„Tschechow-Kunsttheater Moskau“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Moscow Chekhov Art Theatre 03-2016.jpg|miniaturmini|Das MChAT-Gebäude, 1902 vom bekannten Jugendstil-Architekten [[Fjodor Ossipowitsch Schechtel|Fjodor Schechtel]] umgebaut]]
[[Datei:Anton Chekhov reads The Seagull.jpg|miniaturmini|Anton Tschechow liest am Künstlertheater ''Die Möwe'' (1899)]]
Das '''Tschechow-Kunsttheater Moskau''' ({{RuS|Московский художественный театр им. А. П. Чехова}}; auch als ''MChAT'' bekannt, eine Abkürzung von {{lang|ru|Московский художественный академический театр}}) ist ein 1898 von [[Konstantin Sergejewitsch Stanislawski|Konstantin Stanislawski]] und [[Wladimir Iwanowitsch Nemirowitsch-Dantschenko|Wladimir Nemirowitsch-Dantschenko]] gegründetes [[Naturalismus (Theater)|Naturalismus]]-[[Theatergruppe|Theaterensemble]] in der [[Russland|russischen]] Hauptstadt [[Moskau]]. Im deutschen Sprachraum wurde das Theater als ''Moskauer Künstlertheater'' oder ''Moskauer Kunsttheater'' bekannt.
 
== Geschichte ==
Das Theater ging aus der zehn Jahre zuvor entstandenen ''Gesellschaft für Kunst und Literatur'' hervor. Auf deren Amateurbühne trat der Fabrikantensohn Konstantin Sergejewitsch Stanislawski erstmals als Schauspieler auf und übernahm auch Regie-Arbeiten. Im Spielplan überwogen die Klassiker: neben den Werken von [[Molière]], [[William Shakespeare|Shakespeare]] und [[Friedrich Schiller|Schiller]] wurden insbesondere die Dramen [[Alexander Nikolajewitsch Ostrowski|Ostrowskis]] aufgeführt. Den Anstoß zur Gründung eines professionellen Theaters gab die Begegnung Stanislawskis mit dem [[Dramaturg|Dramaturgen]]en Wladimir I. Nemirowitsch-Dantschenko. Das neu gegründete Künstlertheater (''Московский художественный театр'' - MCht) erlangte schnell Bekanntheit, als es die vier Hauptwerke von [[Alexei Konstantinowitsch Tolstoi|Alexei Tolstoi]], beginnend mit ''Zar Fjodor Joannowitsch'' aufführte. Seinen ersten durchschlagenden Erfolg hatte das Theater jedoch mit dem Stück ''[[Die Möwe]]'' des russischen [[Dramatiker]]s [[Anton Pawlowitsch Tschechow|Anton Tschechow]], das zuvor in St. Petersburg durchgefallen war.[[Datei:Stanislavski Seagull.jpg|mini|Stanislawski als Trigorin in ''Die Möwe'', mit Maria Roksanova]]
 
Das Künstlertheater spielte die internationale Dramatik des Realismus und Naturalismus. Neben den Stücken [[Henrik Ibsen]]s und [[Gerhart Hauptmann]]s stützte sich der Spielplan insbesondere auf die Stücke Tschechows, der dadurch als Autor von Theaterstücken erst bekannt wurde. ''[[Onkel Wanja]]'' wurde 1899 am Künstlertheater uraufgeführt, es folgten ''[[Drei Schwestern (Drama)|Drei Schwestern]]'' im Jahr 1901 und ''[[Der Kirschgarten]]'' 1904.<ref>''Theaterlexikon''. Hrsg. von C. Bernd Sucher. Deutscher Taschenbuchverlag, München 1996, S. 290-291290–291</ref>
 
Im Jahr 1902 konnte der russische [[Schriftsteller]] [[Maxim Gorki]] als Mitarbeiter gewonnen werden. Sein Stück ''[[Nachtasyl (Gorki)|Nachtasyl – Szenen aus der Tiefe]]'' wurde 1902 durch Stanislawski uraufgeführt. 1905 folgte ''[[Kinder der Sonne]]''. Durch die Regiearbeit Konstantin Stanislawskis und das ausgezeichnete Ensemble erwarb sich das Theater europaweit den Ruf einer Avantgarde-Bühne für zeitgenössische Dramatik.
 
Um 1905 war der psychologische Realismus Stanislawskis zur Perfektion gelangt, drohte jedoch zu erstarren. Neue Anregungen für die künstlerische Arbeit sollte die Einrichtung verschiedener Studios bringen. 19041905 gründete der ehemalige Künstlertheater-Schauspieler [[Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold]], der inzwischen mit antirealistischen Inszenierungen Aufsehen erregt hatte, ein solches Studio,. dasEs existierte jedoch wegen Differenzen mit Stanislawski aber nur ein Jahr existiertelang. Meyerhold ging dann seinen eigenen Weg und wurde ein berühmter Regisseur. Andere Studios, zu denen beispielsweise der später bedeutende Regisseur [[Jewgeni Bagrationowitsch Wachtangow|Jewgeni B. Wachtangow]] zählte, hatten längere Zeit Bestand und belebten die Arbeit des Künstlertheaters. Insbesondere Wachtangows Inszenierung von [[Carlo Gozzi|Carlo Gozzis]]s ''Prinzessin Turandot'' wurde ein herausragender Erfolg.
Ein erneuter Versuch, das künstlerische Spektrum zu erweitern, waren Stanislawskis ab 1908 einsetzende Bemühungen, den englischen Theaterreformer [[Edward Gordon Craig]] zu gewinnen. Craigs ''Hamlet''-Inszenierung von 1912 wurde legendär, machte jedoch auch deutlich, wie weit seine künstlerischen Vorstellungen von denen Stanislawskis entfernt waren.
[[Datei:1947-12-24 Das Moskauer Künstlertheater von Arthur Luther.jpg|mini|Das Moskauer Künstlertheater (1947)]]
Auch Stanislawski selbst suchte als Regisseur nach neuen Wegen. 1908 inszenierte er [[Maurice Maeterlinck]]s [[Symbolismus|symbolistisches]] Märchen ''[[Der blaue Vogel]]''. Die Inszenierung wurde ein Welterfolg. Stanislawski suchte auch Kontakt zu avantgardistischen Malern und betraute [[Alexander Nikolajewitsch Benois|Alexandre Benois]], den führenden Bühnen- und Kostümbildner von [[Sergei Pawlowitsch Djagilew|Djagilews]] [[Ballets Russes]] mit der Leitung des Ausstattungswesens. 1916 trennten er sich jedoch von Benois, weil er fürchtete, die Theaterarbeit könne unter einer "Übermacht des Dekorativen" leiden.<ref>zitiert nach: Manfred Brauneck: ''Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters''. 4. Band. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart und Weimar 2003. ISBN 3-476-01616-1, S. 774</ref>
 
Unmittelbar nach der Oktoberrevolution begab sich das Ensemble auf eine ausgedehnte Auslands-Tournee. Nach der Rückkehr betätigte sich Stanislawski vorwiegend als Opernregisseur. Das Künstlertheater wurde zum akademischen Staatstheater (''Московский художественный академический театр'' - MChAT) erhoben und damit den ehemaligen kaiserlichen Theatern gleichgestellt. In den dreißiger Jahren wurde der [[Sozialistischer Realismus|Sozialistische Realismus]] zur verbindlichen und normativen Ästhetik in der Sowjetunion, und Stanislawskis Schauspieltheorie sowie seine Regiemethode zur Norm sowjetischer Theaterkunst. Auch das Künstlertheater konnte nicht gänzlich vor Erstarrung bewahrt werden. Die zum Teil jahrzehntelang konservierten Inszenierungen (wie [[Maurice Maeterlinck|Maeterlincks]] ''Der blaue Vogel'') waren kaum noch von dem Geist durchdrungen, der Stanislawskis Arbeit ursprünglich so aufregend gemacht hatte.
 
Von 1970 bis 2000 wurde das Theater von [[Oleg Nikolajewitsch Jefremow|Oleg Jefremow]] geleitet. Als eine der ersten Bühnen setzte sich das Künstlertheater mit Problemen der [[Perestroika]] in der UdSSR auseinander. 1987 teilte sich das Ensemble und gründete eine ''Vereinigung Künstlertheater''; Oleg Jefremow leitete das Ensemble, das im historischen Gebäude spielte. Ein zweites Ensemble arbeitete unter der künstlerischen Leitung von Tanja[[Tatjana Wassiljewna Doronina|Tatjana Doronina]] an der [[Twerskaja-Straße]]<ref>http://universal_lexikon.deacademic.com/275033/Moskauer_K%C3%BCnstlertheater, abgerufen am 4. Januar 2015</ref>, nur ein paar [[Baublock|Blöcke]] nordwestlich vom [[Roter Platz|Roten Platz]] entfernt.
 
Seit 2000 leitetbis zu seinem Tod 2018 leitete [[Oleg Pawlowitsch Tabakow|Oleg Tabakow]] das Künstlertheater, dessen [[Signet]] eine [[Möwen|Möwe]] (nach Tschechows gleichnamigem Drama) ist. Seit 2004 trägt das Theater seinen heutigen Namen.
 
== Das künstlerische Programm Stanislawskis ==
[[Datei:StanislavskiBundesarchiv Bild 183-18073-0003, Konstantin Sergejewitsch Stanislawski.jpg|mini|Konstantin S. Stanislawski]]
Das Künstlertheater wurde durch eine grundlegende Theaterreform Stanislawskis europaweit bekannt und für die Entwicklung der Schauspielkunst über die Grenzen Russlands hinaus relevant. Stanislawski bekämpfte das bis dahin übliche [[Deklamation|Deklamations-Theater]] und Virtuosentum und verlangte ein realistisch-psychologisches Spiel, das auf Wahrhaftigkeit des Ausdrucks abzielte. Dieser sollte durch vollkommene Einfühlung des Schauspielers in die Rolle erreicht werden. Statt schludrig geprobter Aufführungen gab es im Künstlertheater sorgfältig erarbeitete Inszenierungen und statt reisender Stars ein ausgewogenes Ensemblespiel. Diese Grundlagen der Theaterarbeit gehen auf die Prinzipien der [[Meininger]] zurück, deren reformerische Ansätze durch Gastspiele auch in Russland bekannt geworden waren. Parallel zur Entwicklung der Theater-[[Regie]] in Deutschland - etwa mit [[Otto Brahm]] und [[Max Reinhardt]] - entstand so im Moskauer Künstlertheater ein modernes Verständnis von Regiearbeit und Ensembletheater. Stanislawski wandte sich auch in theoretischen Überlegungen der Führung und Schulung von Schauspielern zu, die später in ein groß angelegtes, wenngleich nicht zu Ende geführtes "System" der Schauspielkunst mündeten und noch heute - besonders im angelsächsischen Raum - grundlegend für die Ausbildung von Schauspielern sind. In New Yorks berühmtem Actors-Studio trainierte [[Lee Strasberg]] Hollywood-Schauspieler nach Stanislawskis Methode; in Prag inszenierte der Regisseur Otomar Krejca im Stanislawski-Stil, und auch die berühmte ''Drei Schwestern''-Inszenierung von [[Peter Stein]], die er 1984 an der [[Schaubühne am Lehniner Platz]] herausbrachte, stand ganz in der Tradition des großen russischen Theatermannes und lebte von der Identifikation der Schauspieler mit ihrer Figur.
 
== Internationale Wirkungen ==
Die Gastspiele des Moskauer Künstlertheaters hatten eine nicht zu unterschätzende Auswirkung auf die Entwicklung des europäischen Dramas und Theaters am Beginn des 20. Jahrhunderts. So gastierte Stanislawskis Ensemble im Jahr 1906 drei Wochen lang in Berlin. Zunächst stand ein Tolstoi auf dem Programm, bei dem die Nachwirkungen der Meininger noch deutlich zu spüren waren. Außerdem zeigte das Künstlertheater Gorkis ''Nachtasyl'', Tschechows ''Drei Schwestern'' und Ibsens ''Volksfeind''. Zum Glanzstück des Gastspiels wurde jedoch Tschechows ''Onkel Wanja''. Publikum und Kritik jubelten.<ref>Günther Rühle: ''Theater in Deutschland. 1887-1945. Seine Ereignisse - seine Menschen.'' S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-068508-7, S. 131-132131–132</ref> Die Intensität des Spiels und die alle Elemente des Theaters zusammenführende Regie verblüfften und begeisterten die Berliner. Das Gastspiel war ein erstrangiges gesellschaftliches Ereignis, das nicht nur von deutschen Regisseuren, Schauspielern, Dramatikern, Wissenschaftlern, Kritikern, sondern sogar vom Kaiser besucht wurde. Der Dramatiker [[Gerhart Hauptmann]] sagte über ''Onkel Wanja'': "Das ist der allerstärkste meiner szenischen Eindrücke. Da spielen nicht Menschen, sondern künstlerische Götter." Hauptmann bekundete, dass er sich diese Darstellungsweise immer für seine Dramen gewünscht habe. Und der Theaterkritiker [[Alfred Kerr]] schrieb: "Die Russen sind für uns ein neuer Maßstab geworden (...) die Regie hat, nach ihnen, ihre Arbeit, die Kritik ihr Urteil zu wandeln."<ref>zitiert nach: Günther Rühle: ''Theater in Deutschland. 1887-1945. Seine Ereignisse - seine Menschen.'' S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-068508-7, S. 134</ref> So kehrten die Prinzipien der Meininger, die zehn Jahre zuvor den Regisseur Stanislawski geprägt hatten, durch seine Regiearbeiten in modernisierter und verfeinerter Form nach Deutschland zurück, die nun ihrerseits Theaterleute und Dramatiker faszinierten und inspirierten.
 
Nicht zuletzt wurde Anton Tschechow durch diese Reisen europaweit bekannt, wenn auch die atmosphärische und melancholische Sicht Stanislawskis auf seine Stücke nicht immer den Intentionen des Autors entsprach, der immer wieder betonte, seine Stücke seien [[Komödie]]n.
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* [[Oleg Nikolajewitsch Jefremow|Oleg Jefremow]] (1927–2000)
* [[Jewgeni Alexandrowitsch Jewstignejew|Jewgeni Jewstignejew]] (1926–1992)
* [[WasiliWassili Iwanowitsch KachalowKatschalow|WasiliWassili KachalowKatschalow]] (1875–1948)
* [[Olga Leonardowna Knipper|Olga Knipper]] (1869–19591868–1959)
* [[Marija Petrowna Lilina|Marija Lilina]] (1866–1943)
* [[Boris Nikolajewitsch Liwanow|Boris Liwanow]] (1904–1972)
* [[Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold|Wsewolod Meyerhold]] (1874–1940)
* [[Jewgeni Witaljewitsch Mironow|Jewgeni Mironow]] (*&nbsp; 1966)
* [[Andrei Wassiljewitsch Mjagkow|Andrei Mjagkow]] (1938–2021)
* [[Iwan Michailowitsch Moskwin|Iwan Moskwin]] (1874–1946)
* [[Maria Ouspenskaya]] (1876–1949)
* [[Innokenti Michailowitsch Smoktunowski|InnokentyInnokenti SmoktunovskySmoktunowski]] (1925–1994)
* [[Serafim Nikolajewitsch Sudbinin|Serafim Sudbinin]] (1867–1944)
* [[Oleg Pawlowitsch Tabakow|Oleg Tabakow]] (* 19351935–2018)
 
== Literatur ==
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* H. Andl: ''Die Entwicklung der modernen Bühnenkunst im Moskauer Künstlertheater.'' Diss. Wien 1948
* C. Amiard-Chevrel: ''Le thèatre artistique de Moscou (1898–1917).'' Paris 1979
 
== Siehe auch ==
* [[Konstantin Sergejewitsch Stanislawski]]
* [[Anton Pawlowitsch Tschechow]]
 
== Einzelnachweise ==
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== Weblinks ==
{{Commonscat|Moscow Art Theatre}}
* [http://www.mxat.ru/ Offizielle Website] (russisch/englisch)
* [http://art.theatre.ru/ Webpräsenz] (russisch)
 
{{Coordinate |NS=55/45/36.619/N |EW=37/36/46.753/E |type=landmark |region=RU-MOW}}
 
{{Normdaten|TYP=k|GND=108574213X|LCCN=no/2016/102445|VIAF=138346575}}
 
[[Kategorie:Theater (Moskau)]]