Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren

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Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren
1967
Universität Hamburg

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Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ war der Text eines Transparents, das am 9. November 1967 im Auditorium Maximum der Universität Hamburg von den damaligen Studenten und früheren AStA-Vorsitzenden Detlev Albers und Gert Hinnerk Behlmer bei der Rektoratsübergabe in der Öffentlichkeit enthüllt wurde. Das dabei entstandene Pressefoto[1] wurde vielfach abgedruckt, und der Text des Transparents wird bis in die Gegenwart als eine der wesentlichen Kernparolen der Deutschen Studentenbewegung der 1960er Jahre oft zitiert.

Der gereimte Slogan „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ spielt kritisch auf die NS-Diktatur von 1933 bis 1945 an. In der NS-Propaganda wurde – im Zusammenhang mit der „Herrschaft des Nationalsozialismus“ – ein zu errichtendes „1000-jähriges Reich“ verkündet, welches aber ewig fortbestehen sollte, und davon hafte ein Modergeruch den Universitäten an.[2][3] Die Studenten protestierten damit gegen die in ihren Augen ausgebliebene Aufarbeitung der Verbrechen des „Dritten Reiches“ in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft sowie gegen – mit dem metaphorischen Begriff „Talare“ bezeichnete – elitäre Strukturen und überholte fragwürdige Traditionslinien der Universitätspolitik.[4] Gefordert wurden deren Demokratisierung und die Mitbestimmung der Studentenschaft.

Am 9. November 1967 fand an der Universität Hamburg eine offizielle Feier anlässlich der Übergabe des Rektorats von Karl-Heinz Schäfer an Werner Ehrlicher statt. Bei der Feier im vollbesetzten Audimax schritten die Lehrstuhlinhaber, alle mit Talaren (traditionellen akademischen Amtstrachten) bekleidet, eine Treppe hinunter, an der Spitze der alte und der neue Rektor.

Gert Hinnerk Behlmer hatte das Transparent in der Innentasche seines Anzugs gefaltet.[5] Während der Prozession holte er es heraus, entfaltete es und trug es mit Detlev Albers vor der Prozession her.[6] Die Professoren konnten den Text nicht lesen und schritten weiter; die Pressefotografen hatten genügend Zeit, die Szene abzulichten. Der Ordinarius für Islamkunde Bertold Spuler rief daraufhin den Studenten zu: „Sie gehören alle ins Konzentrationslager!“[7] Er wurde dafür zeitweilig von seinen Dienstgeschäften suspendiert.[5][8]

Laut Behlmer spielte der geschichtliche Hintergrund des 9. November keine Rolle bei der Vorbereitung der Aktion.[5]

Das Transparent ist 70 cm hoch und zwei Meter lang.[9] Die Grundfarbe ist schwarz, der Text ist zweizeilig in weißen Buchstaben aus Leukoplast mit Groß-/Kleinschreibung aufgeklebt. Bei der schwarzen Stoffbahn handelt es sich um den Trauerflor von der Trauerfeier anlässlich der Beerdigung des vom Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossenen Studenten Benno Ohnesorg, die im Juni 1967 in Hannover stattgefunden hatte. Der örtliche AStA habe, so Behlmer, von einem Ballen schwarzer Kunstseide große Bahnen abgeschnitten und sie an die teilweise weit angereisten Demonstranten verteilt. Er habe sein Stück behalten und am Vorabend des 9. November die Buchstaben aufgeklebt.

Nachdem es jahrzehntelang im Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg aufbewahrt wurde, ist es jetzt als Leihgabe von Gert Hinnerk Behlmer im Hamburger Universitätsmuseum öffentlich zugänglich.[10][11]

Gelegentlich ist der Text Peter Schütt, damals wissenschaftlicher Assistent an der Universität Hamburg, später als „Hofdichter“ der DKP bezeichnet, 1990 Konvertit zum schiitischen Islam, zugeschrieben worden.[12]

Albers[4] und auch Behlmer äußerten, sie seien von einem Graffito an einem Bauzaun auf dem Campus angeregt worden, „der ungefähr so ging: Es mieft in der Universität, und das seit 100 Jahren.“[5]

Ein Student im Talar des Rektors (1968)

In einem Beitrag des ARD/NDR Magazins Panorama vom 2. September 1999 wird der spätere neofaschistische Vordenker Reinhold Oberlercher als Anführer der Gruppe bezeichnet.[13][14]

Albers war zum Zeitpunkt der Aktion Jurastudent im achten Semester und war im Jahre 1966 in die SPD eingetreten. Später war er Professor am Institut für Politikwissenschaften der Universität Bremen, zuvor von 1996 bis 2004 Landesvorsitzender der SPD Bremen. Behlmer war bis 2004 Staatsrat der Hamburger Kulturbehörde. Beide waren zum Zeitpunkt der Aktion Mitglieder des Sozialdemokratischen Hochschulbunds.[15]

Für die Spendenaktion Ein Platz im Audimax stellten beide die Aktion am 9. November 1997 mit dem Original-Transparent an Ort und Stelle nach.[16]

In einem Interview für den Unispiegel 6/2005 im Dezember 2005 erklärte Albers die Gründe, die ihn und seine Kommilitonen zu der Aktion veranlasst hatten:

„Mit dem Transparent wollten wir die Hochschulen darauf stoßen, dass sie sich bislang vor der Aufarbeitung ihrer Rolle im ‚Dritten Reich‘ gedrückt hatten. Außerdem war es die Zeit der außerparlamentarischen Opposition gegen die erste Große Koalition: Wir kämpften gegen die Notstandsgesetze, gegen den Vietnam-Krieg und für nichts weniger als eine Umwälzung der gesamten Gesellschaft.“[17]

Zusätzlich zu dem Protest gegen die althergebrachten, autoritären Strukturen der Ordinarienuniversität erfolgte die Anspielung im Transparent auf das „Tausendjährige Reich“. Hintergrund war die bis dahin kaum und schon gar nicht selbstkritisch thematisierte NS-Vergangenheit vieler deutscher Professoren. Es bleibt aber fraglich, inwieweit diese Bedeutung des Spruchs bei der Rektoratsfeier wahrgenommen wurde. Weder in den folgenden Gremiensitzungen der Universität noch in der Presseberichterstattung spielte dieser Vorwurf eine Rolle.[18]

Norbert Jankowski – im November 1967 stellvertretender AStA-Vorsitzender – hält die Anspielung auf die NS-Zeit für eine nachträgliche Interpretation: Er habe die Anspielung damals nicht wahrgenommen und nimmt auch nicht an, dass „die anderen das vorher durchdacht haben, auch wenn sie das heute oft anders erzählen.“ (Zitiert nach Helene Heise, Thema Parole vom Bauzaun (in der Reihe einestages – Zeitgeschichten auf Spiegel Online)).[19]

Einzelnachweise

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  1. Pressefoto der Aktion, auf uni-hamburg.de veröffentlicht, abgerufen am 2. Oktober 2022.
  2. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/ns-organisationen.html
  3. http://www.rothenburg-unterm-hakenkreuz.de/erklaerung-der-bezeichnungen-deutsches-reich-drittes-reich-und-tausendjaehriges-reich-sowie-weiterbestand-des-reiches-bvg-urteile/
  4. a b Dörthe Nath: 68er-Revolte – „Der NS-Muff ist vertrieben“. In: Süddeutsche Zeitung. 7. November 2007, abgerufen am 23. Mai 2018 (Interview mit Detlev Albers).
  5. a b c d Armgard Seegers, Matthias Gretzschel: „Das Tuch hatte ich in meinem Jackett versteckt…“ In: Hamburger Abendblatt. 8. Mai 2008, archiviert vom Original am 9. Mai 2008; abgerufen am 9. November 2017 (Interview mit Gert Hinnerk Behlmer).
  6. https://www.hamburg.de/clp/dabeigewesene-dokumente/clp1/ns-dabeigewesene/onepage.php?BIOID=977
  7. Hochschulen / Hamburg: Muff im Talar. In: Der Spiegel. Nr. 48, 1967, S. 84 (online20. November 1967).
    Götz Aly: Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück. S. Fischer, Frankfurt 2008, ISBN 3-10-000421-3, S. 70.
  8. Professor Spuler suspendiert. In: Hamburger Abendblatt. 17. November 1967, abgerufen am 9. November 2017.
    9. Nov. 1967. In: Die Welt. 29. November 1999, abgerufen am 9. November 2017.
  9. Mitteilung von Gert Hinnerk Behlmer vom 27. September 2022
  10. Homepage der Universität Hamburg und Mitteilung von Gert Hinnerk Behlmer vom 27. September 2022
  11. Ansonsten ist es richtig, dass sich im Prinzip das aus Formatgründen in einer Stahlkassette verwahrte Spruchband Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren (Maße: Breite 1,97 m und Höhe 0,69 bis bzw. 0,70 m) bereits seit vielen Jahren als Teil des Depositum des Familienarchivs von Gert-Hinnerk Behlmer im Staatsarchiv Signatur 622-1/211 befindet. Es wurde allerdings in den vergangenen Jahren auf Wunsch und in Absprache mit dem Deponenten mehrfach für Ausstellungen (unter anderem im Museum für Kunst und Gewerbe) ausgeliehen. So ist es nun auch bereits seit gut einem Jahr für ca. fünf Jahre als vorübergehende Dauerleihgabe zu Ausstellungszwecken an die Universität Hamburg (Zentralstelle für wissenschaftliche Sammlungen) ausgeliehen – wenn Sie das besagte Objekt also einmal selbst in Augenschein nehmen möchten, ginge dies im Moment in der Tat nicht mehr im Staatsarchiv, sondern nur dort in der Universität Hamburg (das im Haus der Geschichte in Bonn viele Jahre präsentierte, nahezu identische Spruchband ist übrigens eine nachträglich anhand von Fotos konstruierte Version gewesen, da man dort wohl zeitweise annahm, der Original würde inzwischen gar nicht mehr existieren). Auskunft Staatsarchiv Hamburg von 1. September 2020
    Der Muff unter den Talaren. In: Norddeutscher Rundfunk. 12. April 2008, abgerufen am 23. Mai 2018.
  12. Norddeutscher Rundfunk (Hrsg.): Die NDR-Quizshow. Die Leuchte des Nordens. Schlütersche, Hannover 2005, ISBN 3-89993-713-9, S. 85.
    Raimund Neuss: 40 Jahre nach ’68: „Die ganze Nazi-Scheiße von gestern“. In: Kölnische Rundschau. 22. Juni 2008, abgerufen am 23. Mai 2018.
  13. Von Mao zu Hitler: Studentenführer von 68 als Rechtsradikale
  14. Seite 109 Mahler, Maschke & Co.: Rechtes Denken in der 68er-Bewegung? Buch von Manuel Seitenbecher, Verlag Ferdinand Schöningh, 8. Dezember 2013 – 557 Seiten
  15. Thilo Scholle, Jan Schwarz: »Wessen Welt ist die Welt?« Geschichte der Jusos. 2. Auflage. J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2019, ISBN 978-3-8012-0564-5, S. 145 f.
  16. Vom Protestler zum Spender. In: Hamburger Abendblatt. 10. November 1997, S. 13, archiviert vom Original am 28. Juli 2014; abgerufen am 23. Mai 2018.
    Foto in: Zitat des Tages: Unter den Talaren. In: Spiegel Online. 14. November 2002, abgerufen am 23. Mai 2018.
  17. Jan Friedmann: Apo-Veteran Albers: „Arbeitslosigkeit kannten wir 68er nur aus Büchern“. In: Spiegel Online. 6. Februar 2006, abgerufen am 23. Mai 2018.
  18. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 9. November 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.zeitgeschichte-hamburg.de
  19. Helene Heise: Das Ende der Talare. In: Spiegel Online. 8. November 2007, abgerufen am 27. Januar 2024.