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Der Stein des Tiberius

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Textdaten
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Autor: F. Meister
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Titel: Der Stein des Tiberius
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46-48, S. 757-760, 773-776, 789-794
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[757] Wir hatten den ganzen Abend vor dem Kaminfeuer gesessen und uns über unsern verstorbenen Freund Wilhelm Wenzel unterhalten, immer eingedenk der alten Regel, daß man die Todten ehren solle. Zu meiner Verwunderung hatte unser Gastfreund nur sehr spärliche Worte in die allgemeine Unterhaltung eingeflochten, obgleich gerade er mit dem Dahingeschiedenen ganz besonders vertraut gewesen. Als die Gesellschaft aber endlich aufgebrochen und ich allein bei ihm zurückgeblieben war, da warf er frische Kohlen auf das Feuer, reichte mir eine neue Cigarre, dampfte die seine eine Zeit lang still und gedankenvoll und erzählte mir dann die folgende Geschichte:

„Vor achtzehn Jahren,“ sagte er, „war ich in Rom; dort traf ich zum ersten Mal mit Wenzel zusammen. Ich lernte ihn kennen und fühlte mich gar bald von seinem Wesen und seiner Persönlichkeit lebhaft angezogen, was eigentlich zum Verwundern war; denn ich war schon damals der stille, zurückhaltende Grübler, während in ihm bereits alle jene Schrullen und Excentricitäten zum Vorschein kamen, die ihn später für so Viele zum unleidlichsten Menschen machten. Er war cynisch, spottsüchtig, eigensinnig, von beißendem Witz, aber schärfstem Verstande. Allerdings war er dazumal noch jung, und im Schimmer der Jugend erscheinen gar viele unserer Fehler harmloser und unschuldiger, als sie wirklich sind. Wenzel aber hatte auch seine trefflichen Seiten; sonst hätte unsere Bekanntschaft wohl nicht zu einer wirklichen Freundschaft reifen können: sein Charakter war ehrlich und treu – trotz jener seltsamen Caprice, von der ich zu erzählen haben werde; meine Zuneigung für ihn entsprang nicht zum kleinsten Theil der Ueberzeugung, daß er, bei all seiner Eitelkeit, sein verschrobenes Wesen ebenso unangenehm empfand, wie andere Leute; das erweckte mein Mitgefühl. Er gab sich stets – und auch hier in Rom – den Anschein, als ob Alles ihn unerträglich langweile. Trotz alledem aber konnte er es nicht verhindern, daß ihn der Eindruck dieser oder jener Schönheiten oft so unvorbereitet traf, daß er geradezu überwältigt wurde; denn er war auch ein scharfer und feiner Beobachter, und wenn er einmal seinen guten Tag hatte, so gab es, dank seinen gründlichen Kenntnissen und seinem außerordentlichen Gedächtniß, keinen gediegeneren Kritiker und keinen belehrenderen und unterhaltenderen Gesellschafter als ihn. Mein Tagebuch aus jener Zeit wimmelt von gelehrten Gedanken und tiefsinnigen Vergleichen und Aussprüchen – das ist Alles Wenzel’s geistiges Eigenthum.

Trafen wir auf der Campagna den unvermeidlichen Hirten, der, Hände und Kinn auf seinen langen Stab gestützt, uns unter seinem dichten, wirren Haarwuchs hervor schwarzäugig anstierte, dann proclamirte ich denselben als den schönsten Kerl der ganzen Welt und bat auch wohl meinen Begleiter, zu verweilen, damit ich das wundervolle Genrebild mit wenigen Strichen skizziren könne, Wenzel aber wendete sich voll Abscheu und Verachtung von dem braunen Burschen ab, nannte ihn eine schmutzige Vogelscheuche und mich einen weibischen Salonpoeten. Die Sache lag aber einfach so: die Schönheit Italiens, die sich sowohl in den Menschen, wie in der Natur dort offenbart, verletzte und bedrückte meinen Freund. Er wußte und erkannte sich selber als einen Mißton in dieser Fülle süßer und weicher Harmonien – ein jedes Ding schien ihm hier zuzurufen:

‚Was gäbest Du wohl darum, wenn auch Du so heiter, so sorglos und ruhig, so liebenswerth und schön wärest, wie wir?‘

Und in der Tiefe seines Herzens war dies auch sein bitterer, schmerzlicher Wunsch. Um die ganze Bitterkeit des Neidgefühls, mit welchem die italienische Atmosphäre den armen Menschen erfüllte, zu verstehen, muß man sich in’s Gedächtniß zurückrufen, wie häßlich er gewesen. Und damals, mit dreißig Jahren, war er häßlicher, als später mit fünfzig; denn im Laufe der Jahre gewöhnte man sich daran, die Züge seines abstoßenden Satyrgesichtes sokratisch und distinguirt zu finden.

Unsere Freundschaft wurde fester und fester, und wir brachten täglich viele Stunden mit einander zu. Die schönsten darunter waren die, welche wir zu Pferde in der weiten Campagna verlebten. Der Winter war herangekommen; die Sonne schien so warm, wie hier in Deutschland im Monat Juni, und die Hügel und Ebenen lagen sommerlich grün in dem schimmernden, gelben Mittagslichte des italienischen Novembers.

Eines Tages bestiegen wir auf dem Grasplatz vor dem Lateran unsere Gäule und ritten hinaus in das Blachfeld, über welches der Claudinische Aquäduct seine träge Länge nur mühsam hinzuschleppen scheint; hier und da ist er thatsächlich unter der Last seiner Jahrhunderte stolpernd zusammengebrochen. Nach einem langen Ritt machten wir, nicht mehr weit von Albano, bei dem niederen Fragment einer Ruine Halt, banden unsere Pferde an einen in der Nähe stehenden Feigenbaum und schleuderten um das Getrümmer herum. Auf der sonnigen Seite desselben fanden wir im Grase einen schlafenden Menschen, einen jungen Mann, der mit dem Ausdrucke sorglosester Ruhe seinen Kopf auf einen Haufen pflanzenüberwucherter Steine gelegt hatte. Neben ihm gewahrten wir eine alte verrostete Flinte und eine leere Jagdtasche. Nach seinem festen Schlaf zu urtheilen, mußte man meinen, daß er heute schon einen langen, ermüdenden Marsch zurückgelegt, ohne Jagdbeute gemacht zu haben.

Ich blieb lediglich meinem damaligen Rufe und Charakter [758] getreu, wenn ich in der ganzen Stellung des jungen Menschen sofort eine anziehende, jugendlich-natürliche Grazie entdeckte. Er hatte die Beine über einander geschlagen; der linke Arm ruhte unter seinem Nacken, während der rechte neben ihm im Grase lag; das Kinn war erhoben und wies einen starken, vollen Hals, aber der Hut lag über den Augen, sodaß außer Mund und Kinn von seinem Gesichte nichts zu sehen war. Seine ländliche Kleidung zeigte hier und da einen Anflug städtischer Verfeinerung.

‚Sieh doch!‘ begann ich, ‚dieser junge römische Landmann liegt da wie eine Statue.‘

Er regte sich unruhig, während wir so dicht über ihm standen, und stieß einige unverständliche Worte hervor.

‚Laß uns weiter gehen!‘ fuhr ich fort und nahm meines Gefährten Arm, ‚wir thun nicht Recht, wenn wir ihn in seiner Ruhe stören.‘

Wenzel aber wich nicht von der Stelle, und jetzt bemerkte ich, daß etwas Besonderes seine Aufmerksamkeit gefesselt hielt.

Der Schläfer hatte unwillkürlich seine Lage etwas verändert und dabei die Hand geöffnet, die im Grase ruhte. In dieser Hand lag ein ovaler, dunkelfarbiger Gegenstand von der Größe einer kleinen Tabaksdose.

‚Was hat er da?‘ fragte ich meinen Begleiter.

Dieser beugte sich nieder, um besser sehen zu können, erwiderte aber kein Wort.

Meine im Eifer ganz laut gesprochene Frage hatte den Ruhenden erweckt; er erhob seine Hand, und dem Gegenstand in derselben entfuhr ein schwacher, aber deutlicher Lichtblitz.

‚Es ist ein Edelstein,‘ sagte Wenzel, ‚vor Kurzem erst ausgegraben und noch mit Staub und Erde bedeckt.‘

Der junge Eingeborene richtete sich langsam auf, schob seinen Hut zurück und starrte uns an. Er rieb sich die Augen, warf dann einen Blick auf seinen Edelstein – wenn es ein solcher war –, schob darauf die Hand mechanisch in die Tasche und lächelte zu uns empor.

‚Ich muß wissen, was er da hat,‘ murmelte Wenzel und musterte dabei den jungen Menschen mit scharfem Blicke.

Wenzel war ein Curiositätensammler und hatte als solcher bereits sämmtliche Alterthümer- und Trödler-Geschäfte Roms durchsucht. Er suchte in den Alterthümern weder Schönheit noch historischen Werth, sondern einzig und allein künstliche und mühevolle Arbeit – sonderbar genug!

‚Guten Tag!‘ rief ich jetzt unserem Findling zu. ‚Wir wollten Sie nicht stören; wir kamen ganz zufällig hier vorüber.‘

Der Angeredete schüttelte sich, stand auf und blickte uns unter seinen dunklen Locken hervor noch immer lächelnd an. Es lag etwas Kindisches, ja etwas Einfältiges in diesem Lächeln, und im ersten Augenblicke kam mir die Idee, daß wir hier wohl einen Schwachsinnigen vor uns hätten. Der Mensch war jung, aber kein eigentlicher Jüngling mehr; seine Augen waren groß und dunkel, aber sie blickten harmlos und gutmüthig, und seine geöffneten Lippen zeigten weiße, feste Zähne, seine Gesichtsfarbe ein bleiches Braun. Der lockige Kopf saß auf einer hohen, breitschulterigen Gestalt, und so erschien er, Alles in Allem, als ein so hübscher, stattlicher Vagabond, wie man ihn sich nur immer für den Vordergrund einer italienischen Landschaft wünschen kann.

‚Sie haben aber heute Ihren Schlaf noch nicht verdient,‘ begann Wenzel und deutete auf die leere Jagdtasche.

Der junge Mann blickte auf sein Jagdgeräth nieder und dann in Wenzel’s Gesicht; er fuhr sich durch die Haare und lachte.

‚Ich will auch gar nichts schießen,‘ sagte er. ‚Ich nehme die alte Flinte nur mit, um Etwas in der Hand zu haben. Mein Onkel brummt den ganzen Tag, weil ich nichts zu thun weiß, wenn er mich aber mit der Flinte abgehen sieht, dann glaubt er doch, daß ich wenigstens etwas für die Küche mit nach Hause bringen werde. Er weiß nämlich gar nicht, daß das Schloß an dem Dinge hier zerbrochen ist; wenn ich auch Pulver und Schrot hätte, die alte Muskete ginge doch nicht los. Und wenn ich hungrig werde, dann lege ich mich in’s Gras und schlafe.‘

Damit wandte er sich um und blickte grinsend auf sein eben verlassenes Lager.

‚Meinem Onkel,‘ fuhr er fort, ‚fällt es auch niemals ein, mich zu fragen, was ich mitgebracht habe; der ist ein gar frommer Mann und lebt nur von Schwarzbrod und Bohnen.‘

‚Wer ist Ihr Onkel?‘ fragte ich.

‚Der Padre Girolamo zu Ariccia.‘

Nunmehr unterzog er unsere Hüte und Reitgerten einer eingehenden Besichtigung; dann stellte er eine Reihe von Fragen über unsern Ritt und unsere Pferde, über den Miethspreis der letzteren, und schließlich ging er an die Thiere heran, um sie zu streicheln und zu befühlen.

‚Der Kerl hat ganz sicher ein Kleinod in der Tasche,‘ sagte Wenzel. ‚Sieh’ nur – jetzt zieht er’s wieder hervor. Er muß es hier irgendwo gefunden haben; in dem Boden der Campagna stecken noch ungezählte Schätze.‘

Wir näherten uns unserem neuen Bekannten, und als wir wieder dicht neben ihm standen, versteckte er, kindisch und verlegen lachend, die Hand, welche den Stein hielt, hinter seinem Rücken. Wenzel runzelte die Stirn.

‚Der Kerl ist ein Idiot,‘ rief er ärgerlich. ‚Meint ich, daß wir ihm das Ding hinterrücks entreißen werden?‘

‚Was haben Sie da in der Hand,‘ fragte er freundlich. ‚Dürfen wir’s nicht sehen?‘

‚Welche Hand wollen Sie?‘ lachte der Italiener.

‚Die rechte.‘

‚Die linke,‘ sagte Wenzel, als der Andere zögerte.

Der Italiener sah uns noch einen Augenblick ungewiß an, dann aber brachte er das Ding zum Vorschein. Wenzel nahm es in die Hand, wischte es mit dem Taschentuche sorgfältig ab und beugte dann seine kurzsichtigen Augen darüber. Ich wartete ohne Neugierde auf das Resultat seiner Untersuchung und beobachtete inzwischen den Neffen des Padre Girolamo. Der blickte meinen Freund ernsthaft an, zog die Brauen zusammen und bemühte sich augenscheinlich, seinen Verstand und Witz zu Rathe zu halten, um Wenzel’s jedenfalls vielversprechenden Bericht über die Art und den Werth des Steines sogleich recht aufzufassen und zu verstehen. Jetzt bemerkte ich auch, daß Wenzel’s Antlitz vor Erregung und Eifer geröthet war, und sofort brachte ich auch meine Nase über den Stein. Derselbe hatte ungefähr die Größe und Gestalt eines kleinen Hühnereies, war von mattbrauner Farbe, zum Theile mit einer festen, mißfarbigen Kruste überzogen und voll von Unebenheiten auf der Oberfläche. Wenzel setzte allen meinen Fragen ein beharrliches Schweigen entgegen und ließ sich in seinem Kratzen, Wischen und Poliren gar nicht stören. Endlich fragte er trocken und gleichgültig:

‚Wo haben Sie das Ding her?‘

‚Gefunden hab’ ich’s, dort weiter unten, in der Erde.‘

Und der junge Mensch streckte mit einer fast ängstlichen Bewegung seine Rechte aus, um seinen Schatz zurückzunehmen. Wenzel schwankte einen Moment, dann aber legte er den Stein wieder in die Hand seines Eigenthümers; dabei heuchelte er instinctiv die vollkommenste Gleichgültigkeit. Der Italiener stierte den Stein aufmerksam an, wendete ihn um und um und verbarg ihn dann wieder hinter seinem Rücken. Von Neuem spielte das einfältige Lächeln um seine weißen Zähne.

‚Das ist ein Zufall, wie er sich in Jahrhunderten nicht zum zweiten Mal ereignen kann,‘ murmelte Wenzel mir leise zu.

‚Aber so sprich doch! Was ist’s mit dem Steine?‘ fragte ich ungeduldig.

‚Schweig’! Ich wage es gar nicht auszusprechen, wenn auch der Kerl da offenbar kein Deutsch versteht – das Ding ist immens – vorausgesetzt, daß ich es richtig erkannt habe – und hier steht so ein grinsender Vagabond und hat das erste Anrecht darauf. Was machen wir mit ihm? Ich hätte nicht übel Lust, ihm mit dem Kolben seiner alten Mustete den dicken Schädel einzuschlagen.‘

‚Ich bin überzeugt, daß er dir das Ding verkauft, wenn Du ihm genug dafür bietest.‘

‚Wenn ich ihm genug dafür biete! Haha! Wie kann er wissen, was hier genug oder nicht genug ist!? Topas oder Kiesel – was weiß er davon?‘

‚Also ein Topas ist’s ?‘

‚Halt’ den Mund und nenne hier Niemand bei Namen! Der Kerl muß den Stein für einen Kiesel verkaufen – darauf kommt es an. Frag’ ihn, wo er ihn gefunden hat‘

Ich fragte ihn, und nun erzählte unser brauner Gefährte sehr bereitwillig und unter stetem Lächeln alles, was wir wissen wollten: er hatte heute in einem alten, einsamen Weidenbaume die frischen Spuren eines Blizstrahls entdeckt – das Wetter war [759] in der That eine Woche lang ungewöhnlich schwül gewesen und hatte sich vor einigen Tagen in einem schweren Gewitter entladen. Er fand den Baum fast zersplittert und die Erde um seine Wurzeln tief aufgerissen. Der Blitzstrahl selber hatte ein senkrechtes Loch hinterlassen, als ob ein Pfahl dort im Boden gesteckt hätte.

‚Ich weiß nicht, wie ich dazu kam,‘ fuhr er fort, ‚aber während ich in das Loch hinein starrte, schob ich auch zugleich den Lauf meiner alten Flinte hinab. Da stieß ich tief unten auf einen harten Gegenstand; ich stieß noch einmal, und es klang wie Metall. Aha, sagte ich mir, da unten ist etwas verborgen, das muß untersucht werden. Mit einem breiten Splitter des Weidenbaumes fing ich an zu scharren und zu graben, und nach einer halben Stunde fischte ich einen kleinen, verrosteten, eisernen Kasten herauf, der aber schon so mürbe und zerfressen war, daß ich ihn stellenweise mit den Händen eindrücken konnte. Inwendig fand ich feuchte Erde und eine Anzahl ganz verrosteter Eisenplättchen, die vielleicht von früheren Fächern herrühren mochten, und dann diesen Stein. Weiter nichts. Den zerbrochenen Kasten ließ ich liegen und den Stein habe ich behalten. Ecco!‘

Wenzel nahm den Stein, allerdings mit geringschätzigem Achselzucken, noch einmal in die Hand, wobei unser neuer Freund betheuerte, daß derselbe mindestens tausend Jahre alt sei; Julius Cäsar habe ihn in seiner Krone getragen.

‚Julius Cäsar trug überhaupt keine Krone, mein lieber Freund,‘ erwiderte Wenzel herablassend und gutmüthig. ‚Das Ding hier mag tausend Jahre alt sein, es kann aber ebenso gut auch nur zehn Jahre alt sein. Es kann ein Feuerstein sein; es kann auch ein – Achat sein. Ich weiß es nicht. Wollen Sie es auf die Gefahr hin verkaufen?‘

Bei diesen Worten warf er den Stein drei Mal hoch in die Luft und fing ihn ebenso oft wieder auf.

‚Ich bilde mir ein, daß er sehr werthvoll ist,‘ antwortete der junge Mann. ‚Hier in der Gegend werden alle Tage kostbare Sachen gefunden – warum sollte ich nicht auch einmal das Glück haben, wie so mancher Andere, und was Rechtes finden? Warum mußte der Blitz gerade in den Baum schlagen und in keinen andern? Weil mein Schutzpatron, der heilige Angelo, ihn gerade für mich dorthin gelenkt hat.‘

Er war gar nicht so einfältig, wie er aussah.

‚Wenn Du wirklich den Stein haben willst,‘ sagte ich zu Wenzel, ‚dann mach’ ihm Dein Gebot, damit die Sache zu einem Ende kommt!‘

‚Damit die Sache zu einem Ende kommt!‘ wiederholte Wenzel, ‚– das ist leicht gesagt.‘

Er überlegte einen Augenblick; dann steckte er entschlossen den Stein in seine Brusttasche, zog seine Börse hervor und warf langsam zehn Silberscudi, einen nach dem andern, in das Gras. Angelo – so hieß der Italiener – sah die Münzen fallen, machte jedoch keine Bewegung dieselben aufzunehmen. Aber seine Augen fingen an zu glänzen und in seinem Innern begannen Einfältigkeit und Verschlagenheit die Frage zu erörtern: Was thun? Verkaufen oder nicht verkaufen?

Das Häuflein Silber sah gar verlockend aus, andererseits aber wollte er auch kein schlechtes Geschäft machen. Er blickte Wenzel mit einem so bittenden Ausdruck in’s Gesicht, daß ich ganz gerührt davon wurde. Auch Wenzel blieb nicht kalt dabei; denn nach kurzem Zögern warf er noch einen weiteren Scudo klingend zu den übrigen. Angelo holte tief und enttäuscht Athem, mein Begleiter aber wendete sich kurz ab und setzte den Fuß in den Bügel. Gleich darauf saßen wir Beide im Sattel. Angelo stand regungslos und starrte auf das Geld.

‚Sind Sie zufrieden?‘ fragte Wenzel trocken.

Der Italiener lächelte seltsam.

‚Haben Sie ein gutes Gewissen?‘ fragte er mit einem Ausdrucke zurück, der in eigenthümlichem Gegensatze zu seinem vorherigen einfältigen Wesen stand.

‚Unverschämter Mensch,‘ schrie Wenzel, ganz roth in Gesicht. ‚Was geht Sie mein Gewissen an?‘

Damit gab er seinem Thiere die Sporen und sprengte, den Stein sicher in der Tasche, davon. Ich grüßte Angelo mit der Hand und folgte langsamer. Nach einer Weile blickte ich zurück. Der Italiener stand noch immer auf demselben Flecke und starrte uns nach. Er hatte das Geld augenscheinlich noch nicht angerührt.

Ich holte meinen Freund ein und ritt schweigend neben ihm her; ich grübelte über diesen eigenthümlichen Handelsabschluß; mir erschien die Geschichte nicht in der Ordnung. Wenzel legte Werth auf den Besitz des Steines, Angelo ebenfalls, und zehn Scudi und einer darüber waren nur ein elender Preis für etwas, das einem werthvoll ist. Nur mit Ueberwindung ging ich an den Gedanken heran, daß Wilhelm Wenzel, der Mann von sonst geradezu rauher Ehrlichkeit, sich hier zu einer Handlungsweise hatte hinreißen lassen, die zum Mindesten einer sehr künstlichen Erklärung und Entschuldigung bedurfte. Und mit dieser Erklärung rückte er auch schließlich heraus, halb ärgerlich und zornig, weil er sehr wohl wußte, daß seine Logik einen ziemlich grotesken Anstrich hatte:

‚Nur heraus damit!‘ begann er heftig; ‚sprich’s nur aus, um Himmelswillen! Ich weiß, was Du auf der Leber hast – ich habe den Tölpel dort hinten übervortheilt, nicht wahr? Und nun bin ich um Nichts besser als der erste beste Schwindler, he? Na, laß Dir aber sagen, daß ich durchaus keine Gewissensbisse darüber fühle, daß ich den Stein so billig erlangt habe! Hier hieß es: entweder zehn Scudi oder Nichts! Der Heller, den ich mehr geboten, hätte dem Menschen die schläfrigen Augen geöffnet. Also in die Tasche mit allen Bedenken, und zur That! Dem Dummkopf hätte man einen solchen Schatz nicht eine halbe Stunde länger anvertrauen dürfen; wer weiß, was sonst daraus geworden wäre. Und darum rettete ich das Kleinod, im Interesse der Kunst, der Wissenschaft und des Geschmacks.‘

‚Freund!‘ unterbrach ich ihn.

‚Laß nur!‘ fuhr er eifrig fort. ,Ich weiß schon – den vollen Preis dafür zu bieten hätte ich mir nicht einfallen lassen dürfen; denn wo sollte ich zehntausend Scudi hernehmen, um dafür ein Spielzeug zu kaufen? Und hätte ich mich verleiten lassen, hundert zu bieten, dann hätte unser pittoresker, dickköpfiger Freund sicherlich sogleich die Ohren gespitzt und den Stein fest gehalten. Er hätte sich Bedenkzeit erbeten und wäre spornstreichs in sein Dorf und zu dem verschmitzten alten Pfaffen, dem Onkel Girolamo, gelaufen. Der hätte die Weisen des Dorfes zu einem Conclave zusammengerufen, und es wäre vielleicht beschlossen worden, daß man sich nach Rom begäbe und den Signore Castellani oder den Director der königlichen Ausgrabungen zu Rathe ziehe. Irgend ein Schlaufuchs hätte von der Sache Wind bekommen und dem Padre Girolamo in’s Ohr geraunt, daß sein hübscher Neffe durch ein Gotteswunder zu Reichthum und Ansehen gekommen sei und nun auch eine Contessina heirathen könne. Und was wäre mir dann für meine Mühe geblieben?‘

‚Aber – –‘ warf ich ein.

‚Nichts von einem Aber!‘ unterbrach er mich. ‚Siehst Du, Freund, ich habe die Sache viel vernünftiger entschieden. Der Stein ist mein geworden; der kluge Angelo kann mit seinem Gelde vier Wochen lang lustig sein und dann meinetwegen wieder schlafen gehen. Mehr Geld würde ihn nur verdorben haben. Außerdem habe ich die Contessina gerettet; ich bin überzeugt, daß er sie nach acht Tagen schon geprügelt hätte. Auf diese Weise ist also alles in schönster Harmonie und Ordnung, und Du, mein Freund, willst allein ein finsteres Gesicht machen? Ich fühle mich durchaus ruhig, ich bin jetzt weder reicher noch ärmer. Ich bin nicht ärmer, weil ich die elf Scudi als ein Geschenk betrachte, das ich einem guten, harmlosen Kerl gereicht, damit er sich einen vergnügten Tag damit mache; ich bin auch nicht reicher, weil ich niemals den Stein zu Gelde machen werde. Hier liegt der Ehrenpunkt. Das Ding ist ein Stein und weiter nichts, und der ganze Genuß, den ich davon zu haben gedenke, wird der sein, daß ich die entzückten und funkelnden Augen der Leute beobachte, welchen ich das blitzende Kleinod zeigen und denen ich dabei erzählen werde, was für ein Kleinod es eigentlich ist.‘

‚Und was für ein Kleinod ist es denn nun, im Namen alles dessen, was den Menschen demoralisiren kann?‘ fragte ich in hoher Ungeduld.

Wenzel kicherte vergnügt vor sich hin.

‚Geduld!‘ sagte er und legte seine Hand auf meinen Arm. ‚Warte, bis ich ihn Dir eines Abends unter die Lampe lege und ihn funkeln lasse! Dann wird er Dir selber sagen, weß Geistes Kind er ist. Aber erst muß ich meiner Sache sicher sein,‘ fügte er, plötzlich ernst werdend, hinzu.

Während des Restes unseres Heimrittes sprachen wir nicht mehr viel. Wir waren bald zu Hause. Ich verlor die nächsten [760] Tage über das erlebte Abenteuer, das mir viel zu denken gab, nicht aus dem Gedächtnisse. – –

Inzwischen waren Wochen vergangen. Wenzel dachte nicht daran, seinen Stein einem Kunstverständigen oder einem Archäologen zu zeigen. Er erkundigte sich vielmehr ganz unter der Hand danach, wie antike Gemmen am besten zu reinigen und wieder aufzufrischen seien, beschaffte die nothwendigen Werkzeuge und Säuren und schloß sich sodann mit seinem Schatze ein. Ich stellte keine Fragen und ließ ihn gewähren, aber ich merkte es ihm an, daß er sich in seinen Erwartungen nicht getäuscht sah. Er pfiff und sang vor sich hin, wie Einer, der endlich die Dame seines Herzens errungen hat. Und so oft ich ihn hörte oder sah, trat mir das Bild Angelo’s vor die Seele, wie er uns nachstarrte, als wir an jenem Tage, wie ein Paar Buschklepper in der Ballade, mit seinem Kleinode auf und davon ritten.

Wir wohnten seit längerer Zeit in einem und demselben Hause. Eines Abends hatte ich mich soeben zur Ruhe begeben, als mein Freund zu mir hereinkam und mich mit solcher Hast und Gewalt aus dem Schlafe rüttelte, als stände das ganze Haus in Flammen. Ich errieth den Zweck seines Erscheinens, noch ehe er den Mund geöffnet hatte; schnell schlüpfte ich in den Schlafrock und folgte ihm in sein Zimmer.

‚Es war mir unmöglich, meinen Triumph bis morgen früh für mich zu behalten,‘ sagte er mit unterdrücktem Jubel; ‚vorhin habe ich die letzte Hand angelegt – dort liegt er in seiner ganzen kaiserlichen Pracht!‘

Und da lag er, unter der Lampe, auf einem Kissen von weißem Sammet, ein feuersprühender, wundervoller Goldtopas.

Wenzel schob mir ein Vergrößerungsglas in die Hand und drückte mich dann in den vor dem Tische stehenden Stuhl nieder. Ich nahm den Stein unter die Lupe. In der Mitte seiner ovalen Oberfläche sah ich eine nackte Figur, die ich anfänglich für eine heidnische Gottheit hielt. Dann aber gewahrte ich den Erdball, die Kugel der Herrschaft, in der einen ausgestreckten Hand der Figur, in der andern aber das fein modellirte kaiserliche Scepter und auf ihrer niederen Stirn die Lorbeerkrone. Rings um die Fläche, an dem ovalen Rande hin, zog sich ein Kranz von vielen verschlungenen Gestalten von Kriegern, Rossen und Wagen, von jungen Männern und Weibern, über dem Haupte des großen Bildes aber, innerhalb der concaven Figurenguirlande, stand die Inschrift:

DIVUS TIBERIUS CAESAR TOTIUS ORBIS IMPERATOR.

‚Der göttliche Cäsar Tiberius,‘ sagte ich erstaunt, ‚der Gebieter des ganzen Erdkreises!‘

‚Ja, ein Stein des Tiberius!‘ bekräftigte mein Freund Wenzel.

Die Steinschnitzerei war mit bewunderungswürdiger Meisterschaft ausgeführt; das starke Vergrößerungsglas zeigte mir jede einzelne Figur in jener vollkommenen Vollendung, wie man sie nur bei den berühmtesten der antiken Marmorstatuen findet. Dazu war die Farbe des Steines von fleckenlosester Reinheit, und wie ich ihn jetzt in seiner ganzen Herrlichkeit vor mir sah, erschien mir seine Größe fast fabelhaft. Das war in der That das Kleinod der Kleinode – ein Schatz von fast unermeßlichem Werthe.

‚War’s nicht der Mühe werth, aus dem Bette aufzustehen, um hier die Bekanntschaft des Kaisers Tiberius zu machen?‘ rief Wenzel, nachdem er sich an meinem Erstaunen geweidet hatte. ‚Auf die Kniee, rothhaariger Barbar! Du stehst hier vor dem allmächtigen Herrscher der Welt. Habe ich diese Pracht mit meinen Lumpen und Lappen, mit meinen kleinen Feilen und mit all dem andern Kratzzeug nicht doch endlich an’s Licht geschafft? Jahrhunderte habe ich beseitigt und einen totius orbis imperator wieder an’s Licht gebracht. Kannst Du es fassen, Freundchen? Pocht Dein Herz nicht höher an die Rippen? Sicherlich noch nicht so, wie es sich gehört. Hier hat der Cäsar den Stein getragen‘ – er zeigte auf seine Brust – ‚nicht weit von der Schulter, und in ciselirtes Gold war das Kleinod gefaßt, besetzt mit Perlen, so groß wie Pflaumen – und so hielt es die beiden Seiten seines golddurchwirkten Mantels zusammen. Die Agraffe war’s des kaiserlichen Purpurs. Zittere, Wurm!‘ Und er nahm das funkelnde Juwel und hielt es gegen meine Brust. ‚Keinen Widerspruch – kein Aber – keine Spitzfindigkeiten, oder wir sind von Stund’ an Todfeinde! Du wolltest fragen, woher ich das Alles so genau weiß, he? Ich weiß es, weil es nicht anders gewesen sein kann. Verstanden? Das Kleinod ist zu köstlich, als daß es einem anderen Zwecke gedient haben könnte. Es ist der schönste Intaglio in der ganzen Welt. Und er hat mir alle seine Geheimnisse erzählt; während dieser ganzen Woche hat er mir täglich stundenlang classisches Latein in’s Ohr geflüstert.‘

‚Hat er Dir auch erzählt, wie er in den eisernen Kasten und unter die alte Weide gerathen ist?‘

‚Natürlich, und noch viel mehr als das, und mehr, als ich Dir jetzt wiedererzählen kann. Begnüge Dich zunächst damit, seine unvergleichliche Schönheit zu bewundern!‘

‚Fürwahr,‘ rief ich endlich, ‚dies ist der wundervollste aller bekannten Intaglios!‘ wenngleich ich nicht so fest wie mein Freund davon überzeugt sein konnte, daß wirklich Kaiser Tiberius den Stein getragen.

Wenzel schwieg eine Weile. Endlich rief er:

‚Aller bekannten? Sage lieber: aller unbekannten! Niemand soll je davon erfahren. Dich verpflichte ich hiermit zu immerwährendem Schweigen. Ich werde den Stein keinem menschlichen Auge zeigen – meine Braut ausgenommen, wenn ich jemals eine solche besitzen sollte.‘

Seine Braut! Sonderbarer Gedanke! Hielt ich es doch beinahe für selbstverständlich, daß mein Freund lebenslang ohne jene bessere Hälfte einherwandeln würde, etwa wie Peter Schlemihl ohne seinen Schatten. Und doch! Wie bald sollte die Zeit diese meine Ansicht corrigiren!“

[773] „Am nächsten Tage langte Wenzel’s Schwester, eine Frau Dörpinghaus, aus dem Wupperthale, in Rom an und mit derselben eine junge Dame, welcher gegenüber sich Wenzel zu allerlei vetterlichen Diensten verpflichtet fühlte, wenngleich dieselbe eigentlich nicht mit ihm verwandt war. Helene Dörpinghaus war nämlich ihrer Begleiterin Stieftochter, das Kind des reichen Fabrikherrn, dessen zweite Frau Wenzel’s Schwester ungefähr acht Jahre zuvor geworden war. Herr Dörpinghaus hatte kürzlich das düstere Wupperthal mit dem Himmel vertauscht, und so erschienen die beiden Damen noch in tiefer Trauer. Diese äußeren Zeichen eines gemeinschaftlichen Schmerzes ließen sie als ein Paar harmonisch und innig verbundener Wesen erscheinen. Frau Dörpinghaus, welche nur zehn Jahre mehr zählte als ihre Stieftochter, war ein prächtiges, treffliches Weib, unberührt von dem öden Muckerthum ihrer zweiten Heimath, und man konnte ihr schlechterdings nur den einen Vorwurf machen: daß sie alle Leute für ebenso brav und gut hielt, wie sie selber war. Ihr Aeußeres war frisch; sie lachte gern und sprach viel und laut, sodaß in den Museen, den Gallerien und Kirchen sich die steifen Nacken englischer Touristen oft genug mißbilligend nach ihr herumdrehten.

Wenzel hatte früher zuweilen geäußert, daß er vor Frauen, die sich mehr als nöthig bemerkbar machten, einen wahren Abscheu empfinde, jetzt aber schien er die sprudelnde Lebendigkeit seiner Schwester gar nicht zu bemerken und erfüllte den Damen gegenüber seine Obliegenheiten als ihr natürlicher Schutz, Rathgeber und Cavalier so unverdrossen und mit so großem Geschick, daß ich darüber einigermaßen in Verwunderung gerieth. Die Erklärung dieser Umwandlung aber lag nicht fern; es gab zu diesem Geheimniß einen Schlüssel, der in so viele Schlösser paßt: mein Freund hatte sich in Fräulein Dörpinghaus in aller Eile verliebt.

Helene Dörpinghaus war eine zierliche, schlanke Blondine; die Trauerkleidung verlieh ihrem zarten Gesichtchen einen süßen, kindlichen Schmelz. Sie trug ihr Haar, nach der Art der frommen Frauen ihres heimatlichen Thales, schlicht über die Schläfen herabgekämmt und hinten in einen griechischen Knoten geschürzt; ihre blauen Augen blickten ernst, kalt und scheu, in den Tiefen derselben aber schien es zu schlummern wie eine Verheißung von Wärme, ja von Gluth – vielleicht ihr selbst noch unbewußt.

Sie redete nur wenig, und mit mir wechselte sie täglich wohl kaum ein Dutzend Wort; dennoch muß ich gestehen, daß ihre Augen einen eigenthümlichen Bann auch auf mich ausübten.

Wenzel machte aus dem Zustande seines Herzens mir gegenüber nicht lange ein Geheimniß, und ich erhielt wieder eine bessere Meinung von meinem Freunde, der in Folge der Affaire mit dem Stein des armen Angelo im Grunde doch empfindlich in meiner Schätzung gesunken war. Oft genug fragte ich mich, ob er denn wirklich kein Herz im Leibe habe, zuweilen aber auch, ob in seinem Kopfe wohl Alles in Ordnung sei. Jetzt aber war in ihm eine gesunde, rechtschaffene, natürliche Leidenschaft erwacht, die nur ein tüchtiger, braver Mann empfinden konnte, und die den, der sie in sich trug, erheben und vervollkommnen mußte – das freute mich.

Ich begann daher zu hoffen, daß vor dem Sonnenschein dieser Liebe auch die Abneigung, dem Italiener sein Recht zukommen zu lassen, dahinschmelzen werde. Sinn und Seele lagen meinem Freunde in Zauberketten; er wurde ein ganz Anderer, und wochenlang dachte er nicht daran, seinen bitteren, unbarmherzigen Witz für sein unschönes Antlitz in die Schranken zu schickem. Sein Glück erfüllte ihn vollständig, und man sah ihm eine recht innerliche Zufriedenheit deutlich an. Zuweilen, wenn wir Beide beisammen waren, brach er plötzlich in ein nervös-lustiges Gelächter über seine eigenen Gedanken aus, und wenn er sich dann weigerte, mir dieselben gegen die conventionelle Scheidemünze mitzuteilen, dann kam ich zu der Ueberzeugung, daß er rein aus humoristischem Erstaunen über sein blindes Glück so heiter sei; denn wie in aller Welt hatte gerade er es fertig gebracht, das Wohlgefallen der reizenden Helene zu erregen?

Von Letzterer hatte ich hierüber natürlich keine Aufklärung zu erwarten, mit der hübschen Wittwe aber sprach ich gern und viel über das Paar, so oft dasselbe sich unserer Gegenwart entzog, was gar häufig geschah.

‚Mir vertraut sie kein Wort von ihren Empfindungen,‘ sagte das gutmüthige Frauchen, ‚und Räthsel,‘ fügte sie in ihrer humoristischen Weise hinzu, ‚habe ich bisher immer nur dann rathen können, wenn die Auflösung schwarz auf weiß darunter zu lesen war. Mein Bruder ist doch wirklich kaum eine fesselnde Erscheinung zu nennen, und dennoch glaube ich sicher, daß Helene sich sehr zu ihm hingezogen fühlt. Aber wer kann’s denn wissen, wie die Liebe ihn in ihren Augen verklären mag? Wer kennt alle die Geheimnisse jener curiosen kleinen Maschinerie, welche die jungen Mädchen ihr Herz nennen? Helene ist ein merkwürdiges und absonderliches Geschöpf, nicht eigensinnig, aber phantastisch. Vielleicht ist es ihr in den Sinn gekommen, meinen Bruder gerade wegen seiner Häßlichkeit zu lieben. Vielleicht will sie absolut nur einen geistig bedeutenden Mann, und da Wilhelm weder schön, noch [774] fashionable, noch überhöflich ist, so hat er ja alle Ursache dazu, sich möglichst mit der Weisheit zu befreunden.‘

Von dem wundervollen Topas redete Wenzel mit mir jetzt nur selten; es lag in unserem Gefühl, daß das Kleinod kein geeignetes Thema sei für das beiläufige Gespräch einer müßigen Minute. Als wir damals unseren Freund Angelo auf der Campagna aus den Augen verloren, da nahm ich die innerliche Ueberzeugung mit fort, daß wir eines Tages auf diese oder jene Weise wieder von ihm hören würden; inzwischen aber waren viele Wochen vergangen, ohne daß dies geschehen wäre.

So kam das Weihnachtsfest heran.

Die heilige Nacht fand uns Vier in der sixtinischen Capelle, wo wir mit bebenden Herzen der wundervollen Christmesse lauschten.

Frau Dörpinghaus hatte sich, wie immer, meiner Obhut anvertraut, und als wir Beide aus der Kirche traten, bemerkten wir, daß unsere Gefährten sich im Gedränge von uns verloren hatten. Wir warteten unter den Colonnaden eine Zeit lang vergeblich auf sie, und als wir später vor der Behausung der Damen angekommen waren, stellte es sich heraus, daß die Beiden hier noch nicht eingetroffen waren. Ich fühlte mich berufen, das Pärchen zu entschuldigen, und sagte daher, daß sie wahrscheinlich, der Schaar der übrigen Messebesucher folgend, zur Peterskirche gewallfahrtet seien, um dort in dem gewaltigen, halbdunklen Raume die tausend Kerzen brennen zu sehen. Man könne ja auch nichts Anstößiges in dieser nächtlichen Promenade der Zwei finden, da sie, im Grunde genommen, doch Onkel und Nichte seien.

Endlich trafen die Verspäteten ein, nicht nur als Onkel und Nichte, sondern – als Verlobte. Ich erfuhr dies am nächsten Morgen, als ich zu Wenzel in’s Zimmer trat. Er lief rastlos auf und ab, und ich sah ihm an, daß er mir etwas mitzutheilen hatte. Endlich brachte er’s heraus.

‚Höre,‘ begann er, ‚eine Neuigkeit! Ich bin verlobt. Ich bin, wie Du mich hier siehst, sozusagen ein glücklicher Kerl.‘

Ich wünschte ihm von Herzen Glück, während er wieder erregt hin und her ging. Plötzlich blieb er vor seinem Schreibtische stehen und zog ein Fach heraus. Da lag der große Intaglio; er erschien mir mächtiger und majestätischer als je zuvor.

‚Das wäre eine Brautgabe,‘ sagte Wenzel, nachdem er seine Augen einige Zeit an der strahlenden Pracht des Juwels geweidet hatte. ‚Wie würde sie den Stein am besten tragen können? Wie müßte er wohl gefaßt werden?‘

‚Sicherlich nur auf eine Art,‘ entgegnete ich ‚in ein massives Medaillon, an einer kostbaren Halskette hängend. Wohl würde dieses kaiserliche Kleinod, auf dem Busen einer schönen Frau ruhend, die Welt mehr mit seinen Strahlen füllen, als nun, da es hier im finsteren Schubfach zwischen Bürsten und Rasirmessern verborgen liegt. Meiner Meinung nach aber dürfte nur eine Schönheit von einem ganz bestimmten Typus einen solchen großartigen Schmuck tragen – ein dunkles, volles, prächtiges Weib, ein Weib mit den Brauen einer römischen Kaiserin und mit den Schultern einer classischen Statue. Ein schlankes, sylphenhaftes Kind mit blauen Augen und goldenem Haar dagegen würde, nach meinem Gefühl, damit überlastet erscheinen, und wenn ich den Stein zum Beispiel an Fräulein Helene’s Halse sehen müßte, würde ich die Empfindung haben, derselbe zöge sie niederwärts.‘

Wenzel schien durch meinen Einwand unangenehm berührt, aber als er das Schubfach schloß, lächelte er wieder.

‚Helene hat nun freilich wohl nicht die Schultern der milesischen Venus,‘ antwortete er, ‚aber ich glaube, daß es mehr als eines solchen Spielzeugs bedarf, um sie niederwärts zu ziehen.‘

Es hat viel Weihnachtsfeste gegeben, an denen ich nicht zur Kirche gegangen bin, aber so lange ich denken kann, habe ich an der Gewohnheit festgehalten, am Christtage einen langen, einsamen Spaziergang zu unternehmen – es sei das Wetter wie es wolle – und dabei christlichen Gedanken nachzuhängen, sofern solche sich einstellten. So hielt ich es auch an jenem Christtage unter italienischem Himmel. Das Wetter war mild, beinahe warm, das Firmament grau und sonnenlos. Ich schlenderte durch die Straßen der Stadt und suchte endlich das Coliseo auf. Der weite Cirkel war menschenleer, bis auf eine einsame Gestalt, die auf den Stufen des Kreuzes saß, das sich im Mittelpunkte der Arena erhebt – es war ein junger Mann, der, vornüber gebeugt, regungslos dasaß und die Ellenbogen auf die Kniee, das Gesicht in die Hände stützte. Als ich dicht an ihm vorbeiging, erhob er den Kopf; und ich erkannte Angelo. Seit unserer Begegnung waren nur sieben Wochen vergangen, er aber schien um drei Jahre älter geworden zu sein. Er hatte an Fülle verloren, an Ausdruck gewonnen. Als er grüßte, lag in dem Ton seiner Stimme keine Spur mehr von kindischer Einfalt. Er sah ernster, männlicher und gar nicht mehr wie ein Dorfbewohner aus. Seine Kleider waren neu und modern, dabei aber vernachlässigt und unsauber. Der ganze Mensch war so verändert, als habe er inzwischen eine Reise um die Welt gemacht. Ich reichte ihm die Hand und fragte ihn, ob er sich meiner noch erinnere.

Per Dio!‘ schrie er. ‚Dazu habe ich doch wahrlich Grund genug.‘

Angelo trug einen Zorn gegen uns in seinem Herzen. Wer mochte ihm die Augen geöffnet haben? Er sah mich in stummem, halb bittendem, halb drohendem Vorwurfe ernst an. Der Mann that mir leid; denn er hatte etwas verloren, das köstlicher gewesen, als der kaiserliche Topas: seine harmlose, knabenhafte Unwissenheit war von ihm gewichen, jene idyllische Gemüthsruhe, in deren Schatten er damals so sorglos und behaglich in der Campagna geruht, den Kopf auf blumenüberwucherten Steinen. Etwas von seiner früheren Einfalt lag aber auch jetzt noch in seinem gereizten Wesen.

‚Wo ist der andere – Ihr Freund?‘ fragte er dumpf.

‚Zu Hause, noch immer in Rom.‘

‚Was hat er mit dem Steine angefangen?‘

‚Nichts. Er besitzt ihn noch heute.‘

Angelo schüttelte klagend den Kopf.

‚Verkauft er ihn mir wohl, wenn ich ihm fünfundzwanzig Scudi dafür biete?‘

‚Ich fürchte, nein. Er schätzt den Stein sehr hoch.‘

‚Das glaub’ ich. Ob er ihn mir wohl noch einmal zeigt?‘

‚Das müssen Sie ihn selber fragen. So viel ich weiß, hat er ihn noch Niemand gezeigt.‘

‚Ha! Er fürchtet sich vor Räubern. Ja, ja! Das ist ein Beweis für die Kostbarkeit des Steines. Hat er ihn auch noch keinem Juwelier, noch keinem Steinschneider gewiesen?‘

‚Ich sagte Ihnen ja, noch Niemand hat den Stein gesehen. Sie müssen mir glauben, Freund.‘

‚Er hat ihn aber gereinigt und gewaschen und polirt und dann entdeckt, was er ist – he?‘

‚Der Stein ist sehr alt.‘

‚Sehr alt – he? Gewiß ist er sehr alt. Er zählt mehr Jahre, als er mir Scudi eingebracht hat. Und wie sieht er aus? Roth? Blau? Grün? Gelb?‘

Ich zögerte einige Augenblicke, und dann sagte ich:

‚Gelb.‘

Er sah mich lauernd und durchdringend an.

‚Es ist ein Topas!‘ rief er dann.

‚Ganz recht, es ist ein Topas.‘

‚Und ein kunstvoll geschnittener! O, das habe ich wohl gesehen. Ein Intaglio ist’s. Ich weiß jetzt alle die Namen, hab’ ich diese Weisheit doch theuer genug bezahlt! Was stellt das Bildniß vor? It’s eines Königs Kopf? Oder gar der eines Papstes? He? Oder ist’s eine jener schönen Frauen, von denen man in den Büchern liest?‘

‚Es ist das Bild eines Kaisers.‘

‚Eines Kaisers? Wie ist sein Name?‘

‚Tiberius.‘

Corpo di Cristo!‘

Angelo’s Gesicht wurde dunkelroth, und Thränen des Zornes traten ihm in die Augen.

‚Beruhigen Sie sich, Freund!‘ sagte ich. ‚Die Hergabe des Steines thut Ihnen leid, wie ich sehe; man hat Ihnen sicherlich allerlei vorgeschwatzt und Sie aufgestachelt und unzufrieden gemacht.‘

Per Dio! Was war ich für ein Dummkopf! Ich lief damals nach Hause mit meinen elf Scudi und glaubte, daß ich den Haufen Geld niemals würde durchbringen können. Zu allererst taufte ich für meine Ninetta eine vergoldete Haarnadel von einem Hausirer. Sie steckte das Ding in ihre Zöpfe, beschaute sich im Spiegel und fragte mich dabei, wie ich denn plötzlich zu all dem Reichthum gekommen sei. Ha, sagte ich, ich bin reicher als Du glaubst, und zeigte ihr das Geld und erzählte ihr, wie ich dasselbe für den Stein erhalten. Ninetta aber ist ein kluges Mädchen. Sie nannte mich einen Esel, lachte mir in’s Gesicht und schwor, [775] daß der Stein wenigstens fünfhundert Scudi werth gewesen sei. Den Fremden aber hieß sie einen gewissenlosen Schurken. Die guten Heiligen hätten mich ein Vermögen finden lassen, ich aber hätte es in meiner Dummheit wieder aus der Hand und vor die Hunde geworfen. Und zuletzt riß sie die Nadel aus ihrem Haar, warf sie mir in’s Gesicht und rief mir zu, daß sie mich niemals wiedersehen und an Stelle eines solchen Dummkopfes lieber den ersten, besten blinden Bettler auf einem Kreuzwege heirathen wolle. Was sollte ich ihr antworten? Ist ihre Schwester doch Kammermädchen bei einer vornehmen Marchesa hier in Rom, und diese hat ein ganz unschätzbares Halsband aus lauter alten, kostbaren Steinen, die alle in der Campagna gefunden worden sind. Ich schlich davon, ließ den Kopf hängen und verwünschte meine Einfältigkeit; ich warf das Geld zur Erde und spie darauf.‘

Er schwieg einen Augenblick. ‚Endlich ging ich in die Osteria,‘ fuhr er dann fort, ‚um meinen Aerger und meine Scham im Wein zu ertränken. Da saßen am Tische drei meiner Bekannten; ich hieß sie trinken und bezahlte dann alles. Ich wollte das Geld los sein; es brannte mir in der Tasche. Natürlich fragte man mich auch hier, wie ich zu den blanken Scudi gekommen. Ich erzählte die Wahrheit und hoffte, hier eine andere Anschauung der Sache zu finden, als Ninetta sie gehabt. Meine Freunde aber stießen die Gläser auf den Tisch und lachten und verhöhnten mich, bis ich mich nicht mehr zu lassen wußte. Jeder Esel, sagten sie, der solch einen Schatz fände, nähme ihn zwischen die Zähne und brächte ihn denen, die klüger wären als er. An jenem Abend trank ich mir zum ersten Mal in meinem Leben einen Rausch. Den Tag darauf ging ich zu meinem Onkel; ich gab ihm den Rest des Geldes und bat ihn, es den Armen zu spenden oder aber dafür Messen für meine sündige Seele lesen zu lassen. Er fragte mich, ob das Geld erworben sei, und nun erzählte ich die Geschichte auch ihm. Er hörte mir schweigend zu und sah mir unverwandt über seine Brille hinweg in’s Gesicht. Als ich geendet hatte, ließ er das Geld aus einer Hand in die andere gleiten und saß dann drei Minuten lang mit geschlossenen Augen. Plötzlich drückte er mir das Geld wieder in die Hände. Behalt’s mein Sohn, behalt’s! sagte er, mit Deinen fünf Sinnen wirst Du Dir nie ein Stück Brod erwerben können; behalte also, was Du hast, so lange als möglich! Und seit der Zeit laufe ich herum wie im Fieber; ich kann an nichts anderes denken, als an das Vermögen, um das man mich betrogen hat.‘

‚Nun, nun – Vermögen!‘ sagte ich. ‚Sie übertreiben’s ein wenig.‘

‚Ich weiß, was ich sage. Für mich wär’s ein Vermögen gewesen. Tag und Nacht ruft mir eine Stimme in’s Ohr, daß ich mit Leichtigkeit tausend Scudi für den Stein hätte erhalten können.‘

Ich vermochte jetzt seinen Blick nicht mehr auszuhalten und wendete mich ab.

‚Ihr Freund ist ein Schurke,‘ fuhr Angelo heftig fort. ‚Ihnen will ich damit nicht zu nahe treten; ich sehe es Ihnen an, daß Sie mir helfen würden, wenn Sie es könnten; aber Ihr Freund ist ebenso schlecht, wie er häßlich ist. Der Teufel allein weiß es, warum ich ihm Vertrauen schenkte. Kommt er mir aber einmal vor die Augen und wagt er es dann noch, mir mein Recht zu verweigern, so stehe ich nicht für diese beiden Hände! Es wäre mir ein Leichtes, ihn zu erwürgen. – Ich verlange nur mein Recht; speist er mich aber wieder mit seinen deutschen Schimpf- und Spottreden ab, dann – Rache!‘

Und in leidenschaftlicher Erregung riß er den Hut herunter, warf ihn gewaltsam auf den Boden und wischte sich dann die Schweißtropfen von der heißen Stirn.

Ich antwortete ihm freundlich und begütigend; ich versprach ihm, mich seiner Sache anzunehmen, wenn er Rom verlassen und nach Ariccia zurückkehren wolle. Ich rieth ihm, sich irgendwie nützlich zu beschäftigen; dann würde er sich der peinigenden Gedanken schon erwehren können. Ich gestehe allerdings, daß ich, als ich diesen Rath aussprach, daran selber nicht glaubte. Seiner trägen Natur, die nur unter dem Drucke von Gefühlsausbrüchen sich zur Beweglichkeit aufraffen konnte, wäre eine regelmäßige, gesunde Arbeit unerträglicher gewesen, als das Unrecht, das ihm widerfahren.

Er starrte trüb und stumpf vor sich hin, versprach mir aber schließlich, Rom zu verlassen. Wenn ich gute Neuigkeiten für ihn hätte, sagte ich ihm, dann wollte ich ihm nach Ariccia Nachricht geben. Und so erfuhr ich auch seinen vollen Namen, einen Namen, der seinem Inhaber eigentlich ein Talisman hätte sein müssen gegen der Welt Sorge und Noth – Angelo Beati. – –

Wilhelm Wenzel blickte finster drein, als ich ihm von meiner Begegnung mit unserm alten Bekannten erzählte. Er schalt den armen Teufel einen affectirten, theatralischen Narren, ließ sich schließlich aber dennoch dazu herbei, mich zu beauftragen, an Angelo zu schreiben und denselben auf einige Tage später zu einer Unterredung zu bestellen. Er war also gewissenhaft genug, sich auch der unangenehmen Seite der Angelegenheit nicht zu entziehen. Ich schrieb drei Zeilen nach Ariccia, in sehr mangelhaftem, aber höflichem Italienisch, und lud Angelo zu einer Zusammenkunft mit Wenzel in das Coliseo ein.

Es wäre besser gewesen, wenn diese Zusammenkunft nicht stattgefunden hätte. Als Wenzel von derselben zurückkam, ersuchte er mich, ihm eine Schilderung der widerwärtigen Einzelheiten zu erlassen; Angelo wäre ein unverschämter Mensch, dem er nie wieder zu begegnen hoffe. Wie ich dann später erfuhr, hatte Angelo im Zorne die Auslieferung des Edelsteins gegen Rückgabe der elf Scudi verlangt, worauf ihm Wenzel entgegnete, daß er absolut nichts erhalten werde, wenn er keinen bescheideneren Ton anschlage. Hierauf war Angelo, im Gefühl des ihm angethanen Unrechts, in beleidigende Drohungen ausgebrochen, und noch heute ist es mir nicht recht erklärlich, warum die beiden Hitzköpfe damals nicht an einander geriethen. Wahrscheinlich mochte es dem Italiener doch nicht so leicht erschienen sein, den Anderen so ohne Weiteres zu erwürgen, und die vorsichtige Klugheit, die selbst in der Höhe der Leidenschaft nie ganz aus den Gedanken jener Südländer weicht, veranlaßte ihn wohl, seine Rache auf einen gelegeneren Zeitpunkt zu verschieben.

Wenn ich auch die Sache nicht sehr tragisch auffaßte, so fürchtete ich doch, daß meinem Freunde ein böses Ungemach daraus erwachsen könne. Und wenn Angelo auch weiter nichts that, als daß er die Geschichte von dem Stein allenthalben in Rom erzählte, so mußte auch dieses allein schon zu allerlei ernstlichen Unannehmlichkeiten führen.

Einige Abende später stand ich an den Flügel gelehnt, auf welchem Fräulein Helene ein neues Musikstück übte. Wenzel saß abseits am Fenster.

‚Er hat mir seinen wundervollen Topas gezeigt,‘ begann die junge Dame plötzlich halblaut, indem sie die Hände auf den Tasten ruhen ließ und mich mit ihren ernsten, weitgeöffneten Augen anblickte. ‚Er verschwieg mir beharrlich, wie er in den Besitz des Steines gekommen, sagte mir auch, daß Sie allein darum wüßten. Es ist hoffentlich kein Unrecht damit verknüpft.‘

Ich versuchte zu lachen.

‚Solchen Antiquitätenjägern darf man nie zu nah auf die Finger und in die Gewissen sehen,‘ antwortete ich. ‚Diese Sorte sieht manchmal gar kein Unrecht darin, wenn sie sich herumtreibende Gemmen, Cameen und andere Kostbarkeiten nach demselben Modus behandelt, den Taschendiebe auf anderer Leute Börsen in Anwendung bringen.‘

Helene sah mich mit so scheuem Erstaunen an, als habe ich mir einen wirklich grausamen Scherz mit ihr erlaubt. Dann fuhr sie halblaut fort:

‚Er wünscht, daß ich den Stein als Medaillon trage. Aber das mag ich nicht. Der Topas ist wunderschön, aber es wäre mir unheimlich, den Kaiser Tiberius so nahe an meinem Herzen zu tragen. Er war ein böser, ein verruchter Mensch, einer der schlimmsten Kaiser des alten Rom; ich würde mich besudeln, wollte ich ein Juwel tragen, das sein Gewand geschmückt, das seine Hand täglich berührt hat und das nun doch eigentlich fast unvermittelt aus seinem in unseren Besitz gekommen ist. Durch das Bild dieses Menschen verliert der Stein für mich seine ganze Schönheit, und ich bin wirklich froh darüber, daß Wilhelm ihn so verborgen hält.‘

Ich fand diese Auffassung der Sache sehr erklärlich und angemessen, wenn ich mir in’s Gedächtniß rief, daß die blonde junge Dame ein Kind des frommen Wupperthales war. – – –

Die Tage vergingen, und noch immer war von Angelo’s Rache nichts zu merken gewesen. Wenzel ging jeden Abend durch die dunklen Straßen, ohne daß er bis jetzt hinter einer Mauerecke seinem Schicksal, in Gestalt eines vermummten Meuchelmörders, [776] in die Hände gefallen wäre, und ich hoffte bereits, daß die träge Natur Angelo’s das consequente Festhalten solch finsterer Pläne, als zu anstrengend, wieder aufgegeben habe, aber ich täuschte mich.

Wir spazierten eines Nachmittags im Park der Villa Borghese, und um dem Geräusch und Geschwätz der fashionablen Welt auszuweichen, hatten wir hier eine abgelegene Ecke aufgesucht. Die alte, zerbröckelnde Mauer, die schlanken dunklen Cypressen, das lang wuchernde Gras und über dem Ganzen der schimmernde römische Himmel – all das bot ein gar harmonisches Bild. Wir saßen auf einer moosgrünen, halbkreisrunden Bank und plauderten und beobachteten die flinken Eidechsen auf den sonnenwarmen Steinen. Eine halbe Stunde mochten wir so verbracht haben – da erspähte Helene an dem Fuße einer alten Cypresse das erste Frühlingsveilchen. Sie erhob sich mit einem Ausruf der Freude und eilte, es zu pflücken; dann wanderte sie weiter, um noch mehr von den lieblichen Blümchen zu suchen.

Wenzel saß zurückgelehnt und beobachtete die sich langsam entfernende Gestalt und den Schatten derselben auf dem Grase. Endlich war Helene hinter einem Flügel der Villa verschwunden. Frau Dörpinghaus machte den Vorschlag, die Bank nunmehr aufzugeben und dem Mädchen zu folgen. Wir waren aber kaum einige Schritte gegangen, als Helene wieder hinter der Ecke hervorkam; sie befand sich augenscheinlich in großer Aufregung; sie blickte mehrmals über ihre Schulter zurück, während sie beschleunigten Schrittes uns wieder zu erreichen strebte. Gleich darauf sah ich, daß ihr Jemand folgte, ein hochgewachsener Mann – Angelo Beati.

Helene sah bleich, fast verstört aus; es mußte etwas Besonderes zwischen den Beiden vorgegangen sein. Als sie bei uns angelangt war, stand auch Angelo dicht vor uns. Auch er war bleich, und zwischen diesen beiden farblosen Gesichtern erschien jetzt das meines Freundes Wenzel, glühend roth vor Zorn. Ich fürchtete einen Auftritt, und um denselben zu verhüten, ging ich schnell auf Angelo zu. Der aber richtete den umwölkten Glanz seiner schwarzen Augen der Reihe nach auf alle Mitglieder unserer Gesellschaft, und dann, gleichsam als Antwort auf meine noch ungesprochene Anrede, erhob er seine Hand mit einer Geberde, welche deutlich sagte: ‚Laßt mich – ich suche keinen Streit, aber ich weiß sehr wohl, was ich will.‘

Auf meinen Wink forderte Wenzel die Damen auf, mit ihm den Weg fortzusetzen. Aber wunderbar! Helene stand zögernd da; sie hatte ihre großen blauen Augen mit einem weichen, fast enthusiastischen Ausdruck auf Angelo geheftet – da faßte ihr Verlobter rauh ihren Arm, und sie folgte ihm, während das Blut ihr heiß in die Wangen stieg.

Frau Dörpinghaus, die nichts Böses ahnte, sagte in ihrer raschen, ungenirten Weise:

‚Was für ein schöner junger Mann!‘

Und damit folgte auch sie gleichmüthig ihrem voranschreitenden Bruder.

Angelo und ich blieben allein zurück.

‚Fürchten Sie nicht, daß ich Lärm zu machen gedenke!‘ sagte der junge Italiener mit düsterem Lächeln. ‚Ich habe während der letzten drei Wochen hier in Rom gelernt, wie ein Cavalier sich zu benehmen hat. Wer ist jene junge Dame?‘

‚Jene junge Dame geht Sie nichts an, mein Freund‘ erwiderte ich, ‚ich will hoffen, daß Sie Cavalier genug gewesen sind, dieselbe nicht anzureden.‘

Er schwieg eine Weile, und seine Blicke folgten der am Arme Wenzel’s in der Entfernung verschwindenden leichten Gestalt. Dann antwortete er:

‚Doch! Ich habe mit ihr gesprochen – und sie hat mich auch verstanden. Aber beruhigen Sie sich – ich sagte ihr nichts, was sie nicht hätte hören dürfen. Was ich aber sagte, o, das hat sie verstanden. Sie ist Ihres Freundes amica – ich weiß schon. Seit einer halben Stunde habe ich Sie alle hinter jenen Bäumen hervor beobachtet. Die Dame ist schön – sehr schön. – Leben Sie wohl! Ihnen zürne ich nicht, Ihrem Freunde aber sagen Sie, daß ich ihn nicht vergessen habe. Ich warte nur auf meine Gelegenheit, und die wird eines Tages kommen. Umbringen werde ich ihn nicht, aber ich werde eine Rache an ihm nehmen, die er fühlen soll, so lange er lebt.‘

Er wendete sich zum Gehen; da fiel sein Blick noch einmal auf das Paar in der Ferne; er blieb stehen und schaute ihm nach, bis es außer Sicht war.

‚Der Mensch da hat ein ganz unverschämtes Glück,‘ stieß er zwischen den Zähnen hervor. ‚Den Topas – und die Perle! Haha! Doch, nur immer zu! Nur zu!‘

Damit ging er schnell davon.“ [789] „Von dem Moment der soeben geschilderten Begegnung an nahm ich in unserer stillen Helene eine seltsame Veränderung wahr. Etwas Besonderes lag von jeher in ihrem Wesen, und ein großer Theil des Zaubers, den sie ausübte, bestand gerade darin, daß durch ihr gleichmäßig stilles Wesen unaufhörlich der leise Grundton zu klingen schien: ,Ihr meint mich zu kennen, aber ihr kennt mich noch lange nicht.‘ Nun, vielleicht waren wir drei prosaischen Menschenkinder, die wir ihre tägliche Umgebung bildeten, nicht auserwählt und würdig genug, sie recht zu erkennen, indessen, wenn mich eines Tages ein gewiegter Menschenkenner beim Rockknopf genommen und mir gesagt hätte, daß da in unserer Gesellschaft eine gewisse junge Dame sei, die ihren Freunden über kurz oder lang eine ganz ungemeine Ueberraschung zum Besten geben würde, dann hätte ich demselben Menschenkenner meinen Finger auf die Brust gesetzt und ihm lächelnd erwidert, daß er nur meiner eigenen Ueberzeugung Worte verliehen habe.

Ob in dem Verhältniß der beiden Verlobten während der letzten Zeit irgend eine Veränderung vorgegangen war, vermochte ich nicht mit Bestimmtheit zu erkennen, ich fühlte aber heraus, daß nicht alles so war, wie es sein sollte. Da Wenzel mir keinerlei Andeutungen machte, so brach ich endlich das Eis, indem ich ihn fragte, ob er wohl meine, daß Fräulein Dörpinghaus Grund gefunden habe, den großen Topas mit dem pittoresken jungen Manne in Verbindung zu bringen, den sie neulich in der Villa Borghese getroffen. Mein Freund fuhr empor.

‚Pittoresk hat sie ihn genannt?‘ fragte er. ‚Hat Helene Dir gesagt, daß sie den Kerl pittoresk fände?‘

‚Nicht doch! Das ist ihr nicht eingefallen. Aber er ist’s dennoch, so viel mußt Du ihm doch wenigstens zugestehen.‘

‚Hm, er hatte sein Haar mindestens acht Tage lang nicht gekämmt – wenn Du das meinst. Für solchen Vorzug dürfte Helene kaum empfänglich sein. Merkwürdig aber ist es allerdings, daß sie einen unbegreiflichen Widerwillen gegen den Topas empfindet. Sie behauptet, daß der Kaiser Tiberius ihr jede Freude an demselben verderbe. Das heißt nun, meiner Ansicht nach, die historischen Antipathien etwas weit treiben; bisher glaubte ich, daß einem hübschen Weibe durch nichts der Geschmack an blitzendem Edelgestein zu verleiden wäre. – Uebrigens steht fest, daß jener Vagabund sie damals angeredet hat.‘

‚Und was hat er ihr gesagt?‘

,Er fragte sie, ob sie meine Verlobte sei.‘

,Was erwiderte sie darauf.‘

‚Nichts.‘

,Sie wird erschrocken gewesen sein.‘

‚Möglich! Sie behauptet aber das Gegentheil. Zudem bat er sie, sich nicht vor ihm zu fürchten; er sei ein armer, harmloser Mensch, der nur sein Recht haben wolle. Sie entgegnete kein Wort und ließ ihn stehen. Ich sagte ihr, der Kerl sei wahnwitzig – und das ist nicht gelogen.‘

‚Vielleicht nicht,' erwiderte ich. Dann machte ich noch einen letzten Versuch, meinen Freund von dem Unrechte zu überzeugen, das er Angelo gegenüber begangen. ‚Höre, Wenzel,' sagte ich, ‚wenn heute Einer behauptete, in Deinem eigenen Unterscheidungsvermögen befände sich auch eine bedenkliche Verschiebung, so wäre das ebenfalls nichts gelogen. Ich habe hier den Topas im Sinne. Wenn Halsstarrigkeit unter gewissen Umständen über alle Grenzen getrieben wird, so erhält sie unbestreitbar eine verhängnisvolle Aehnlichkeit mit dem Wahnsinn.'

Wenzel lächelte kalt und abweisend.

‚Daß dergleichen Umstände hier vorhanden sind, bestreite ich,‘ sagte er. ,Und wenn ich verrückt bin, so nehme ich das Privilegium aller Verrückten für mich in Anspruch. ich halte mich für durchaus zurechnungsfähig. Wenn Du mir Moral predigen willst, dann mußt Du schon einen meiner lichten Momente zu diesem Zweck abwarten.‘ – –

Der erste Odem des jungen Frühlings übt einen fast magischen Einfluß auf die finstere, alte Siebenhügelstadt aus, hat dabei aber zugleich atmosphärische Uebelstände im Gefolge, die den Constitutionen der in Rom weilenden Fremden allerlei Ungemach zu bereiten pflegen. Es dauerte auch gar nicht lange, da begann der bereits vierzehn Tage hinter einander rasende Scirocco über das sonst so heitere und gleichmäßige Temperament der guten Frau Dörpinghaus einen Schleier krankhafter Schwermuth zu werfen. Sie glaubte das Malariafieber schon in ihren Adern zu fühlen. Der eiligst consultirte Arzt aber beruhigte sie wieder, rieth ihr einfach einen Wechsel des Aufenthaltes und empfahl ihr, zunächst einmal auf einige Wochen ihren Wohnsitz nach Albano zu verlegen. Demzufolge wurde sofort gepackt, und die beiden Damen siedelten, unter Wenzel’s Escorte, nach Albano über. Ich selber mußte aus verschiedenen Gründen in Rom zurückbleiben, dafür aber der liebenswürdigen Wittwe das Versprechen geben, sie sobald wie möglich in Albano zu besuchen.

Obgleich ich über den Gesundheitszustand der Frau Dörpinghaus etwas beunruhigt war, mußte ich doch acht Tage vergehen [790] lassen, ehe ich meinem Versprechen nachkommen konnte, und auch da durfte ich nur eine Nacht von Rom abwesend sein. In Albano traf ich meine Freunde gesund und wohl im Gasthofe an, und so konnte ich mich am nächsten Morgen beruhigt auf den Weg machen, um bei Zeiten wieder in Rom zu sein. Die alte, wackelige Landkutsche, die mich durch die noch nebelgraue Campagna bringen sollte, hielt vor dem etwa fünf Minuten entfernten Postgebäude und wartete auf ihre Ladung. Um den Weg abzukürzen, ging ich durch den kleinen Garten, der hinter dem Gasthause lag. Noch war Alles ringsum still; meine Schritte knirschten laut auf dem feuchten Kiese des Weges, der an einer moosgrünen, verstümmelten Statue und an einer breiten, steinernen Bank vorüberführte; von der letzteren erhob sich bei meinem Näherkommen ein Mensch – Angelo Beati!

,Angelo –!‘

Er stand ganz ruhig vor mir und sah mich lächelnd, dabei aber starr und mit seltsam herausfordernden Blicken an. Endlich murmelte er etwas zwischen den Zähnen, und ich glaubte zu verstehen, daß er doch wohl noch das Recht habe, sich in seines Nachbars Garten aufzuhalten.

,In Ihres Nachbars Garten?‘ fragte ich. ‚Nun ja, aber –‘

‚Nun, per Dio! wohne ich denn etwa nicht in Ariccia?‘

Und dabei lachte er fast wieder so kindisch wie damals, als wir ihn aus seinem Schlummer im grünen Grase gestört.

Es war mir bisher noch gar nicht eingefallen, daß sich Wenzel durch seine Uebersiedelung nach Albano thatsächlich in den allernächsten Bereich des Feindes begeben hatte. Ich fing jezt aber an zu glauben, daß dieser Feind doch wirklich nur ein recht harmloser sei. Wenn Angelo seine Machinationen darauf beschränkte, sich die fieberschwangeren Nächte in feuchten Gärten herumzutreiben, so schadete er hierdurch mehr sich selber, als Wenzel. Anfänglich hatte ich gemeint, daß das ihm widerfahrene Unrecht einen Mann aus ihm gemacht habe, jetzt aber gewahrte ich, wieviel romantische Zwecklosigkeit doch in dem Menschen steckte.

,Aber was thun Sie hier?‘ fragte ich. ‚Wie können Sie so gedankenlos sein und sich hier in der Nacht dem Fieber aussetzen? Sie werden sich den Tod holen und dann ist die ganze Geschichte mit einem Male zu Ende.‘

‚Nicht doch, Signorino mio, vor dem Fieber habe ich keine Furcht; hier sitzt ein Fieber‘ – dabei schlug er sich heftig auf die Brust – ,das ein Gegengift ist gegen alle Malaria. Allerdings verfolge ich hier meine Absichten, aber von denen haben Sie keine Ahnung. Lassen Sie mich in Frieden! Ich will Ihnen kein Leid zufügen. Jezt aber muß ich mich auf und davon machen; der Tag bricht an, und man soll mich hier nicht sehen.‘

Ich ergriff seinen Arm, hielt ihn fest und blickte ihm forschend in’s Gesicht. Er sah mich lächelnd an. In seinem dunklen Auge lag etwas wie ein tiefes, zielbewußtes Wollen. Er wendete sich ab, als fürchtete er, daß sein Gesicht mir zuviel offenbarte, und wie verlegen pfiff er leise vor sich hin.

,Hören Sie, Angelo,‘ sagte ich, ‚es schickt sich nicht für einen Mann wie Sie, daß er hier in Nacht und Nebel wie ein Einbrecher umherschleicht; ich will Ihnen –‘

Er unterbrach mich hastig.

‚Aspetti!‘ rief er zurücktretend. ‚Wenn Sie mit der Landkutsche nach Rom wollen, dann ist es jetzt die höchste Zeit, daß Sie zur Post kommen. Wir sehen uns wieder.‘

Damit ging er schnell davon.

Ich folgte ihm nachdenklich und anfänglich im Zweifel, ob ich nicht umkehren und Wenzel diese Begegnung mittheilen solle. Da ich aber überzeugt war, daß von einer Gefahr für die Freunde nicht die Rede sein konnte, schlug ich mir, so gut es ging, alle Bedenken aus dem Sinne und fuhr nach Rom zurück.

Hier aber wurde ich, trotz aller Bemühungen, den Gedanken nicht los, daß sich in Albano etwas unerwartetes, etwas Schlimmes, etwas Trauriges für meinen Freund vorbereitete; dieser Gedanke quälte und bedrückte mich schließlich so sehr, daß ich schon nach wenigen Tagen in einem leichten Miethsfuhrwerke wieder nach Albano hinausfuhr. Gegen Abend langte ich vor dem Gasthause an. Wenzel war mit den Damen ausgegangen, der Wirth aber konnte mir die Richtung nicht angeben, welche die kleine Gesellschaft eingeschlagen hatte. Es blieb mir nichts Anderes übrig, als bis zur Rückkehr derselben in dem schmutzigen Städtchen herumzuschlendern.

Dicht am albanischen See steht ein Kapuzinerkloster; die Thür der Kirche war offen; ich ging hinein. Abendliche Dunkelheit lag schon dicht in allen Ecken des Gotteshauses, auf dem Altare aber brannte eine Anzahl Kerzen, von irgend einem frommen Opferer dargebracht. Die Lichter flackerten roth in der Dämmerung; hier und dort knieete regungslos eine dunkle Gestalt; es war ein reizvolles Bild, und ich setzte mich nieder, es mit Muße zu genießen. Nach einigen Minuten bemerkte ich nicht weit von meinem Platze eine junge, weibliche Gestalt in andächtiger Verzückung. Sie hielt die Hände auf den Knieen gefaltet und blickte mit erhobenem Antlitze und weit geöffneten, strahlenden Augen auf die flimmernden Kerzen des Altars, als habe sie dort, im Lichterscheine, eine Vision. Der Ausdruck ihres Gesichtes war so eigenthümlich, daß ich erst nach einigen Augenblicken in der verzückten Beterin – Helene Dörpinghaus erkannte.

Instinctiv suchten meine Augen ihre beiden Gefährten, aber weder Frau Dörpinghaus noch Wenzel waren zu sehen.

Helene so allein in der Kirche? Vielleicht erwartete sie hier die Andern; vielleicht war Wenzel auf die Terrasse des Klostergartens gegangen, zu welcher Damen keinen Zutritt haben, um von dort aus den Sonnenuntergang zu betrachten. Ich erhob mich, schritt um das Innere der Kirche herum und näherte mich dann der jungen Dame von der anderen Seite mit absichtlichem Geräusche. Sie wendete den Kopf nach mir um und sah mir in’s Gesicht, aber ihre Gedanken waren abwesend – sie erkannte mich nicht. – Endlich stand sie langsam auf – sie nannte meinen Namen. Ich begrüßte sie freundlich, sie aber richtete ihre Augen mit einem so tiefernsten Ausdrucke auf mich, als seien ihre Gedanken gegenwärtig hoch erhaben über allen nichtigen Höflichkeitsformen.

,Aber mein liebes Fräulein, warum so allein in dieser einsamen, dunklen Kirche?‘

‚Ich bat Gott um Licht,’ antwortete sie.

,Und das ist Ihnen hoffentlich geworden.’

‚Ja!’

Sie schritt mit mir dem Ausgange zu.

,Würden Sie die Güte haben,‘ fragte sie, ‚mich nach Hause zu geleiten?‘

Ich bot ihr den Arm und führte sie durch das Portal. Auf dem Plaze vor der Kirche blieb sie wieder stehen.

‚Sie sind ein sehr intimer Freund von Herrn Wenzel, nicht wahr?‘ fragte sie plötzlich mit einer gewissen Aufgeregtheit.

‚Das müssen Sie ihn selber fragen,’ antwortete ich; ,ich kann nur hoffen, daß er mich als solchen betrachtet.‘

,O bitte,‘ fuhr sie fort, ‚dann sagen Sie mir dies Eine: wird er eine Enttäuschung, eine schwere Enttäuschung ertragen?‘

Sie schien mich durch Ton und Geberde zu einer bejahenden Antwort drängen zu wollen; ihre Blicke hingen an meinen Augen, an meinen Lippen in stummer, dringender Beschwörung.

‚Nein!’ entgegnete ich endlich nach kurzer Ueberlegung auf das Bestimmteste. ‚Nimmermehr!‘

Sie seufzte tief auf, indem wir unsern Weg fortsetzten. Sie schritt ganz in Gedanken versunken stumm an meiner Seite hin.

Im Gasthause angelangt, erfuhr ich nach kurzer Begrüßung von Wenzel und seiner Schwester, daß alle Drei am Nachmittage einen Spaziergang unternommen hätten, daß aber Helene bald über Müdigkeit geklagt und allein wieder umgekehrt sei. – ‚Wenn mich auf dem Wege nach Hause eine Schwäche anwandeln sollte’ – hatte sie gesagt – ‚dann ruhe ich mich in der nächsten Kirche aus.’ – Man war erstaunt, sie bei der Rückkunft nicht in der Wohnung zu finden, und athmete jetzt, da ich die Vermißte heimbrachte, erleichtert auf.

Es war auch Wenzel und Frau Dörpinghaus nicht entgangen, daß das junge Mädchen sich seit kurzem in einer ganz seltsamen Gemüthsverfassung befand. Wenzel war heute nachdenklich gestimmt. Helene saß ruhig bei ihrer Stickerei; sie führte die Nadel und zog den Faden mit so vollkommen ruhiger und sicherer Hand, als gäbe es gar keine Nervosität in der Welt. Das Abendessen verlief unbehaglich, und ich nahm daher Wenzel’s Vorschlag, im Garten mit ihm noch eine Cigarre zu rauchen, freudig an.

Mein armer Freund war nicht glücklich – das sah ich ganz deutlich; ich wagte kaum zu hoffen, aus seinem Munde etwas über den Grund von Helene’s verändertem Wesen zu hören. Ich versuchte wiederholt, unserem Gespräche eine Wendung zu geben, die ihm eine Mittheilung seiner Sorgen und Befürchtungen erleichtern [791] könnte, aber vergeblich. Endlich machte ich ihn darauf aufmerksam, daß sein jetziger Aufenthalt ganz nahe bei Ariccia gelegen sei, und dann fragte ich ihn, ob er in letzter Zeit Angelo Beati gesehen habe.

‚Ich bin ihm mehrmals begegnet,‘ antwortete er, ‚im Orte sowohl, wie auf der Landstraße und in den Feldern. Er stiert mich immer frech und unverschämt an, geht aber ganz ruhig vorüber. Da siehst Du, wie viel die Racheschwüre eines solchen Müßiggängers werth sind.‘

‚Daraus ersehe ich noch gar nichts,‘ entgegnete ich. ‚Wohl aber weiß ich, daß er zu nächtlicher Weile das Haus umschleicht und sich hier im Garten zu schaffen macht. Vielleicht will er Dir böse Träume verursachen dadurch, daß er mit seinen schwarzen Augen nach Deinen Fenstern starrt.‘

Dann erzählte ich ihm, wie ich den Italiener jüngst in der grauen Morgenfrühe im Garten getroffen. Wenzel sah mich in sprachlosem Erstaunen an, während der Zorn ihm dunkelroth in das Gesicht stieg.

‚Wenn der Idiot nicht bald die Grenze seiner Narrenstreiche findet,‘ sagte er ingrimmig, ‚so werde ich sie ihm mit Peitschenhieben weisen.‘

Ich steckte die Hände in die Taschen und schlenderte weiter; ich glaube sogar, daß ich ein Lied pfiff. Wenzel sog und kaute wüthend an seiner Cigarre. Endlich, getrieben von einem Gefühl des Mitleids für meinen starrköpfigen Freund, lenkte ich wieder ein und fragte ihn, wann er zu heirathen gedenke.

Er sah mich lange und durchdringend an. Endlich sagte er:

‚Was veranlaßt Dich gerade jetzt zu dieser Frage?‘

,Aber alter Freund, ich bitte Dich, das ist doch wohl eine sehr verzeihliche Neugierde, ein freundschaftliches Interesse –‘

Wenzel warf den Rest seiner Cigarre heftig zur Erde.

‚Nein,‘ rief er erregt, ‚das ist’s nicht. Schweig’ mir von Deiner verzeihlichen Neugierde und von dem andern Zeug! Du hast irgend etwas gemerkt – Du hast irgend einen Verdacht! Wie? Rede doch!‘

Jetzt sagte ich ihm die Wahrheit.

‚Fräulein Helene Dörpinghaus,‘ begann ich, ‚scheint mir seit einiger Zeit ganz verändert und voll von allerlei Ideen, die ihr früher völlig fremd gewesen. Es muß etwas zwischen Euch vor gefallen sein, Freund.‘

,Meinst Du?‘ fragte er bitter, ‚Fräulein Helene Dörpinghaus ist mir eine durchaus räthselhafte Persönlichkeit. Ich kenne ihre Gedanken nicht, aber es wäre mir doch nun und nimmermehr in den Sinn gekommen, daß unserem Glücke etwas im Wege stehen könnte. Helenens Liebe zu mir war niemals demonstrativ; das liegt nicht in ihrer Natur; sie ist passiv, sanft, fast demüthig, aber für jedes liebevolle Entgegenkommen von meiner Seite war sie stets rührend erkenntlich.‘

Er schwieg einen Augenblick.

,Seit einigen Tagen ist das anders,‘ sagte er dann leidenschaftlich; ‚ihre Sanftmuth nahm die Form einer scheuen Schüchternheit an, und meine Freundlichkeit schien ihr beinahe wehe zu thun. Bei Gott – die Weiber sind in ihrer unberechenbaren Launenhaftigkeit wahrhaft unheimliche Geschöpfe. Aber weißt Du, Freund, ich habe vorher gar nicht gefühlt, wie sehr ich das Mädchen liebe, und wenn – –‘

In diesem Augenblicke trat Frau Dörpinghaus plötzlich aus dem Hause und zog ihn auf die Seite; Wenzel lauschte einen Augenblick ihren leisen Worten und eilte dann schnellen Schrittes in die Wohnung hinauf.

‚Wer hätte sich so etwas träumen lassen!‘ wandte sich Frau Dörpinghaus dann an mich. ,Denken Sie nur: soeben noch sitzt Helene ganz ruhig an ihrem Tische und stickt; plötzlich legt sie ihre Arbeit in den Schooß und theilt mir feierlich den Wunsch mit, Herrn Wenzel sogleich unter vier Augen sprechen zu dürfen. Ob ich wohl die Güte haben möchte, ihn herbei zu rufen? Darauf frage ich sie, ob sie nicht lieber die Güte haben möchte, vorher mir, ihrer Mutter, zu erzählen, was es denn so Geheimnißvolles gäbe. Da sieht sie mich an, wie man ungefähr ein fünfjähriges Kind ansieht, das sich vorlaut in die Gespräche Erwachsener gemischt hat. Dann aber fällt sie mir um den Hals und küßt mich und sagt, ich solle ihr nicht böse sein, ich würde ja alles bei Zeiten erfahren. Was will sie nur von ihm? Was hat ihr der arme Mensch gethan?‘

‚Sie liebt ihn nicht mehr,‘ sagte ich.

,Sie liebt ihn nicht mehr? Warum liebt sie ihn denn nun mit einem Mal nicht mehr?‘

,Vielleicht ist dieses Gefühl in ihr gar nicht so plötzlich erkaltet, wie Sie anzunehmen scheinen, verehrte Frau. Dergleichen Veränderungen haben sich schon öfter in Frauenherzen vollzogen.‘

,Ganz recht, aber doch kaum jemals, ohne daß eine neue Neigung dabei im Spiele gewesen. Helene hat wunderliche Einfälle, das ist schon richtig, und – unter uns gesagt! – daß sie sich damals meinen Bruder erkoren, das war auch solch ein wunderlicher Einfall. Aber immerhin – sie folgte doch ihrem eigenen Geschmack. Wie kommt es nun aber, daß sie so plötzlich andern Sinnes geworden? Wie gesagt, wenn hier noch eine andere Neigung vorläge – doch das ist unmöglich.‘

‚Sollte das wirklich so ganz unmöglich sein?‘ fragte ich.

‚Ganz unmöglich! Urtheilen Sie doch selber! Helene hat seit vier Wochen kaum mit einem anderen Mann gesprochen, als mit meinem Bruder. Wer soll es ihr also angethan haben? Etwa der kleine bucklige Mensch, der uns jeden Morgen die Orangen bringt? Oder vielleicht der alte Prinz Doria, der seit einigen Tagen dort drüben in der großen Villa wohnt?‘

Ich fand kein Lächeln für diese kleinen Scherze der trefflichen Dame, hatte ich doch in der That nur zur Hälfte gehört, was sie soeben gesagt; denn ich stand und grübelte und zerbrach mir den Kopf.

Jetzt trat mir eine Frage auf die Zunge, aber ich zögerte lange, derselben Worte zu geben. Endlich brachte ich’s heraus:

‚Auf welcher Seite des Hauses liegt Helenens Zimmer?‘

‚Aber ich bitte Sie! Was meinen Sie …?‘ sagte Frau Dörpinghaus ganz überrascht. ‚Hier, auf dieser Seite.‘

,Nach dem Garten zu?‘

‚Gewiß! Dort oben im zweiten Stockwerk.‘

‚Ich bitte um Verzeihung … welches ist es?‘

,Dort das dritte Fenster; die Läden sind mit einem Taschentuch zurückgebunden.‘

Diese Läden und das Taschentuch begannen jezt plötzlich meine Phantasie auf eine eigenthümliche Weise zu erregen. Ich konnte lange keinen Blick davon verwenden, und als ich endlich wieder Frau Dörpinghaus ansah, da trafen sich unsere Augen … Fräulein Helene, dachte ich bei mir, hat seit Wochen keinen fremden Mann gesprochen. Aber gesehen? Sollte es nicht dennoch sich ereignen, daß die Liebe allein nur durch die Augen ihren Weg in die Herzen findet? Sollte nicht auch eine ungesprochene Zwiesprache geführt werden können, vielleicht zwischen einem schönen, jungen italienischen Manne in einem unter dem gestirnten Nachthimmel liegenden, stillen Garten, und einem blonden, nordischen Mädchen im Fenster droben? …

Frau Dörpinghaus zog fröstelnd ihren Shawl fester um die Schultern und wendete sich der Hausthür zu.

‚Hier bleibt nichts anderes übrig,‘ sagte ich, indem ich ihr den Arm reichte, ‚als morgen in der Frühe Albano zu verlassen.‘

Wir traten auf den Corridor, auf welchen die Zimmer münden. Gleich darauf öffnete sich die Thür des gemeinschaftlichen Salons, und die junge Dame trat heraus. Hinter ihr erschien Wenzel auf der Schwelle mit einer gewaltsam unterdrückten Erregung in den Zügen. Auch Helene war bleich, aber in ihren Augen leuchtete ein ungewöhnliches Feuer; sie ergriff beide Hände ihrer Stiefmutter und küßte dieselben schweigend und demüthig. Darauf wendete sie sich zu mir und reichte mir die Hand. ‚Gute Nacht!‘ sagte sie. Im nächsten Augenblick war sie in ihrem Zimmer verschwunden.

Frau Dörpinghaus ergriff liebevoll die Hand ihres Bruders und führte ihn in den Salon.

‚Mit unserer Verlobung ist’s zu Ende,‘ sagte er kalt.

‚Wenzel!‘ rief Frau Dörpinghaus erblassend. ‚Und aus welchem Grund?‘

Die junge Frau sank in das Sopha und blickte ihren Bruder stumm und voll Mitgefühls an. Dieses ehrliche, unverhohlene Mitleid aber berührte Wenzel unangenehm; er wandte seiner Schwester den Rücken und nahm ein Buch vor das Gesicht. Auch ich griff nach einem solchen, vermochte aber kein Wort zu lesen. Endlich ertrug ich diese peinliche Situation nicht länger und ging hinaus. Frau Dörpinghaus folgte mir; sie beschwor mich, ihr zu sagen, was ich vorhin mit meinen Andeutungen in Bezug auf die Fensterläden und das Taschentuch habe sagen wollen.

[792] Ich entgegnete ihr, daß eine solche Auseinandersetzung gegenwärtig peinlich und zwecklos sein würde; sie mußte mir aber versprechen, morgen ganz früh mit Sack und Pack nach Rom zurückzukehren; dort könnte man Athem schöpfen und die Sache mit Muße überlegen.

‚Morgen reisen wir,‘ sagte sie, ‚darauf können Sie sich verlassen.‘

Damit trennten wir uns. Als ich die Treppe zu meiner Kammer emporstieg, hörte ich Frau Dörpinghaus an Helenens Thür klopfen. Sie klopfte noch einmal; Niemand öffnete. Sie klopfte zum dritten Mal, und als im Zimmer auch dann sich nichts rührte, zog sie sich langsam zurück, und ich ging in meine Kammer. Lange stand ich hier am Fenster. Nach einiger Zeit suchte ich mein Bett auf, und gegen Morgen schlief ich ein.

Das Frühstück wurde am nächsten Tage in dem gemeinschaftlichen Zimmer eingenommen; Wenzel erschien so pünktlich wie immer und dabei so sauber rasirt und gebürstet, als stände er nach wie vor unter der Botmäßigkeit jener großen, blauen Augen. Sicherlich wußte sein Inneres nichts von der Ruhe, die er äußerlich zur Schau trug; denn ohne allen Zweifel ist es ein unbehaglich Ding, beim Frühstück der Dame gegenüber sitzen zu müssen, die einem am Abend vorher die Brautschaft aufgekündigt hat.

Frau Dörpinghaus ließ lange auf sich warten; endlich erschien sie, aber athemlos und außer sich. Ihr hübsches Gesicht glühte; in ihren Augen funkelten Thränen der Entrüstung; sie hielt ein zusammengeballtes Papier in der Hand.

‚Sie ist fort!‘ rief Frau Dörpinghaus und warf sich schluchzend auf’s Sopha. ‚Sie ist fort! O das schlechte, das tollköpfige, das undankbare Mädchen!‘

Für Wenzel war dieser ganze Vorgang ein Räthsel, nicht so für mich, obgleich auch ich mich auf das Höchste überrascht fühlte. Er stand stumm da, als seine Schwester das zerknitterte Papier auf den Tisch warf. Daß Helene über Nacht auf und davon gegangen sein sollte, das war eine Ungeheuerlichkeit, die er so unvorbereitet gar nicht zu fassen vermochte. Dieses dumpfe Erstaunen war zugleich ein rührendes Zeichen davon, wie gänzlich fremd seinem [793] Herzen jeder Gedanke gewesen, der das Mädchen hätte beleidigen oder beschuldigen können. Er mochte es mir ansehen, daß ich mehr wußte, als er, und so ließ er es denn geschehen, daß ich das Papier aufnahm, um den Inhalt desselben halblaut zu lesen …

‚Lebt wohl, lebt Alle wohl! Ich kann Euch keine Erklärung geben. Haltet mich meinetwegen für wahnsinnig! Aber vergeßt mich, und glaubt, daß ich glücklich, o unaussprechlich glücklich bin!
 Helene Beati.‘

Ich legte meine Hand auf Wenzel’s Schulter; noch immer schien er unfähig zu sein, den Vorgang zu begreifen.

‚Angelo Beati hat jetzt seine Rache,‘ sagte ich ernst.

‚Was!‘ schrie er. ‚Angelo Beati? Der Landstreicher – der Bettler? Das ist gelogen.‘

‚Nicht doch, mein Freund! Er hat seine Bezahlung haben wollen, und nun hat er sie. Der ist klüger, als wir meinten.‘

Wenzel antwortete nicht, aber eine brennende Röthe überzog sein Antlitz.

Welch ein Ereigniß! Weder Frau Dörpinghaus noch Wenzel haben Helene je wiedergesehen; der Letztere sprach acht Tage lang kein Wort, und als er wieder anfing sich mitzutheilen, da sah ich, daß eine gewisse Seite seines Charakters inzwischen die Uebermacht gewonnen hatte: in jener Zeit wurde er der bittere Cyniker, der er bis zu seinem Tode geblieben.

Frau Dörpinghaus, eine Frau von so großer Gutmüthigkeit und freundlicher Biederkeit, hat ihrer Stieftochter niemals verziehen.

‚Ich kann dem Himmel nicht genug dafür danken,‘ sagte sie, ‚daß er Helenens Vater, meinen seligen Mann, die Geschichte nicht mehr hat erleben lassen.‘

Vor der Abreise von Albano hatte ich noch eine Unterredung mit dem Padre Girolamo in Arriccia, der mir durchaus nicht als der heilige Mann erschien, den sein Neffe uns geschildert. Er war ein kleiner, vertrockneter, schwarzbrauner Alter mit verschmitzten, stechenden Augen und wie dazu geschaffen, für seinen hübschen Verwandten die Karten zu mischen und auszuspielen. Ich enthielt mich aller nutzlosen Vorwürfe und begehrte einfach von ihm zu wissen, wohin Angelo die junge Dame gebracht.

[794] ‚Nach Rom,‘ sagte der Priester, ,in die heilige Stadt. Man wird die Beiden hoffentlich nicht beunruhigen. Ihre Verwandten mögen nicht vergessen, daß Helena mündig und ihre eigene Herrin ist, und daß sie mit ihrem Vermögen thun kann, was ihr beliebt. … Und sie hat ziemlich viel Vermögen … eh?‘

Der Pfaff kannte augenscheinlich das Terrain.

Er sagte mir auch, daß er es gewesen, der den Ehebund der jungen Leute geschlossen; die Ceremonie hatte an jenem denkwürdigen Morgen, um fünf Uhr, in dem kleinen, runden, alten Kirchlein, das in Albano auf dem Hügel steht, stattgefunden.

‚Sehen Sie, Signore,‘ fügte er hinzu, indem er langsam seine gelben, runzeligen Hände rieb, ‚Helena hatte es nun einmal selber so gewollt. Sie glauben gar nicht, wie sehr sie meinen Angelo liebt. Und sie hat Recht darin. Angelo ist nicht nur ein hübscher Bursche, sondern auch einer, der sich Kenntnisse erworben hat.‘

‚Wirklich?‘ fragte ich.

‚In der That, Signore! Seine Handschrift ist besser als die meine, und schon als Knabe hat er mir manchen Band der Kirchenlehre und die Lebensgeschichten der meisten unserer Heiligen vorgelesen. Bis vor einem halben Jahre war er Castellano der Villa des Principe San Marco in Albano; auch die Ländereien des Principe hat er verwaltet. Der fromme Herr ist dann gestorben, und sein Besitzthum ist an das Kloster gefallen. Aber der heilige Angelo hat meinen Neffen nicht verlassen.‘

‚Wie so?‘ fragte ich, als der Alte schwieg.

‚Nun,‘ fuhr er fort, ‚wohl schalt ich Angelo zuweilen wegen seines müßigen Umherstreifens draußen auf der Campagna – wir Menschen sind so kurzsichtig. Gerade dort hat ihn sein Schutzpatron sein Glück finden lassen. Ein Blitzstrahl vom Himmel wies ihm zuerst den Stein des alten heidnischen Kaisers, und dann seine Helena. – Sie liebt ihn sehr, und Angelo ist zufrieden. Ich bin es auch. Sie ist mehr werth, als der Topas.‘

Ich antwortete nichts, um ihm keine Veranlassung zu geben, noch mehr von dem unglückseligen Topas zu reden, und entfernte mich ohne weitere Formalitäten.

Inzwischen beschäftigte sich Frau Dörpinghaus in ihren Gedanken lebhaft mit dem Schicksale ihrer ungerathenen Stieftochter. Ihr mütterliches Herz hätte gar zu gern gewußt, wie Helene jetzt eigentlich lebte, und ob der Geruch auf der Treppe und in dem Hausflur derselben ebenso abscheulich sei, wie in den meisten römischen Häusern. Und so suchte ich eines Tages die Wohnung des jungen Paares auf, die ganz in der Nähe der Piazza Barberini lag. Die Gegend war keine besonders vornehme, aber das Haus schaute mit seinen Fenstern in die Gärten der Kapuziner, und was den Geruch auf der Treppe anlangte, so spürte ich nur den eines großen Blumenstraußes, der in einem Fenster des Flures stand.

Angelo öffnete mir die Thür; er sah recht wie der Held eines Romans aus. Anfänglich betrachtete er mich mit ziemlich kalten und mißtrauischen Blicken, als ich aber die Vergangenheit mit keinem Worte erwähnte, wies er ein höchst zufriedenes Gesicht.

Er war mir ein wandelndes Räthsel. Für verliebt hielt ich ihn nicht; ich glaube sogar, daß er schon wieder vergessen hatte, wie er in sein Glück hineingerathen war, und daß er sich jetzt lediglich und mit einem Gefühl großen Behagens von seiner jungen Gattin anbeten ließ. Er erfreute sich daran, wie am Sonnenschein. Ich bat ihn um die Erlaubniß, Helene sehen und sprechen zu dürfen; er zuckte die Achseln und meinte, daß diese thun und lassen könne, was ihr beliebte, aber er ging, um ihr meinen Wunsch mitzutheilen. Sie schien sich schwer entschließen zu können, mich zu empfangen; wenigstens ließ sie mich eine lange Zeit warten. Endlich erschien sie, und kühl und reservirt fragte sie nach dem Zwecke meines Kommens.

‚Man hat mich gebeten,‘ entgegnete ich, ‚mich zu erkundigen, ob Sie glücklich seien. Frau Dörpinghaus möchte Rom nicht verlassen, ohne Ihnen noch einmal Gelegenheit zu geben ….‘

‚Reuevoll zurückzukehren?‘ fragte sie schnell. ‚O, Frau Dörpinghaus mag beruhigt abreisen … Alles, was ich noch erbitte, ist: recht schnell vergessen zu werden.‘

Ich stand noch immer vor ihr, obgleich ich ihr ansah, daß sie dringend wünschte, mich gehen zu sehen.

‚Ich für meine Person kann dies nun kaum versprechen,‘ entgegnete ich, ‚denn eines solchen Paares, wie Sie und mein guter Freund hier, erinnert man sich noch lange.‘

Sie wendete sich kurz ab; Angelo athmete auf, als nicht mehr Deutsch gesprochen wurde. Er ging zur Thür, öffnete und sah mich mit selbstbewußtem, bedeutungsvollen Lächeln an.

‚Sie ist glücklich, nicht wahr?‘ fragte er.

‚So sagt sie.‘

Er legte seine Hand auf meine Schulter.

‚Nun, und ich bin’s auch. Sie ist mehr werth, als der Topas.‘

Ich schob ihn auf die Seite und eilte hinaus. – –

Wenzel mußte wohl errathen haben, daß ich in Angelo’s Hause gewesen. Am Abende desselben Tages forderte er mich auf, mit ihm einen Spaziergang in den Straßen zu machen. Die Luft war feucht und warm, und große, zerrissene Wolkenmassen trieben langsam über den Mond. Wir wendeten uns dem Dome von St. Peter zu. Auf der Brücke von St. Angelo blieb Wenzel stehen und schaute, über die Brüstung gelehnt, hinab in den Tiber. Plöglich stieß er die Frage hervor:

‚Du hast sie also gesehen?‘

,Ja.’

,Was sagte sie?’

‚Daß sie glücklich sei.‘

Er schwieg und wir gingen weiter. Mitten auf der Brücke stand er von Neuem still und sah in die Fluth hinab. Dann zog er ein Kästchen aus der Tasche, öffnete es und ließ etwas im Mondschein blitzen und funkeln. Es war der wundervolle, der kaiserliche, der unglückselige Topas. Er blickte mich an, und ich verstand ihn. Ja wohl, es haftete ein Fluch an dem goldig glänzenden Kleinod. Mochte es denn zurückkehren in die modernde Unterwelt der römischen Vergangenheit.

Ich ergriff Wenzel’s Hand und drückte sie warm und fest; da erhob er die andere in weitem Schwunge und schleuderte das glitzernde Juwel hinunter in den schwarzen, schweigenden Fluß.

Dort liegt es wohl noch heute.

Eines Tages, wenn man den Tiber nach Schätzen durchsucht, wird man vielleicht auch unseren Topas wieder zu Tage fördern. Aber Niemand wird dann ahnen, daß er schon einmal seinem tausendjährigen Grabe entrissen gewesen, um mit wetterleuchtender Gewalt die Tiefen menschlicher Leidenschaften aufzuwühlen und Menschenschicksale übermächtig in andere Bahnen zu lenken.“



Anmerkungen (Wikisource)