren Wahrheit voraussetze, das entweder selbst bereits eine Erkenntnis oder aber das als richtig und anwendbar erkannt sein müsse. Dies führe zu einem inneren Widerspruch, zu einem unendlichen Regress. Besonders von [[Logischer Empirismus|neopositivistisch]] orientierten Erkenntnistheoretikern wird das „Nelsonsche Paradoxon“ häufig als Stütze für ihre agnostizistischen Auffassungen und als Beweis dafür verwendet, dass man den Erkenntnisbegriff willkürlich festlegen könne.
 
Der mathematische Idealismus mancher theoretischer Physiker ist ein Versuch, die methodische Skepsis des Neopositivismus zu überwinden.<ref>[[Richard Toellner]]: ''Zum Begriff der Autorität in der Medizin der Renaissance.'' In: [[Rudolf Schmitz (Pharmaziehistoriker)|Rudolf Schmitz]], [[Gundolf Keil]] (Hrsg.): ''Humanismus und Medizin.'', Weinheim 1984 (= ''Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung.'' Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 159–179, hier: S. 168, Anm. 17.</ref>
 
Eine wichtige Rolle spielen in der Philosophie der Gegenwart skeptische Positionsbezüge nicht so sehr im Bereich der Erkenntnistheorie, sondern der praktischen Philosophie. Ein starker skeptischer Impuls geht von dem bei [[Odo Marquard]] propagierten ''Abschied vom Prinzipiellen'' aus. Marquards Ansatz hat insbesondere [[Andreas Urs Sommer]] weiterentwickelt. Die skeptische Richtung in der Praktischen Philosophie verzichtet auf Letztbegründungsversuche und setzt die ursprünglich ohnehin auf die Lebenspraxis zielenden Vorgaben des antiken Pyrrhonismus für die Gegenwart um.
 
[[Paul Kurtz]] unterscheidet als Arten des Skeptizismus:
* [[Nihilismus]] als ''absolut negativer Skeptizsmus'': Der Mensch neigt zum Irrtum; weder Sinneswahrnehmungen noch deduktive Schlussfolgerungen der Mathematik geben sichere Erkenntnis, Bedeutungen sind irreversibel subjektiv. Moralische Prinzipien lassen sich nicht ausmachen. Nicht Vernunft und Beweisführung bestimmen uns, sondern Macht, Gewohnheit und Leidenschaft herrschen. So ist der absolute Skeptizist gefangen in seinem Solipsismus und der absolute Skeptizismus ist ein Widerspruch in sich selbst, indem er behauptet Erkenntnis sei unmöglich; denn dies ist sein Dogma.
* [[Agnostizismus]] als ''neutraler (nihilistischer) Skeptizismus'': Er leugnet und behauptet nichts, verzichtet auf jedes Urteil und wenn er etwas sagt, ist dies nur seine augenblickliche persönliche Privatmeinung ohne Geltungsanspruch. Vertreter dieser Auffassung waren [[Kratylos (Philosoph)|Kratylos]] und [[Pyrrhon von Elis]].
* Der gemäßigte Skeptizismus, wie ihn auch schon David Hume nannte und [[Karneades]] vertrat: Obwohl wir keine letzten Wahrheiten erkennen könne, zwingt uns das Leben, so zu leben und zu handeln als ob. Unsere Verallgemeinerungen beruhen auf Erfahrung und Praxis und die Schlussfolgerungen, die wir aus Gewohnheit und Überlieferung treffen, dienen uns als Richtschnur.
* Ungläubigkeit gegenüber den Dogmen der Religionen: Skeptiker reflektieren ihre Haltung und finden die Sprache der Transzendenz unverständlich oder sinnlos. Die ''Gottesbeweise'' können sie nicht überzeugen und sie gehen davon aus, dass Moral auch ohne Gottesglauben möglich sei.
* Skeptische Nachprüfung als neuer oder methodischer Skeptizismus, der kritisch gegenüber den herkömmlichen Skeptizismen von diesen gelernt hat, und die negative kritische Analyse von Wissensbehauptungen in positive Beiträge umzuwandelt um diese pragmatisch zu nutzen. Dieser Skeptizismus ist nicht absolut, sondern selektiv und kontextuell, doch stets der menschlichen Fehlbarkeit bewusst. Er ist somit eine auch selbstkritische Methode des Zweifels, die für Hypothesen Beweise und Gründe verlangt, so wissenschaftliche Forschung anstrebt und auch Richtlinien für die normativen Bereiche von Ethik und Politik. Diese ''Eupraxophie'' könne uns zu Vernunft in unserem Verhalten verhelfen und solle dabei offen für neue Möglichkeiten und unerwartete Wendungen bleiben.<ref> Paul Kurtz: ''Der neue Skeptizismus'' in: [[Gero von Randow]] (Hg.): ''Der hundertste Affe. Texte aus dem «Skeptical Inquirer»''Rowohlt, 1996, S. 101–125.</ref>
 
Im 17. Jahrhundert hatte René Descartes, der einen [[Methodischer Zweifel|methodischen Zweifel]] praktizierte, aber kein Anhänger des Skeptizismus war, die Möglichkeit diskutiert, dass das, was die Menschen über die Wirklichkeit zu wissen glauben, ihnen von einem [[Genius malignus|bösen Dämon]] vorgetäuscht wird. Diese Idee wurde in der Moderne aufgegriffen. [[Hilary Putnam]] brachte die „[[Gehirn im Tank]]“-Hypothese als philosophisches [[Gedankenexperiment]] ins Gespräch. Erwogen wird die Möglichkeit, dass ein böser Wissenschaftler den Menschen mit Hilfe eines Supercomputers täuscht. Hierzu entfernt er operativ dessen Gehirn, setzt es in eine Nährlösung, verbindet es mit einem Supercomputer und löscht die Erinnerungen über diesen ganzen Vorgang.
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== Textausgaben ==
* [[Sextus Empiricus]]: ''Grundriss der pyrrhonischen Skepsis.'' Mit einer Einleitung von M. Hossenfelder, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-518-28099-6.
* [[David Hume]]: ''Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand''. Aus dem Englischen von Raoul Richter. Hrsg. Jens Kulenkampff. 12. Auflage, Meiner, Hamburg 1993, ISBN 3-7873-1155-6.
** dass., mit Kommentar v. Lambert Wiesing. Suhrkamp, Frankfurt 2007, ISBN 3-518-27005-2.
* [[Michel de Montaigne]]: ''Essais.'' Erste moderne Gesamtübersetzung von [[Hans Stilett]], Frankfurt 1998, ISBN 3-8218-4472-8.<ref>Speziell zu M. als Skeptiker: [[Jean Firges]], ''Michel de Montaigne – Das „Glück dieser Welt“. Skeptischer Humanismus im 16. Jahrhundert.'' Sonnenberg, Annweiler 2001.</ref>
* Franciscus Sanchez: ''Daß nichts gewusst wird''. Lateinisch–deutsch. Einleitung und Anmerkungen von Kaspar Howald. Übersetzung von Damian Caluori und Kaspar Howald. Lateinischer Text von [[Sergei Mariev]]. Phil. Bibl. 586. Meiner, Hamburg 2007, ISBN 978-3-7873-1815-5.
 
== Literatur ==
=== Philosophiegeschichtliche Darstellungen ===
* Julia Annas, [[Jonathan Barnes]]: ''The Modes of Scepticism. Ancient Texts and Modern Interpretations.'' Cambridge 2003.
* Otto Apelt: ''Leben und Meinungen berühmter Philosophen. 2, Buch VII–X, Diogenes <Laertius>; übers. u. erl. von Otto Apelt.'' 1921
* [[Jonathan Barnes]]: ''The Toils of Scepticism.'' Cambridge 1994, ISBN 0-521-38339-0.
* Myles Burnyeat, Michael Frede: ''The Original Sceptics: A Controversy.'' Hackett, Indianapolis/Cambridge 1997, ISBN 0-87220-348-4.
* Damian Caluori, [[Richard Bett]]: ''Skepsis in der Kaiserzeit.'' In: [[Christoph Riedweg]] u. a. (Hrsg.): ''Philosophie der Kaiserzeit und der Spätantike'' (= ''[[Grundriss der Geschichte der Philosophie]]. Die Philosophie der Antike.'' Band 5/1). Schwabe, Basel 2018, ISBN 978-3-7965-3698-4, S. 212–228, 249–253
* Orazio Cappello: ''The School of Doubt.'' Leiden 2019.
* [[Markus Gabriel]]: ''Antike und moderne Skepsis zur Einführung.'' Junius, Hamburg 2008, ISBN 978-3-88506-649-1.
* Robert James Hankinson: ''The Sceptics. The Arguments of the Philosophers.'' London/New York 1995, ISBN 0-415-04772-2.
* [[Malte Hossenfelder]]: ''Skepsis.'' In: ''Handbuch philosophischer Grundbegriffe'', hrsg. von Hermann Krings u. a., Band 3, München 1974, S. 1359–1367.
* [[Richard Hönigswald]]: ''Die Skepsis in Philosophie und Wissenschaft.'' 1914, Neuausgabe (hrsg. und Einleitung von Christian Benne, Thomas Schirren), Edition Ruprecht, Göttingen 2008, ISBN 978-3-7675-3056-0.
* [[Anthony A. Long]]: ''Aristotle and the History of Greek Scepticism.'' In: D. J. O’Meara (Hrsg.): ''Studies in Aristotle.'' Washington 1981, S. 79–106.
* Richard H. Popkin: ''The History of Scepticism from Savonarola to Bayle.'' Überarbeitete Neuauflage, Oxford u.&nbsp;a. 2003, ISBN 0-19-510768-3.
* [[Friedo Ricken]]: ''Antike Skeptiker.'' München 1994, ISBN 3-406-34638-3.
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=== Systematische Diskussion ===
* Keith DeRose, K. und, T. Warfield (Hrsg.): ''Skepticism. A Contemporary Reader.'' Oxford University Press, New York/Oxford 1999.
* R. J. Fogelin: ''Pyrrhonian Reflections on Knowledge and Justification.'' New York/Oxford 1994.
* R. Fumerton: ''Metaepistemology and Skepticism.'' Lanham 1995.
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* Odo Marquard: ''Abschied vom Prinzipiellen.'' Reclam, Stuttgart 1981.
* Odo Marquard: ''Apologie des Zufälligen. Philosophische Studien.'' Reclam, Stuttgart 1987.
* Paul Kurtz: ''The New Skepticism: Inquiry and Reliable Knowledge'', 1992, Prometheus Books, ISBN 0-87975-766-3
* Odo Marquard: ''Skepsis und Zustimmung. Philosophische Studien.'' Reclam, Stuttgart 1994.
* Odo Marquard: ''Philosophie des Stattdessen. Studien.'' Reclam, Stuttgart 2000.
* [[Christoph Bördlein]]: ''Das sockenfressende Monster in der Waschmaschine. Eine Einführung ins skeptische Denken.'' Alibri, Aschaffenburg 2002, ISBN 3-932710-34-7.
* [[Andreas Urs Sommer]]: ''Die Kunst des Zweifelns. Anleitung zum skeptischen Philosophieren.'' C. H. Beck, München 2005, 2. Aufl. 2007, Sonderausgabe 2008.
* [[Nassim Nicholas Taleb]]: ''Der schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse.'' Hanser Wirtschaft, München 2008.
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== Weblinks ==
{{Commonscat|Skepticism}}
{{Commonscat|Skepticism}}Nikolaus Egel; Skepsis als Lebensform: https://www.tabularasamagazin.de/die-skepsis-als-lebensform-einige-betrachtungen-ueber-die-funktion-des-skeptizismus/
* [[Stanford Encyclopedia of Philosophy]]:
 
** {{SEPInternetquelle|httpurl=https://plato.stanford.edu/entries/skepticism/|titel=Skepticism|autor=Juan Comesaña, Peter Klein|datum=2019|abruf=2021-02-20|abruf-verborgen=1}}
** {{SEPInternetquelle|httpurl=https://plato.stanford.edu/entries/skepticism-ancient/|titel=Ancient Skepticism|autor=Katja Vogt|datum=2018|abruf=2021-02-20|abruf-verborgen=1}}
** {{SEPInternetquelle|httpurl=https://plato.stanford.edu/entries/skepticism-medieval/|titel=Medieval Skepticism|autor=Charles Bolyard|datum=2021|abruf=2021-02-20|abruf-verborgen=1}}
** {{Internetquelle|url=https://plato.stanford.edu/entries/skepticism-latin-america/|titel=Skepticism in Latin America|autor=Plínio Junqueira Smith, Otávio Bueno|datum=2016|abruf=2021-02-20|abruf-verborgen=1}}
** {{Internetquelle|url=https://plato.stanford.edu/entries/skepticism-moral-responsibility/|titel=Skepticism About Moral Responsibility|autor= Gregg Caruso|datum=2018|abruf=2021-02-20|abruf-verborgen=1}}
** {{Internetquelle|url=https://plato.stanford.edu/entries/skepticism-content-externalism/|titel=Skepticism and Content Externalism|autor=Michael McKinsey|datum=2018|abruf=2021-02-20|abruf-verborgen=1}}
* [[Internet Encyclopedia of Philosophy]]:
** {{IEPInternetquelle|httpurl=https://www.iep.utm.edu/s/skepanci.htm/|titel=Ancient Greek Skepticism|autor=Harold Thorsrud|abruf=2021-02-20|abruf-verborgen=1}}
** {{Internetquelle|url=https://iep.utm.edu/skepcont/|titel=Contemporary Skepticism|autor=Duncan Pritchard|abruf=2021-02-20|abruf-verborgen=1}}
{{Commonscat|Skepticism}}* Nikolaus Egel; Skepsis als Lebensform: [https://www.tabularasamagazin.de/die-skepsis-als-lebensform-einige-betrachtungen-ueber-die-funktion-des-skeptizismus/ ''Skepsis als Lebensform'' ]
* Julia Annas: [http://www.u.arizona.edu/~jannas/Published%20Articles/scepticism%20and%20religion.pdf Ancient Scepticism and Ancient Religion] (2012, [[PDF]], 103&nbsp;kB)
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/skepticism/|Skepticism|Peter Klein}}
** {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/skepticism-ancient/|Ancient Skepticism|Katja Vogt}}
** {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/skepticism-medieval/|Medieval Skepticism|Charles Bolyard}}
* {{IEP|http://www.iep.utm.edu/s/skepanci.htm|Ancient Greek Skepticism|Harold Thorsrud}}
* [[Thomas Grundmann (Philosoph)|Thomas Grundmann]]: [http://uk-online.uni-koeln.de/cgi-bin/show.pl/rm?ck=070d0a0210ee787bb1ff2ae7230968334d54be4722a8f5a0aea384f5fd564651584d0f07022aa6672fb9fd3eb660447e7b1a03b51637e1fca8b8fad5eebd5b495454061e414578ee6d25bbfb3ebb600e5928510eb11537ff9efffaf1d4eeb108195953154b46506be84676e3aa69b1764175234e0ea55578fdfc98bbf4d2f9f1554154520a0906082aa8292ab9f73bbb725333701106b61420abf898b0fed2ff#9065 Vorlesung ''Skepsis''], [http://uk-online.uni-koeln.de/remarks/d3141/rm7731.pdf Theorie oder Therapie? Die pyrrhonische Skepsis aus der Sicht von Sextus Empiricus] (Draft 1999, [[PDF]], 135&nbsp;KB)
* [http://www.ucs.louisiana.edu/%7Ekak7409/EpistPapersBySubject.html#Skepticism Aufsätze] zu skeptizistischen Positionen in der neueren Erkenntnistheorie
* {{Internetquelle |autor=Michael Conradt |url=https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/die-philosophie-der-skepsis-nichts-ist-wirklich-wahr/1856071 |titel=Die Philosophie der Skepsis - Nichts ist wirklich wahr |werk=Podcast [[Radiowissen]] |hrsg=[[Bayern 2]] |abruf=2022-05-15 |abruf-verborgen=1}}
 
== Anmerkungen ==
<references responsive />
 
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[[Kategorie:Erkenntnistheorie]]